„Wenn ich Wohnungsbauminister wäre, würde ich als erstes die Realitäten anerkennen!“
Interview mit Yahia Shawat
Text: Redeker, Cornelia, Kairo; Seidel, Florian, Kairo
„Wenn ich Wohnungsbauminister wäre, würde ich als erstes die Realitäten anerkennen!“
Interview mit Yahia Shawat
Text: Redeker, Cornelia, Kairo; Seidel, Florian, Kairo
Wie kaum ein anderer dokumentiert und kritisiert Yahia Shawkat seit Jahren die politische Dimension des ägyptischen Wohnungsbaus und weist auf strukturelle Fehlentwicklungen hin. Der Name seines Blogs Shadow Ministry of Housing/The Right to Housing Initiative ist Programm: Er hält fest, wo Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben werden und wo Häuser aufgrund schlechter Instandhaltung einstürzen.
Er untersucht, wohin die Fördergelder internationaler Institutionen wie der Weltbank fließen und wer davon profitiert. Wir treffen uns im Haus der Egyptian Initiative for Personal Rights (EIPR) in Garden City, einem Stadtteil zwischen Downtown und Nil mit alten Wohnhäusern, Botschaften und gesichtlosen Verwaltungsgebäuden – und einer elliptischen Straßenführung, die jeden Besucher in die Irre führt.
Dein Blog beleuchtet die katastrophale Situation des Wohnungswesens in Ägypten. Wie siehst du die Situation heute?
Ob es überhaupt eine Katastrophe ist, das wäre die Frage und wenn ja, woran wir sie festmachen. Aufgrund der Liberalisierung des Wohnungsmarktes steigen die Preise im Moment um 25 Prozent pro Jahr, und die Schere geht immer weiter auf. Hinzu kommt ein Wohnungsleerstand von 30 Prozent. In Kairo stehen rund eine Million Wohnungen leer, das entspricht dem Volumen einer Wohnungsbauproduktion von 12 Jahren. Mit anderen Worten: Wenn wir ab sofort für 12 Jahre mit dem Bauen aufhören würden, gäbe es noch immer für jeden eine Wohnung – rein rechnerisch. Wir haben also eigentlich kein Wohnungsbauproblem, sondern ein Problem, wer sich eine Wohnung leisten kann und wo in der Stadt. Katastrophal ist also eher das zugrundeliegende Denkmuster und noch grundsätzlicher das wirtschaftliche Problem.
Wie hat sich die Situation seit der Revolution 2011 unter drei verschiedenen Regierungen verändert?
Es herrscht Planlosigkeit. Die erste Regierung wollte nur eine Übergangsregierung sein, sie hat nicht langfristig geplant. Der Wohnungsbauminister versprach mal eben eine Million Einheiten mit einer von 63 auf 75 Quadratmeter gestiegenen Wohnungsgröße. Wenige Monate später kam die Muslimbruderschaft an die Regierung. Deren Minister skizzierte eine langfristige Strategie bis zum Jahr 2022 und verkündete, dass sich der Staat nach und nach aus dem subventionierten Wohnungsbau zurückziehen würde; Hypotheken, auch subventionierte Hypotheken, würden die Subventionen ersetzen, so dass der freie Markt irgendwann alleiniger Akteur wäre. Der jetzige Wohnungsbauminister denkt nicht an Strategien, sondern nur an die Fortführung bestehender Projekte. Bislang wurde nicht eine einzige der seit 2012 fertiggestellten Wohnungen einem Bedürftigen zugeteilt.
Dringlichkeiten führen normalerweise auch zu Innovationen. Kannst du dafür einige Beispiele anführen?
Innovationen finden sich am ehesten bei der kreativen Interpretation der Regeln. Bauvorschriften werden systematisch umgangen. Eine weitere wichtige Neuerung wird sichtbar, wenn man sich anschaut, wie informelle Siedlungen entstehen. Sie starten nie als reine Wohngebiete, sondern immer als Gebiete mit einer Mischnutzung, mit einer großen Anzahl von Arbeitsgelegenheiten, weil viele der Leute, die hierher ziehen, sich selbst Arbeit schaffen. Da das eigene Auto in Ägypten noch eine Seltenheit ist, weniger als 10 Prozent der Bevölkerung besitzt eines, und der öffentliche Personenverkehr nicht gut ausgebaut ist, hat die Nähe der Arbeitsstelle zur Wohnung große Bedeutung. Es passieren also auch eine Menge guter Dinge durch das Umgehen der Gesetze.
Internationale Fördergelder spielen eine entscheidende Rolle in der räumlichen Planung. Du hast diesen Umstand immer wieder kritisiert.
Ich habe die Projekte der Weltbank in Ägypten genauer untersucht. Eines dieser Projekte war ein Programm zur Förderung bezahlbarer Hypotheken. Das Problem bei diesen „bezahlbaren“ Hypotheken ist ihre Verknüpfung mit dem geförderten Wohnungsbau. Um von diesem Programm zu profitieren, muss man gleichzeitig ein möglichst hohes Einkommen haben (um die Hypotheken bezahlen zu können) und ein möglichst geringes Einkommen (um teilnehmen zu können). Die Folge war, dass die beiden unteren Einkommensfünftel ausgeschlossen waren. Die Fördergelder fließen heute alle in Richtung der höheren Einkommensstufen.
Und wenn du nicht nur „Schattenbauminister“, sondern tatsächlich Wohnungsbauminister wärst?
Als erstes müsste man die Realitäten anerkennen. Dies würde das Ende der in Einzelzuständigkeiten zersplitterten Wohnungspolitik bedeuten. Heute ist es so: Geht es um den Wasseranschluss, geht man zu den Wasserbetrieben, geht es um Bauen und Wohnen, geht man zum Wohnungsbauministerium usw. Wir brauchen eine One-Stop-Verwaltung, die für die Nöte der Bürger da ist und die auch in der Lage ist, qualifizierte Entscheidungen über die gebaute Umwelt zu treffen.
Was hälst du von Initiativen wie „Remal“, die eine Art nationale Städtebaustrategie entworfen haben, unter anderem mit neuen Städten, Flughäfen und Verkehrsachsen?
Die Idee, aus dem übervölkerten Niltal heraus in die Wüste zu gehen, stammt aus einer Zeit, als Ägypten weniger als 30 Millionen Einwohner hatte. Heute sind es die von gesellschaftlichen Eliten betriebenen Initiativen wie „Cairo 2050“ und „Remal“, die fragen: Wenn wir 2050 eine Bevölkerung von 150 Millionen haben, wo sollen wir leben? Das „New Valley“, ein begrüntes Tal in der Wüste, parallel zum Nil, war einst für 10 Prozent der Bevölkerung ausgelegt, aber bis heute hat es gerade einmal 200.000 Einwohner. All diese Top-down-Visionen sind keine Lösung für die Probleme der Urbanisierung. Bis jetzt haben sich die Leute immer selbst beholfen.
Ist das nur eine Frage von Planungsfehlern? Wie steht es um den Mythos, dass die Ägypter nicht gerne umziehen und sich an das gewohnte Niltal klammern?
Wieso hat es dann die Auswanderungswellen in den Siebzigern und Achtzigern gegeben, als Zehntausende Ägypter im Zuge des Ölbooms in die Golfstaaten zogen? Planung muss strukturelle Probleme angehen. Man kann doch nicht die Landkarte verändern, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie Urbanisierungsprozesse verlaufen. Es gibt keine Konzepte, bestehende Wohngebiete zu bewirtschaften und weiterzuentwickeln, es werden nur neue Quartiere geplant. Diese tagtägliche Instandhaltung, das kennt man doch von der eigenen Wohnung. Man kann nicht sagen: In zehn Jahren werde ich ohnehin ausziehen und deshalb lasse ich alles laufen, bis die Farbe von den Wänden blättert. Es ist wie in der Natur: Sie heilt sich selbst, erneuert sich, sorgt für sich. Hier müssen wir anfangen!
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