Bauwelt

Vom Lehrmaterial zum Marketing­instrument

Architekturfotografie aus 160 Jahren in München

Text: Linscheid, Klaus F., Aichach

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Pfrimmtalviadukt, Eisenbahnbrücke, bei Marnheim, 1872-1874, Fotograf: J. F. Maurer, Landau
© Architekturmuseum der TU München

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Pfrimmtalviadukt, Eisenbahnbrücke, bei Marnheim, 1872-1874, Fotograf: J. F. Maurer, Landau

© Architekturmuseum der TU München


Vom Lehrmaterial zum Marketing­instrument

Architekturfotografie aus 160 Jahren in München

Text: Linscheid, Klaus F., Aichach

Von den ersten Anfänge der Architekturfotografie bis zu Fotos zeitgenössischer Fotografen reicht der Querschnitt durch die hauseigene Bildersammlung, den das Architekturmuseum der TU München in der Ausstellung „Fotografie für Architekten“ zusammengestellt hat.
Wir schreiben das Jahr 1850. Ausgerüstet mit Kamera, mächtigen Glasnegativen, einem Tarnzelt und einem „fliegenden“ Labor begeben sich der „Lichtbildner“, seine Assistenten und diverse Lasttiere zum Fotoshooting. Einige Stunden wird es dauern, bis eine einzige Aufnahme „im Kasten“ ist.
Von diesen ersten Anfänge der Architekturfotografie bis zu Fotos zeitgenössischer Fotografen reicht der Querschnitt durch die hauseigene Bildersammlung, den das Architekturmuseum der TU München in der Ausstellung „Fotografie für Architekten“ zusammengestellt hat. Mehr als 200.000 Fotos von 800 Fotografen aus den letzten 160 Jahren umfasst die stattliche Kollektion, die Winfried Nerdinger und sein Team seit 1975 gesichtet, katalogisiert und inventarisiert haben. Die knapp 300 Fotografien, die nun präsentiert werden, sind zwar nur wenig mehr als ein Promille des Bestandes, trotzdem vermitteln sie einen repräsentativen Einblick in die Entwicklung der Architekturfotografie. Das liegt nicht zuletzt an der Gliederung, die die Kuratorinnen Hanna Böhm und Irene Meissner vorgenommen haben.
Dokumentieren
Im ersten, umfangreichsten und vermutlich wertvollsten Teil der Schau werden Fotografien gezeigt, die als Motiv- und Formenschatz für Architekten dienten. Der Rundgang beginnt mit großformatigen Aufnahmen von Édouard Baldus, Bisson frères und anderen berühmten Fotografen-Pionieren. Ab 1868 werden für die „Modellsammlung für Hochbau“ an der damaligen Polytechnischen Schule München (später TU) als Anschauungs- und Lehrmaterial Fotografien von Bauwerken aus Deutschland, dem benachbarten europäischen Ausland, Ägypten und dem Nahen Osten angekauft. Waren bedeutende Bauten bis dahin nur über Stiche und Zeichnungen bekannt, kann man nun auf realistischere Abbilder der Weltarchitektur zurückgreifen.
Wie mühsam das Erstellen eines einzigen Fo-tos war, wird deutlich, wenn man sich die damalige Technik vor Augen führt. Eine Plattenkamera musste wegen ihrer Größe von mehreren Menschen getragen werden. Fotografiert wurde auf Glasplatten, die bis zu 60 x 80 cm groß sein konnten. Vor Ort beschichtete man die Platten mit einer Lösung aus Nitrozellulose (Kollodium) und machte sie durch eine Silbernitratlösung lichtempfindlich. Diese Arbeit erfolgte unterwegs in einem lichtdichten Zelt. Im noch feuchten Zustand wurden die Platten in die Kamera eingelegt und belichtet. Danach mussten sie im „Entwicklungszelt“ sofort fixiert und gewässert werden. Später konnten von einem Kollodium-Glasnegativ beliebig viele Abzüge erstellt werden, indem man Papier, das mit Eiweiß (Albumen) beschichtet war, quasi als Kontaktabzug direkt auf die Glasplatten legte. Für die Belichtung des „Albuminpapiers“ sorgte das Sonnenlicht. Die Schärfe dieser Aufnahmen ist noch heute beeindruckend.
Simulieren
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts werden die unterschiedlichen Bestände der TU München in einer „Architektursammlung“ vereinigt. Zur selben Zeit verwenden Architekten in ihren Ateliers Fotografien bereits als Hilfsmittel beim Entwerfen. Friedrich von Thiersch etwa ritzt seinen Entwurf für das neue Kurhaus in Wiesbaden in eine Fotografie hinein, um die Bevölkerung von seinen Plänen zu überzeugen. Visualisierung, wie sie heute gang und gäbe ist, ist vor hundert Jahren mit einem ungeheuren Aufwand verbunden. Schon damals werden Fotos auch zur Baustellendokumentation verwendet, womit wir beim dritten Teil der Ausstellung angelangt sind. Ob große Kirchenbauten, Schloss Neuschwanstein, der Flughafen München-Riem oder Arbeiten von Bernd und Hilla Becher – das Architekturmuseum besitzt eine Vielzahl von Fotos mit hohem Dokumentationswert.
Inszenieren
In den Anfängen der Fotografie stehen ausschließlich die Bauten im Vordergrund. Die Namen der Fotografen sind oft nicht zu ermitteln. Das ändert sich schlagartig, als Architekten erkennen, wie wichtig eine Fotografie für das Verständnis ihrer Architektur ist. Die Moderne der 20er Jahre verdankt ihren Bekanntheitsgrad zu einem gehörigen Teil ihrer medialen Inszenierung. Julius Shulman ist ein Paradebeispiel für diese gegenseitige Befruchtung von Architekt und Fotograf: Bauten von Richard Neutra oder Pierre Koenig sind erst durch die bis ins letzte Detail geschliffenen Aufnahmen von Shulman bekannt geworden. An diesem Prinzip hat sich bis heute wenig geändert. Das emotionale Rezipieren von Bauwerken wird in der ansteigenden Informationsflut schon deshalb immer wichtiger, weil Bilder vom Betrachter viel schneller aufgenommen werden können als Texte. Die Bedeutung der Architekturfotografie für Architekten hat Günter Behnisch einmal so auf den Punkt gebracht: „Ein guter Architekt muss dafür sorgen, dass er einen guten Fotografen hat – sonst wissen die Leute nicht, was er tut.“

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