Bauwelt

Landschaft borgen


London 2012


Text: Meyer, Friederike, Berlin; Schlaich, Christoph, Köln/London


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    Tom Holbrook
    Foto: Torsten Seidel

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    Foto: 5th Studio

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    Foto: 5th Studio

Zwischen Olympiapark und Themsemündung läuft der Fluss Lea drei Meilen durch ein Industrie­gelände. Seit 2006 planen 5th Studio an der Umgestaltung der Uferzonen zum Lea River Park. Tom Holbrook erklärt, wie die Architekten die Koexistenz von Natur und städtischer Infrastruktur bewahren wollen, was der Fatwalk ist, und warum man bisher so wenig „Park“ sehen kann.
Wie sieht es heute aus im Lea Valley?
Das Lea Valley umfasst über 4000 Hektar, fast zwölf Mal so viel wie das Tempelhofer Feld in Berlin, doch es ist selten mehr als 1 Kilometer breit. Es verläuft im Osten der Stadt vom Rand des Londoner Grüngürtels über 26 Meilen nach Süden, wo der Lea in die Themse mündet. Es macht einen Großteil des Londoner „Green Grid“ aus. Die Idee, das Flusstal als Stadtlandschaft zu gestalten, ist fast 70 Jahre alt. Patrick Abercrombie hat sie 1944 in seinem London Plan verankert. Vom Lea Valley aus wird die Stadt versorgt. Londons Trinkwasser und Gas lagern hier. Stromkabel und ein Abwasserkanal verlaufen unter­irdisch. Früher wurde Obst und Gemüse angebaut, heute wird es da verarbeitet. Außerdem ist das Tal Grenzland. Der Fluss war schon immer eine politische Grenze: zwischen den Sachsen und den Wikingern, zwischen den Londoner Bezirken. Aufgrund seines Charakters als Niemandsland wurde hier alles, was mit Chemikalien oder toten Tieren zu tun hatte, gelagert. Ein schweres Erbe, mit dem wir zu tun haben. 
Auf der Karte sieht doch aber ein großer Teil des Flusstales schon wie ein Park aus.
Das mag sein.  Aus der Luft sieht der nördliche Teil, das Upper Lea Valley, tatsächlich grün und natürlich aus, aber es ist eine der ältesten künstlichen Landschaften Englands.  Der Fluss ist seit dem 18. Jahrhundert kanalisiert. Ein schmaler Weg begleitet sein Ufer. Er ist zwar durchgängig, führt aber oft an den hohen Ufern der Wasserreservoirs vorbei. Viele Bereiche kann man also weder betreten noch einsehen. Auf der Höhe von Hackney Marshes beginnt der Olympiapark. Er verläuft beidseitig des Flusses etwa 2,5 Meilen nach Stratford High Street. Das ist ein klassischer Park nach allen Regeln der formalen Kunst. Darauf folgen noch 2,5 Flussmeilen bis zur Themsemündung – das Lower Lea Valley. Diesen Bereich bearbeiten wir.
Im Jahr 2006 gewannen Sie die Ausschreibung für den Rahmenplan des Lea River Park. Was haben sie vorgeschlagen?
Wir haben diese außergewöhnliche Landschaft zunächst beschrieben. Uns interessierte der Unterschied zum Olympiapark. Schnell wurde klar, für unseren Park wird es nur einen Bruchteil des Geldes geben.  Wir wollen keine Tabula rasa, sondern mit dem arbeiten, was da ist und in den Rändern und Restflächen verborgen liegt.  Der Park, der hier in den kommenden 20 Jahren entsteht, soll die Entwicklung im Flusstal anregen. Architekten und Landschaftsplaner sollen an einzelnen Projekten beteiligt werden.
War das Ihre Idee oder der Wunsch der Stadt?
Das war unser Vorschlag. Während wir am Rahmenplan arbeiteten, hatten wir uns (gemeinsam mit Latz+Partner, Anm.d.Red.) auch für die Umsetzung beworben – und gewonnen. Daraufhin haben wir Entwürfe für die 1. Phase gemacht: den Fatwalk.
Was können wir uns darunter vorstellen?
Wir wollen in erster Linie Verbindungen zwischen und zu den Ufern herstellen. Auf jeden Einwohner der hier angrenzenden Wohngebiete fällt nur ein Drittel der für London empfohlenen Grünfläche. Der Fatwalk zieht sich am Wasser entlang durch das gesamte Flusstal und verbindet die einzelnen geplanten Parks bzw. öffentlichen Räume am Wegrand, die den Lea River Park ausmachen werden: Three Mills Green, Mill Meads, Twelvetrees Crescent gasholders site, Poplar River Park, Black Poplar Wood, die Limmo-Fläche und das East India Dock Basin. Eigentlich sollten sie zu den Spielen fertig sein, aber die Gelder flossen langsamer als wir dachten.
Woher kommt der Begriff Fatwalk?
Einerseits muss unser Park mit der Marke Olympia konkurrieren. Andererseits ist das Gebiet mit Wegen übersät, dem Lea Valley Walk, dem Lea Valley Pathway. Wir wollten einen Namen, der sich einprägt. Viele tolle Orte in London haben kuriose Namen. Rotten Row (dt. vergammelter Pfad) zum Beispiel ist ein wunderschöner Reitweg im Hyde Park. Fatwalk klingt opportunistisch und parasitär finden wir, er füllt den Bereich zwischen dem Ufer so weit es jeweils bis zum nächsten Grundstück geht. Er ist fett, weil er Restflächen einnimmt und noch dazu alle Wege bündelt, die auf das Gelände treffen.  Es macht im Übrigen Spaß zuzuhören, wenn die Politiker über den „fetten Weg“ diskutieren.
Ich hörte, der Begriff Fatwalk beschreibt einen Weg, auf dem einst Teppiche in den East India Docks transportiert wurden?
Davon weiß ich nichts. Aber genau das haben wir uns gewünscht, dass die Leute Geschichten über die Herkunft des Namens erfinden.
Wie wollen Sie den Fatwalk gestalten?
Bäume sollen gepflanzt werden. Pappeln, die den Fatwalk markieren, und verschiedene andere heimische und exotische Pflanzen, die dem jeweiligen Ort besonderen Charakter verleihen oder den vorhandenen unterstützen. In einigen Bereichen wachsen schon exotische Pflanzen. Sie sind damals mit den Schiffen an den East India Docks angekommen und haben sich auf dem Gelände verbreitet. Wo es geht, wollen wir „essbare Landschaften“ anlegen und damit den Schlaraffenlandcharakter des Tales aufnehmen. Wir haben vorhandenen Boden erhalten, so weit es ging, und Betonplatten sowie Schotterflächen und Wie­sen hinzugefügt. Im Übrigen denken wir, dass es nicht nötig ist, Wege immer auf beiden Seiten des Flusses zu haben. Viel wichtiger ist, dass wir die Topografie als Wegweiser nutzen und den Fluss zum verbindenden Element machen.
Wie das?
Da ist zum Beispiel das Projekt Twelvetrees Crescent: ein Fahrradfahrstuhl mit Treppe und Rampe, die vom Flussufer auf eine alte Brücke führen und den Fatwalk mit einem bestehenden Weg verbinden und die Brücke überhaupt erst wieder nutzbar machen. Dann gibt es die neue Brücke über den Fluss, Poplar Reach. Die Schwierigkeit ist, dass Hochspannungskabel zu beiden Seiten des Flusses verlaufen. Die Brücke ist eine Art Belvedere zwischen dem wilden und dem städtischen Flussufer. Unser Auftraggeber, die London Thames Gateway Development Corporation, hat gerade einen zwölf Meter breiten Streifen Land dafür gekauft. Schließlich arbeiten wir am Projekt A13 Crossing, eine filigrane Fußgänger- und Fahrradverbindung, die durch die alte Brücke einer Schnellstraße verläuft, eine Brücke unter der Brücke, wenn man so will.
Gibt es Vorbilder für den Lea River Park?
Der Landschaftspark von Peter Latz in Duisburg ist eins, obwohl der nicht so stadtnah ist. Der Highline Park in New York ist vielleicht auch Vorbild. Aber auch der ist ganz anders. Wir haben uns natürlich auch Parks in London angeschaut, den Regent’s Park von John Nash, der in der Mitte eines Stadtentwicklungsgebiets entstand. Ich denke, der Lea River Park ist schon einzigartig.
Welche Rolle spielen die Industriebauten?
Wir wollen, dass nicht nur die begehbaren Flächen als Park gesehen werden.  Wir sprechen hier von der geborgten Landschaft – ein uraltes Thema in der englischen Landschaftsarchitektur. Nur dass wir keine Tempel und Schlösser als visuelle Anreize haben, sondern Industriebauten.  Die scheinbar unendlich lange Fassade einer der modernsten Müllverwertungsanlagen Europas zum Beispiel hat etwas Szenografisches. Sie kann Teil des Parks werden.
Der Lea ist ein Arbeitsfluss. Sehen Sie da ein Pro­blem für die Erholungssuchenden?
Obwohl die Wasserbehörde gerade eine neue Schleuse gebaut hat, weil sie die Nutzung für den Schiffstransport ausbauen will, wird der Fluss gar nicht mehr so viel genutzt, nicht zuletzt wegen der Gezeiten, die den Wasserstand bestimmen. Der LKW-Transport ist viel billiger. Wir wollen, dass der Fluss genutzt wird, denn das wird die Dimension der Parkflächen und des Wassers sichtbar machen. Man kann Pferde und Fahrräder mieten, picknicken. Der Park fühlt sich natürlich an, ist es aber nicht. Das Neben­einander ist spannend.
Sie haben sich als Architekten jetzt sechs Jahre mit Landschaftsarchitektur beschäftigt. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Wir sehen es als angenehme Herausforderung, in allen Maßstäben zu arbeiten, vom Rahmenplan bis zum Brückendetail. Es hat sich gezeigt, dass es bei erfolgreichen Städtebauprojekten vor allem um die Kommunikation geht. Verhandlungen mit Politikern, Ingenieuren, Institutionen, Geldgebern und Eigentümern. Das ist kompliziert, weil die Verantwortlichen ständig wechseln. Wenn die Politiker eine Idee nicht anerkennen wollen, kann sie schnell zwischen anderen Aufgaben verloren gehn. In den letzten Jahren hat sich sehr viel geändert, viele unserer ehemaligen Auftraggeber gibt es nicht mehr. Wir sehen uns tatsächlich als die einzige Kontinuität in dem Projekt.
Berlin möchte seit Jahren einen öffentlichen Weg am östlichen Spreeufer anlegen und kommt wegen der kleinteiligen Verwaltungsstruktur seiner Bezirke und der Gesetzeslage nur mühsam gegen die Interessen der Grund­stückseigentümer an. Haben Sie in London ähnliche Probleme?
Die London Thames Gateway Development Corporation, die es heute schon nicht mehr gibt, konnte Land aufgrund des Enteignungsgesetzes kaufen. Natürlich wollen die Eigentümer nichts abgeben, und die Versorgungsbetriebe wollen niemanden auf ihre Grundstücke lassen. Aber die aufeinanderfolgenden Bürgermeister (Ken Livingstone und Boris Johnson, Anm.d.Red.) haben den Plan immer als wichtige Entwicklungsmaßnahme unterstützt.
Wie verhält sich Ihr Park zum Olympiapark?
Die Olympischen Spiele sind der Katalysator für die Entwicklung der angrenzenden Gebiete. Sie haben den Blick für Ostlondon geöffnet. Aber sie binden viel politische Kraft und Geld. Das ist frustrierend. Der Lea River Park braucht einen Fürsprecher mit Charisma und Einfluss.
Wann wird der Park fertig sein? Wann können wir den Fatwalk entlang radeln?
Unsere drei Verbindungen und deren Umgebung, Twelvetrees Crescent, Poplar Reach und A13 Crossing, werden fertig sein, wenn der Olympiapark für alle geöffnet wird. Dann ist der Park auch stark genug, um als solcher zu existieren.  Aber es geht nicht allein um die 26 Meilen von Nord nach Süd, es geht vor allem um die Verbindung über das Flusstal, von einem Wohngebiet zum anderen, für die Bewohner.  Es wird noch einige Zeit dauern, bis die Leute feststellen, dass das Lower Lea Valley kein Unort mehr ist, sondern ein neuer Ort für London.



Fakten
Architekten 5th Studio Architecture & Urban Propositions, London
Adresse River Park Ave Staines, Surrey TW18, Vereinigtes Königreich


aus Bauwelt 24.2012
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