Wohnturm „Wood Up“ in Paris
Seit 1995 wird in der französischen Hauptstadt das städtebauliche Entwicklungsgebiet „Paris Rive Gauche“ entlang der linken Seine-Seite umgesetzt. Als einen der letzten Bausteine stellten Ende letzten Jahres LAN Architekten einen Wohnturm aus Holz fertig.
Text: Kabisch, Wolfgang, Paris
-
Am Ufer der Seine gelegen ragt der Turm „Wood Up“ zwischen Pont National und Périphérique 50 Meter empor.
Foto: Charly Broyez
Am Ufer der Seine gelegen ragt der Turm „Wood Up“ zwischen Pont National und Périphérique 50 Meter empor.
Foto: Charly Broyez
-
Rechts davon stehen die zueinander verdrehten Hochhäuser Tours Duo von Jean Nouvel (2022)
Foto: Charly Broyez
Rechts davon stehen die zueinander verdrehten Hochhäuser Tours Duo von Jean Nouvel (2022)
Foto: Charly Broyez
-
Der zweigeschossige Sockel des Holzhybrid-Hochhauses besteht aus Beton. Im Erdgeschoss befinden sich Gewerberäume.
Foto: Charly Broyez
Der zweigeschossige Sockel des Holzhybrid-Hochhauses besteht aus Beton. Im Erdgeschoss befinden sich Gewerberäume.
Foto: Charly Broyez
-
Aus der Eingangshalle blickt man über die Seine und das neue Stadtviertel Masséna-Bruneseau.
Foto: Charly Broyez
Aus der Eingangshalle blickt man über die Seine und das neue Stadtviertel Masséna-Bruneseau.
Foto: Charly Broyez
-
Auf knapp 9000 Quadratmetern Fläche sind 132 Miet- und Eigentumswohnungen entstanden, ...
Foto: Charly Broyez
Auf knapp 9000 Quadratmetern Fläche sind 132 Miet- und Eigentumswohnungen entstanden, ...
Foto: Charly Broyez
-
... einige davon als Maisonette.
Foto: Javier Agustín Rojas
... einige davon als Maisonette.
Foto: Javier Agustín Rojas
-
Gerahmt werden die Wohnungen von umlaufenden Loggien.
Foto: Charly Broyez
Gerahmt werden die Wohnungen von umlaufenden Loggien.
Foto: Charly Broyez
-
Auf der Höhe des 8. Obergeschosses befindet sich auf der Nord-West-Fassade ein riesiger Ausschnitt ...
Foto: Charly Broyez
Auf der Höhe des 8. Obergeschosses befindet sich auf der Nord-West-Fassade ein riesiger Ausschnitt ...
Foto: Charly Broyez
-
... der als gemeinschaftliche Terrasse genutzt wird.
Foto: Charly Broyez
... der als gemeinschaftliche Terrasse genutzt wird.
Foto: Charly Broyez
-
An der Süd-Ost-Fassade befinden sich, bedingt durch den Erschließungskern, zwei schmale Öffnungen.
Foto: Javier Agustín Rojas
An der Süd-Ost-Fassade befinden sich, bedingt durch den Erschließungskern, zwei schmale Öffnungen.
Foto: Javier Agustín Rojas
-
Die Ausschnitte in der Fassade werden durch einen Vierendeelträger abgefangen.
Foto: Charly Broyez
Die Ausschnitte in der Fassade werden durch einen Vierendeelträger abgefangen.
Foto: Charly Broyez
-
Das Budget für den Holzturm beträgt 25 Millionen Euro.
Foto: Charly Broyez
Das Budget für den Holzturm beträgt 25 Millionen Euro.
Foto: Charly Broyez
Es hat lange gedauert. Doch seit ein paar Jahren wird Paris nicht mehr nur als romantisch und leicht verstaubt angesehen, sondern auch als überraschend fortschrittlich, als ein Beispiel für die erfolgreiche Erneuerung einer europäischen Metropole. Die Olympischen Spiele 2024 waren in diesem Sinne die große Feier, mit der der ganzen Welt stolz die Errungenschaften präsentiert wurden (
Bauwelt 22.2025). Und zu der Überraschung gehört auch, dass Stadtplanung und Architektur dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben.
Als der französische Staat in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts begann, auf einem Vororthügel die größte Bürostadt Europas mit futuristischen Wolkenkratzern, La Défense, zu bauen, reagierte die Stadt Paris mit einem 210 Meter hohen Tour Montparnasse. Dieser wurde als so abschreckend wahrgenommen, dass in der Folge in Paris Bauhöhen von über 37 Metern gleich ganz verboten wurden. Der Weckruf, sich weniger auf die Vergangenheit und mehr auf die Zukunft zu konzentrieren, verhallte beinah ungehört. Vielen Bewohnern der französischen Hauptstadt war das aber nur recht.
Mit Beginn der 90er Jahre begann sich der Wind zu drehen. Infrastrukturprobleme, Wohnungsnotstand, Verkehrsbelastung, Luftverschmutzung waren beispielsweise nicht mehr zu übersehen. Gleichzeitig wurde durch das Architekturprogramm, Les Grands Projets, zur Errichtung moderner Monumente des damaligen Präsidenten Mitterrand erkennbar, dass sich etwas verändern musste und veränderte. Allerdings beheben architektonische Prestigeprojekte nur selten strukturelle Probleme. Für das 21. Jahrhundert war Paris damit nicht gerüstet.
Paris Rive Gauche
1991 beschloss der Stadtrat von Paris, sich planerisch im Sinne einer Stadterweiterung die linke, obere Flussseite der Seine und Teile des 13. Bezirks vorzunehmen. Ein Viertel zwischen dem Bahnhof Austerlitz und dem Rand der Stadtautobahn. 2,8 Kilometer immer am Wasser entlang. „Paris Rive Gauche“ ist eine der größten (130 Hek-tar) und radikalsten städtebaulichen Entwicklungsprojekte der Hauptstadt geworden. Jetzt steht es kurz vor seiner Vollendung.
Ursprünglich war es der Stadtteil, in dem traditionell der Warenumschlag zwischen Umland und Zentrum abgewickelt wurde. Von hier aus wurden zum Beispiel Les Halles beliefert. Mit der Zeit änderten sich die industriellen Techniken und damit naturgemäß die Anforderungen. Als Paris 1988 einen Ort für die neue Nationalbibliothek suchte, fand man ihn hier. Den architektonischen Wettbewerb zu diesem Großprojekt Mitterrands, den Dominique Perrault gewann, kann man heute als den ersten Versuch einer radikalen Neuordnung dieses Teils der linken Seine-Seite sehen.
Avenue de France
Inzwischen ist durch die aufwendige Teil-Überbauung der Austerlitz-Gleisanlagen eine das ganze Viertel durchziehende Verkehrsachse entstanden, die Avenue de Franc. Links und rechts davon Bürobauten mit insgesamt 900.000 Qua-dratmetern Arbeitsfläche. Dazu über 5000 Wohnungen, davon 50 Prozent sozialer Wohnungsbau, verschiedene Fakultäten mehrerer Hochschulen, kommerzielle Angebote und Grünflächen. Alles unter der Maßgabe, eine ausgewogene soziale Durchmischung zu erreichen und die schier unüberwindliche Trennung von oberem und unterem 13. Bezirk zu beseitigen. Durch die Überbauungen der Gleise ist man dem sehr nahegekommen.
Von den vielen ehemaligen Hafenanlagen, Güterbahnhöfen, Kühlanlagen, Werkstätten, Mühlen und Lagerhallen sind nur die schützenswerten erhalten geblieben. Dafür wurden diese un-ter Denkmalschutz gestellt. Während die mehrheitlich städtische Entwicklungsgesellschaft (SEMAPA) den Investoren bei der architektonischen Gestaltung anfangs weitgehend freie Hand ließ – wohl um Schwung ins gigantische Projekt zu bringen –, wurden die Ausschreibungen später wagemutiger formuliert. So fühlt man sich heute in den beiden letzten der vier Entwicklungszonen, hin zur Autobahn im Süd-Westen, stellenweise wie in einer überdimensionalen Bauausstellung mit Schwerpunkt „Experimentale Fassadengestaltung“.
Gebautes Manifest
Dagegen hebt sich das im Oktober 2024 als eines der vorerst letzten Projekte von „Paris Rive Gauche“ fertiggestellte Wohngebäude „Wood Up“ unaufgeregt ab. Es stammt von LAN und wirkt auf den ersten Blick simpel. Eigentlich ist es nur ein leicht angeschrägter Quader, der durch seine sichtbare Trägerstruktur klar gegliedert ist. Mit großflächig uniformen Fenstern und innenliegenden, umlaufenden Balkonen. Dadurch, dass die jeweilige Bodenplatte nur alle zwei Stockwerke nach außen hin sichtbar bleibt, wirkt das 14-stöckige Gebäude aus der Entfernung weniger massiv. In der Mitte hat der Baukörper eine große Öffnung mit einer Freifläche von immerhin 300 Quadratmetern. Da können die Bewohner ihrem Frühsport im Freien nachgehen. Mit Blick auf Paris. Diese ungewöhnliche Anordnung der Terrasse verleiht der Fassade eine gewisse Spannung und gibt dem Gebäude seine Unverwechselbarkeit. Solche Irritationen in einen ansonsten strengen strukturellen Rahmen zu integrieren, gehört zu den Markenzeichen von Benoit Jallon und Umberto Napolitano, den Gründern von LAN.
Der Entwicklungsgesellschaft ging es bei dieser Wettbewerbsausschreibung von Anfang an um ein hoch ambitioniertes Projekt. Hier, direkt an der oberen linken Seine-Seite in der Nachbarschaft der beiden High-Tech-Türme „Duo“ von Jean Nouvel, sollte ein hoher Wohnturm aus Holz entstehen. Mit einer Höhe von 50 Metern ist es eines der ersten Beispiele für ein vertikales Gebäude in Holzbauweise in Europa. Und der Möglichkeit, das Thema emissionsarmes Bauen (Label BBCA) zu erforschen. Ein gebautes Manifest war gewünscht. Ein Modell für zukunftsgerechtes Bauen.
Auf diese Weise sind 132 Wohnungen entstanden. Vom 1-Zimmer-Apartment bis zur 5-Zimmer-Luxusherberge. Einige davon – an den Ecken des Gebäudes – in Duplex-Ausführung. Um eine Vielschichtigkeit von Wohnungsbesitzern sowie Mietern zu erreichen, wurden unterschiedliche Wohnungstypen direkt nebeneinander auf jeder Etage angeboten. Basierend auf einem Strukturraster von 3,90 Metern bieten sie nicht nur angenehme Deckenhöhen und Wohnungsgrundris-se, sondern auch die Möglichkeit, Wohnraum langfristig vertikal zusammenzulegen oder zu trennen. Die Architekten wollten mit „Wood Up“ eine Form kollektiven Wohnens vorstellen, das die Qualitäten und Vorteile eines Einfamilienhauses verspricht. Darüber hinaus aber Gemeinschaftsräume bietet, die die soziale Interaktion fördern, wie sie sonst in Wohntürmen oft fehlt. Ein Dachgarten von 700 Quadratmeter, 300 Quadratmeter Terrasse im 8. Stock, ein großer Eingangsbereich, dazu die 800 Quadratmeter privat genutzte Balkone und 500 für die Allgemeinheit. Da dürfte wohl jeder sein Plätzchen finden, um mit dem Nachbarn zu plauschen.
Holz aus französischen Wäldern
Für das experimentelle Holzhochhaus wurde nach vielen Analysen und Versuchen eine sorgfältig durchdachte Mischung gewählt, die die spezifischen Eigenschaften jeder Holzart berücksichtigt sowie ihre jeweilige Rolle innerhalb der Struktur: Die Innenpfosten bestehen aus druckfester Buche, die Innenbalken aus biegefester Fichte, die Außenpfosten und Verkleidungselemente aus feuchtigkeitsbeständiger Douglasie. 360 Kubikmeter Holz wurden insgesamt für die Konstruktion, 50 Kubikmeter für die Verkleidung verwendet. Alles aus französischen Wäldern. Ökologisch sinnvoll über den Fluss angeliefert.
Natürlich kamen auf der Baustelle auch ande-re Baustoffe zum Einsatz. Holz als Konstruktionsmaterial liefert Vorteile bei Umwelt und Kosten. Es absorbiert CO2 beim Wachstum und speichert Carbon während der kompletten Lebensdauer eines Gebäudes. Bei Wood up wur-den 60 Prozent des CO2 gegenüber Beton eingespart. Darüber hinaus kann die Verwendung von Holz lokale Ökonomie unterstützten, wenn sie eingebunden wird. Doch bei der außergewöhnlichen Höhe und Masse dieses „Versuchshauses“ – die Pariser Höhenbegrenzung wurde in diesem Teil von „Paris Rive Gauche“ auf 50 Meter erweitert – war die Verwendung von Beton mit niedrigem Kohlenstoffgehalt und Stahl noch unvermeidlich. Zum Beispiel im Bereich „des Lochs“ – der offenen Terrasse auf halber Gebäudehöhe. Oder den vertikal durchlaufenden Aussteifungswänden, die die Resistenz des Gebäudes gegenüber Wind, Erddruck, Verkehrsbelastung oder Erdbeben verstärken. Ebenso beim Sockel, der vollständig aus Beton gegossen wurde und den erheblichen Geländeabfall zum Seine-Ufer hin von sieben Metern ausgleichen muss.
Demonstration der Möglichkeiten
Den Architekten haben die Erfahrungen mit der Entwicklung und der Realisation des Gebäudes gezeigt, wie mühsam das Bauen mit Holz heute noch ist. Ein Großteil geltender Regeln lässt sich nicht übertragen. Normen und Zertifikate müssen neu erstellt werden. Der auf Holzbau spezialisierte Bauherr „REI Habitat“ musste zum Beispiel Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in Auftrag geben, um die Feuerbeständigkeit verschiedener Produkte zu belegen. Überraschend: Die Nachfrage nach einigen Holzarten ist in solchen Massen gestiegen, dass manchmal Lieferprobleme die Bauphase verzögern können. Trotzdem: Mit dem Wohnturm im Rahmen der Entwicklung von „Paris Rive Gauche“ eine überzeugende Demonstration der Möglichkeiten gelungen, dass Architektur eine entscheidende Rolle bei dem Schutz unseres Planeten spielen kann.
Fakten
Architekten
LAN – Local Architecture Network, Paris
Adresse
1 Bd du Général d'Armée Jean Simon, 75013 Paris, Frankreich
aus
Bauwelt 24.2025
Artikel als pdf
x
Bauwelt Newsletter
Immer freitags erscheint der Bauwelt-Newsletter mit dem Wichtigsten der Woche: Lesen Sie, worum es in der neuen Ausgabe geht. Außerdem:
- » aktuelle Stellenangebote
- » exklusive Online-Beiträge, Interviews und Bildstrecken
- » Wettbewerbsauslobungen
- » Termine
- » Der Newsletter ist selbstverständlich kostenlos und jederzeit wieder kündbar.
Beispiele, Hinweise: Datenschutz, Analyse, Widerruf
0 Kommentare