Bauwelt

Institutsgebäude an der Friedrich-Alexander-Universität


Den Stilbruch meistern


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Stefan Müller-Naumann

    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Stefan Müller-Naumann

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Stefan Müller-Naumann

    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Stefan Müller-Naumann

Vier neue Räume für ein Gebäude der Universität Erlangen-Nürnberg. Genug für Schulz & Schulz, um einen neuen Sockel zu formulieren, der dem Ganzen zu einer besseren Verankerung auf dem Campus verhilft.
Die Alltagsarchitektur der siebziger Jahre gilt heutzutage Vielen als Tiefpunkt der Baugeschichte, und zwar unter Laien wie Architekten. Der Campus der Technischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ist ein typischer Vertreter seiner Zeit: Am Rand der Stadt gelegen, stellt er sich dem Be­sucher als ein Konglomerat von industriell errichteten Soli­tärbauten dar, mit eher schwach artikulierten Außenräumen dazwischen. Erst bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass die einst vom Universitätsbauamt errichteten Gebäude durchaus unterschiedliche Gestaltqualität besitzen, was verschiedene Verantwortliche für die einzelnen Teile des ab 1966 entstandenen Campus nahelegt.
Das Gebäude Cauerstraße 5 beherbergt heute die Geschäftsstelle des Departments Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik; Studien Service Center, Praktikumsamt, Lehrstuhlberatung und dergleichen Einrichtungen sind hier untergebracht. Das Gebäude gliedert sich in drei Teile: zwei parallel angeordnete, scheibenartige 7-Geschosser und einen zweigeschossigen Sockel, der den Zwischenraum füllt.
„Kann man hier Architektur machen?“
Das war die zentrale Frage, die Architekt Benedikt Schulz sich stellte, als er, angefragt, für den erwarteten Studentenansturm durch die auch in Bayern verkürzte gymnasiale Oberstufe zwei neue Hörsäle und zwei neue Seminarräume unterzubringen und nebenbei mit diesem Eingriff auch eine Aufwertung des Ganzen zu leisten, zum ersten Mal das Gebäude in Augenschein nahm. Die spontane Antwort lautete: nein. Die auf- und abspringenden Oberkanten der Brüstungselemente, die klobigen Fensterprofile, die dunklen Außenräume vor den tief im Grundriss angeordneten Eingängen in die Geschossbauten und den Zwischentrakt, kurz: Die gesamte Anmutung des Objekts wirkte auf den im Ruhrgebiet aufgewachsenen Architekten zunächst komplett indiskutabel. Dass er und sein Bruder Ansgar das Projekt dennoch übernommen haben, hat mehrere Gründe: Zum einen begannen sie beim Studieren der vom Universitätsbauamt überlassenen Pläne, die hypertrophierte Technokratenarchitektur des strikt nach DIN 18000 „Modulordnung im Bauwesen“ entwickelten Gebäudes auf eine unwiderstehliche Weise „cool“ zu finden, zum anderen erlagen sie dem Charme der Erlangener, die das Projekt unbedingt mit ihnen realisieren wollten, und schließlich entdeckten sie, dass das Budget von 2,3 Millionen Euro einen gewissen Spielraum ließ für eine Lösung jenseits des blanken Notbehelfs. Urheberrechtliche Schwierigkeiten waren nicht zu erwarten; die Unterschriften auf den Plänen waren nicht mehr zu entziffern, der Entwurfsverfasser auch nicht auf anderem Weg der Anonymität zu entreißen. Und außerdem: „Jede Bauaufgabe ist eine Architekturaufgabe“, hatte ihnen Kollege Peter Brückner auf ihre Bedenken hin entgegnet; eine Behauptung, die den beiden Wahlleipzigern gar keine Alternative ließ, als den Auftrag anzunehmen: Würden sie scheitern, hätte sich ihr Zweifel als berechtigt erwiesen, wenn nicht, hätten sie ein gelungenes Projekt mehr verwirklicht. Zu guter Letzt hatte sie besagte DIN 18000 auch schon als Gegenstand ihrer Lehre an der TU Dortmund in Atem gehalten: Zwar nicht mehr als Entwurfswerkzeug, wie es in den neunziger Jahren noch ihrem Vorvorgänger Hans-Busso von Busse selbstverständlich war, wohl aber zur Vorbereitung der Studenten auf die mit dieser Norm realisierte Architektur, mit der sich ein entwerfender Architekt vielleicht eines Tages auseinanderzusetzen hat. So viel vorweg: Die Exkursion nach Erlangen sollten Schulz & Schulz in den Lehrplan aufnehmen, denn gelungen ist ihnen dort ein Weiterbauen im Wortsinn.
Die räumlichen Eingriffe sind schnell erklärt und in vier Piktogrammen (Seite 19) anschaulich gemacht: Die beiden Räume, die die Treppenhalle auf der Nordwestseite begrenzten und wie dem Komplex „untergeschoben“ wirkten – ihre Fassade lag auf der Innenseite der äußeren Stützenreihe –, wurden entfernt, sodass einschließlich der bisher offenen Bereiche unter den Geschossbauten ein langgestreckter Raum zur Verfügung stand. Entlang seiner Außenkanten wurden die benötigten neuen Räume angeordnet. Sie umgreifen die erhaltene, in ih-ren Oberflächen aber teilweise erneuerte und von zwei großvolumigen Oberlichtern zusätzlich belichtete Treppenhalle; auf der Außenseite schließen sie bündig an die Fassade darüber an. Die erforderlichen Fluchtwege – aus den beiden Geschossbauten wie aus den als „Versammlungsstätte“ deklarierten Unterrichtsräumen im Zwischentrakt – wurden pragma­-
tisch an der Fuge zum Bestand angeordnet sowie als neuer Haupteingang des Gesamtkomplexes neben der einläufigen Treppe in der Halle angelegt. Im Ganzen eine beiläufige Maßnahme, die aber eine erstaunliche Wirkung entfaltet: Der Komplex hat durch den Umbau neue Präsenz gewonnen, eine Präsenz, die sich nicht aus dem Kontrast von Alt und Neu herleitet, sondern aus der strukturellen Vereinfachung und Klärung der Architektur und ihrer Beziehung zum Außenraum. Was vorher als additives Gebilde wahrgenommen werden konnte, steht jetzt wie ein Haus am Campus.
Konnotation und Konstruktion
Die großzügige Erscheinung verdankt sich auch der Haltung der Architekten zum Bestand. „Wir haben ja eine gewisse Schwäche für so etwas“, räumt Benedikt Schulz freimütig ein; die Anlage habe sich schließlich als extrem robust und wandlungsfähig erwiesen – man müsse sich nur auf ihre Systematik einlassen. Für ihn und seinen Bruder etwa sei es nicht infrage gekommen, das 1,20-Meter-Raster und die durchgängige Trennung von Konstruktion und Ausbau zu missachten, ganz im Gegenteil: Die neuen Zutaten entwickeln sich wie selbstverständlich aus dieser „Rechenkästchenarchitektur“ – und zwar bis in den Außenraum hinein, wo gegenüber der neuen Hauptfassade ein langgestreckter Fahrradständer entstanden ist, dessen Dachstützen exakt im gleichen Raster angeordnet sind und so mit der Fassade korrespondieren.
Dank dieser grundsätzlich respektvollen Herangehensweise kann die Architektur den stilistischen Bruch verkraften, der sich zwischen Alt und Neu unübersehbar vollzieht: Denn nicht nur zeigt das Hinzugefügte bis ins Detail einen größeren gestalterischen Willen als der allein auf die überwältigende Schönheit von Vorfertigung und Serie vertrauende Bestand; dessen brutalistischer Betonästhetik schieben Schulz & Schulz außerdem eine elegante schwarze Stahl-Glas-Fassade unter, die den architektonisch Interessierten unweigerlich an den anderen Zweig der Nachkriegsmoderne denken lässt, der im Hochschulbau mit Mies’ IIT-Campus in Chicago prominent vertreten ist.
Die Besonderheit dieser Fassade sind ihre 60 Zentimeter tiefen Schwerter auf der Außenseite. Diese dienen nicht nur der Aussteifung, sondern auch der Verschattung der Fenster, da die Sonne allenfalls schräg auf die Hauptfassade fällt. Schließlich wirken sie auch als eine Art Abstandshalter für Passanten – ein Aspekt, der vor allem dem Bauherren wichtig war, um vor Ablenkung während der Lehrveranstaltungen sicher zu sein. Die Schwerter bestehen aus T-Profilen, die aus Flachstahl in der Schweiz lasergeschweißt wurden, damit sie möglichst präzise scharfkantige Ecken zeigen. Sie rhythmisieren eine im Inneren papierdünn wirkende Haut, die den angesprochenen formalen Ehrgeiz der Architekten beispielhaft demonstriert.



Fakten
Architekten Schulz & Schulz, Leipzig
Adresse Cauerstraße 5 91058 Erlangen


aus Bauwelt 46.2011
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x

9.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.