Bauwelt

Wolfsburger Eiertanz

um die Stadt­bibliothek im Alvar-Aalto-Kulturhaus

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Foto: Ali Altschaffel

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Wolfsburger Eiertanz

um die Stadt­bibliothek im Alvar-Aalto-Kulturhaus

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Die Stadt Wolfsburg reklamiert mit ihrem Freilichtmuseum denkmalgeschützter Bauten der Nachkriegsmoderne immer wieder ihre Vorreiterrolle in Sachen Baukultur für den Norden Deutschlands. Alles scheint in verantwortungsbewussten Händen. Doch das Alvar-Aalto-Kulturhaus, Sitz der Stadtbibliothek, droht Opfer kulturellen Unverstandes zu werden.
Mit 660.000 Besuchern täglich und 200 Millionen im Jahr stellen Bibliotheken die am stärksten frequentierten Kultureinrichtungen dar. Zum Vergleich: Museen zählen knapp 108 Millionen, die erste und zweite Bundesliga, rechnete man sie zur Kultur, gar nur 17,6 Millionen Besucher pro Jahr. Um die Existenz der öffentliche Bibliotheken als Informations-, Lern- und Bildungsorte, deren Angebote lokal verfügbar, kostenlos und in breit gefächertem Medienspektrum vorgehalten werden, zu gewährleisten, sieht der Deutsche Bibliotheksverband unter anderem eine unabdingbare Voraussetzung: Sie müssen selbständig, ohne institutionelle Anbindung geführt werden.
Neubau? Kein Neubau! Doch ein Neubau?
Derartiges Grundwissen, sollte man meinen, sei in einer saturierten Kommune wie Wolfsburg verinnerlicht, und auch die auskömmliche finanzielle, per­sonelle und räumliche Ausstattung der öffentlichen Bibliothek dort eine Selbstverständlichkeit. Die Wolfsburger Bibliothek ist seit 1962 im Alvar-Aalto-Kulturhaus untergebracht. Aalto entwarf für diese Funktion mit großem gestalterischen Impetus eine „Perlenkette“, die auf eine Büchereinutzung zugeschnittene, differenzierte Raumfolge im Erdgeschoss. Nach dem Auszug anderer Nutzer im Gebäude er­weiterte sich die Bibliothek im Kulturhaus, nicht im-mer räumlich-konzeptionell überzeugend, jedoch getragen von dem Möglichkeitsvorrat, den der multifunktionale Bau bereithält.
Seit 2005 werden von Politik und Verwaltung zyklisch Pläne für einen Bibliotheksneubau an verschiedenen Standorten in Wolfsburg ventiliert. Schwankende Kassenlage und die Dringlichkeit kommunaler Prestigevorhaben sorgten jedoch für einen rasanten Strudel sich widersprechender Stimmungsbilder pro und contra einen Neubau. Kaum jemand wusste mehr richtig Bescheid, obgleich die Lokalpresse jede Äußerung aus (un)berufenem Munde dokumentierte.
Ein dynamischer Kultur- und Finanzdezernent, der allerdings nur wenige Monate in Wolfsburg blieb, engagierte sich Anfang 2008 für den Verbleib der Bibliothek im Kulturhaus. Der damalige Leiter sowie die Projektarchitektin der Aalto-Foundation wurden aus Helsinki eingeflogen, um eine Machbarkeits- und Umnutzungsstudie des Wolfsburger Architekten Reinhard Brandes-Wanger (zusammen mit der Autorin) zu begutachten. Planungsgrundlage war unter anderem die „Organisationsuntersuchung“ einer in­ternationalen Unternehmensberatung aus dem Jahr 2005. Es schien, als solle die Bibliothek mittelfristig im Alvar-Aalto-Kulturhaus verbleiben und sich als Alleinnutzer weitere, dringend benötigte Raumressourcen erschließen dürfen wie beispielsweise die leerfallende Ladenzeile zur Fußgängerzone für sogenannte „niederschwellige“ Medienangebote in bewusst extrovertierter Präsentation. Und auch der lange verschleppte Bauunterhalt im Kulturhaus schien nun endlich in Angriff genommen zu werden. Die Bibliotheksmitarbeiter erdachten frische medien­päda­gogische Konzepte für ihre zukünftige Arbeit, und kleinere Baumaßnahmen wie die Umwidmung zweier Wohnungen in Obergeschoss zu Büros wurden durchgeführt, um fehlbelegte Publikumsflächen im Erdgeschoss wieder frei zu bekommen. Das Gesamtkonzept für die Bibliothek im Kulturhaus wurde im März 2010 in einer öffentlichen Sitzung des Kulturausschusses vorgestellt und gutgeheißen. Im Februar 2011 wurde der revitalisierte Zeitschriftenleseraum bei einem Pressetermin mit dem Wolfsburger Oberbürgermeister der Öffentlichkeit übergeben.
The spirit of Alvar Aalto – ein fauler Kompromiss
Seit Ende 2010 kursierten in der Lokalpresse jedoch auch wieder Pläne für den Auszug der Bibliothek aus dem Kulturhaus, diesmal persönlich forciert von einer neu berufenen Kulturbereichsleiterin und der Bau­dezernentin. Danach sollte die Bibliothek, unter Beschwörung allerlei Synergien, im Gemenge eines „Bildungscampus“ unterhalb des Scharoun-Theaters am Klieversberg aufgehen, zusammen mit einer von VW initiierten „Neuen Schule“ und Einrichtungen der Erwachsenenbildung. Und für die Bibliotheksräume im Kulturhaus wurde unter dem blumigen Motto „The spirit of Alvar Aalto“ auch schon eine Nachnutzung präsentiert: als Stadtarchiv. Nun sind Archive Einrichtungen spezieller Interessen, also von eher gerin­ger öffentlicher Frequenz. Die immerhin rund 850 Qua­dratmeter originärer Bibliotheksräume könnten so­­-mit Gefahr laufen, mit einer Handvoll täglicher Nutzer zu gespenstisch leeren Fluchten zu verkommen; ganz abgesehen davon, dass Archivalien anders gelagert werden müssten als in Aaltos schlichten Büchereiregalen.
Die rührige örtliche Bibliotheksgesellschaft lud, mitten im Kommunalwahlkampf, die Wolfsburger Politik zu einem Hearing in der Bibliotheksfrage. Bis auf das klare Nein einer unabhängigen politischen Gruppe zum Auszug eierten die Parteien unisono um einen faulen Kompromiss herum: Die Bibliothek könne sich zukünftig ja auf zwei Standorte aufteilen – ein Teil verbleibt im Kulturhaus, ein anderer zieht in den Bildungscampus. Dies wäre natürlich, trotz fußläufiger Nähe, eine organisatorische Zumutung für die rund 360.000 jährlichen Bibliotheksnutzer wie auch für die Mitarbeiter. Und eine dergestalt zerlegte Bibliothek würde wohl über kurz oder lang ihre institutionelle Eigenständigkeit, somit ihren unabhängigen Informations- und Bildungsauftrag einbüßen. Keine schöne Perspektive, auch für das Alvar-Aalto-Kulturhaus, das 2012 sein 50-jähriges Jubiläum begeht.
Fakten
Architekten Aalto, Alvar (1898-1976)
aus Bauwelt 42.2011
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