Bauwelt

Undogmatische Moderne

Die Wiener Werkbundsiedlung 1932

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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Foto: © Privatbesitz/Foto: Peter Kainz

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Undogmatische Moderne

Die Wiener Werkbundsiedlung 1932

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Sie kam zu spät. Die Wiener Werkbundsiedlung, im Sommer 1932 zu besichtigen und von immerhin 100.000 Neugierigen aufgesucht, fand auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise statt.
Für Häuser, deren Preis nach heutiger Kaufkraftparität etwa 125.000 Euro entsprächen, waren Interessenten nicht mehr zu gewinnen, schon gar nicht unter Ge­ring­verdienern, auf die die Siedlung – zumindest auch – zielte.
Aber es war nicht allein die wirtschaftliche Katastrophe. Schon vom Konzept her kam die Siedlung weit draußen im Westen Wiens, im überwiegend gut- bis großbürgerlichen 13. Bezirk, zu spät. Die Siedlungsbewegung der Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg – sie gab den Impuls zur Schaffung von Siedlerhäuschen mit Selbstversorgung – war längst vorüber. Die österreichische Hauptstadt war dank der sozialdemokratischen Stadtregierung zur Hochburg des Sozialwohnungsbaus geworden, der Wohnhöfe des „Roten Wien“, die als „Arbeiterpaläste“ von der Linken bejubelt und von der Rechten geschmäht wurden.
Heute hat die Gemeinde Wien, der die unverkäuflichen Häuser der Werkbundsiedlung zur Zeit des Austrofaschismus zufielen, keinerlei Schwierigkeiten mit der Vermietung, wohl aber mit der Erhaltung. Denn auch wenn die Siedlung bereits seit 1978 unter Denkmalschutz steht, wird erst jetzt die über­fällige Generalsanierung mit einem Budget von 10 Millionen Euro in Angriff genommen.
Zum 80-jährigen Bestehen der Wiener Werkbundsiedlung zeigt das Wien Museum am Karlsplatz nun die erste „Ausstellung über die Ausstellung“.
Es ging 1932 nicht allein um die Gebäude und viel weniger noch um bautechnische Fragen wie etwa die in den 20er Jahren weidlich ausprobierte „Industria­lisierung des Bauens“. Es ging den Veranstaltern um den Architekten Josef Frank (1885–1967) vorrangig um beispielhaftes Wohnen. Die 70 Einfamilienhäuser waren komplett eingerichtet. Die Möbel wurden entweder von den kräftig werbenden Herstellern zur Verfügung gestellt oder führten maßgeschneiderte Tischlerarbeit vor – „als Beleg für das hohe Niveau der Wiener Wohnkultur“, wie es in dem als Referenzwerk künftig unverzichtbaren Katalog des Wien Museums selbstbewusst heißt.
Neben einem neu gefertigten Gesamtmodell der Siedlung sind es die zahlreichen Stühle, Sessel und Schränke, dazu ein komplettes Bibliothekszimmerchen, die die Ausstellung zu einem sinnlichen Erlebnis werden lassen. Auf teils originalen Sitzmöbeln darf der Besucher sogar ausprobieren, welche Anforderungen an Bequemlichkeit und durchaus auch Gemütlichkeit damals gestellt wurden. Stahlrohrmöbel, wie sie im Umkreis des Bauhauses als Nonplus­ultra gepriesen wurden, hatten es in Wien schwer. Josef Frank gab der prononcierten Wiener Moderne­abstinenz 1931 die passende Formulierung: „Traditionslosigkeit gibt es nicht, und es geht nicht an, sich von der ganzen überlieferten Kultur zu befreien.“
Das bekannte Plakat der „Internationalen Ausstellung Wien“ von 1932 zeigt zwei Ansichten von Reihenhäusern auf grünem Grund – und führt gehörig in die Irre. Das ist der Werkbund, wie man ihn bis heute rezipiert: funktional, minimalistisch, eben das „richtige“ architektonische Kleid der Wohnung, zwar nicht „für das Existenzminimum“, aber zumindest für eine kulturelle Avantgarde. Doch genau so war die Siedlung nicht. 70 Häuser von 30 Architekten und einer Architektin – der zu Recht gerühmten Margarete Schütte-Lihotzky – haben allein das flache Dach gemein. Das provozierte Ablehnung zur Genüge. Ansonsten hatte die Siedlung bis auf das markante Reihenhaus von André Lurçat mit seinen gerundeten Treppentürmen oder die beidseitig großzügig verglasten vier Reihenhäuser von Gerrit Rietveld wenig Avantgardistisches zu bieten. Nach erheblichen Kriegsverlusten wirkt sie heute geradezu unscheinbar, mit Baum und Strauch regelrecht zugewuchert, als schämte sich die Stadt dieses einstigen Experiments.
Die Grundrisse bei Wohnflächen zwischen 57 und 126 Quadratmetern – auf eng geschnittenen Grundstücken von zumeist um die 220 Quadratmeter – richteten sich an ein bürgerliches Publikum, mit Platz für das damals noch unverzichtbare Klavier, für Bücherschränke und Sitzecken. Insofern führte die Kritik am Geschosswohnungsbau der Wiener „Höfe“, die Josef Frank als „Volkswohnungspalast“ ironisierte, zumindest auf der Ebene der Wohnkultur in die Irre: Mit der heftig befehdeten Kleinbürgerlichkeit der städtischen Höfe korrespondiert die „gehobene“ Kleinbürgerlichkeit vieler Mustereinrichtungen draußen in Lainz.
Es ist also ein notwendiges Stück Entmythologisierung, die das Wien Museum mit seiner Ausstellung betreibt. Von einer „undogmatischen Moderne, die Josef Frank propagierte und die für Wien typisch war“, ist die Rede. Noch besser passte, dem „undogmatisch“ ein „gemäßigt“ hinzufügen. Denn gemäßigt war Wien und stolz auf sein Handwerk, das mit der Einrichtung vieler Werkbund-Häuser eine letzte Blüte erlebte.
Fakten
Architekten Frank, Josef (1885–1967); Schütte-Lihotzky, Margarete (1897-2000); Rietveld, Gerrit (1888-1964)
aus Bauwelt 46.2012
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