Bauwelt

Raum-Kunst-Erlebnis anno ’42

Kieslers Surrealist Gallery als 1:3-Modell in Wien

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Die Surrealist Gallery als 1:3-Modell, angefertigt 1997 vom Los Angeles County Museum.
Foto: Gerd Zillner, Kiesler Stiftung Wien, 2011

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Die Surrealist Gallery als 1:3-Modell, angefertigt 1997 vom Los Angeles County Museum.

Foto: Gerd Zillner, Kiesler Stiftung Wien, 2011


Raum-Kunst-Erlebnis anno ’42

Kieslers Surrealist Gallery als 1:3-Modell in Wien

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

„I want Your help“, schrieb Peggy Guggenheim Anfang 1942 an Friedrich Kiesler. Der österreichische Künstler, Architekt und Bühnenreformer lebte seit 1926 in den USA und hatte sich einen Namen als Integrationsfigur der künstlerischen Avantgarde gemacht sowie als Visionär von Raumschöpfungen, die in der Regel unrealisiert blieben.
Hilfe benötigte die 1941 aus Frankreich emigrierte Kunstsammlerin und Mäzenin für die Präsentation ihrer im Aufbau befindlichen Sammlung aktueller surrealistischer und abstrakter europäischer Kunst in zwei Geschäftslokalen in New York.
Kiesler erarbeitete in kürzerster Zeit ein Konzept. Das von Guggenheim prägnant als Art of This Century bezeichnete Galerie-Museum umfasste unter anderem eine Abstract Gallery – in Schnüre zwischen Decke und Boden konnten die Arbeiten von Ozenfant, Pevsner oder Kandinsky flexibel eingehängt werden – und eine Daylight Gallery mit einem an Posterständer erinnernden System zum Durchblättern von hintereinander angeordneten Bildern. Spektakulärer Hauptraum aber war die Surrealist Gallery. Friedrich Kiesler kleidete dafür einen schmalen Raum mit konkaven Holzschalen aus Eukalyptusfurnier aus, die vor den Längswänden schwebten; unter die Decke wurde ein ebener Holzschirm montiert. Bilder von Max Ernst, Yves Tanguy, Leonora Carrington und anderen ließ Kiesler – gemäß Guggenheims Auflage ohne Rahmen – auf verstellbaren Wandhalterungen aus diesen Holzschalen förmlich herauswachsen. Die Kunst kam dem Betrachter somit auf Augenhöhe und in ergonomisch idealer Position entgegen.
Um den aktiven Wahrnehmungsprozess zu steigern, ersann Kiesler zudem eine Lichtregie, die verhindern sollte, dass die Galeriebesucher mehrere Bilder gleichzeitig (und eventuell nur flüchtig) betrachteten. Einzelne Werke wurden für dreieinhalb Minuten beleuchtet und versanken danach wieder im Dunkeln. Und als wenn diese Sinnesreizung nicht genug wäre, legte Kiesler noch eine verfremdende akustische Kulisse in den Raum: Zyklisch ertönte der triviale Sound eines herannahenden Zuges. Mit ähn­lichen Formen der Verschmelzung von Kunst, Raum und Klang experimentierte zeitgleich auch Marcel Duchamp, Kieslers Schöpfung jedoch wurde intensiver, wenngleich sehr kontrovers rezipiert. Die Vogue nutzte den Raum 1943 für Modestrecken, die Fotografin Berenice Abbott hielt ihn in mehreren Serien fest. Beim Galerie-Publikum stießen allerdings die als gängelnd empfundenen Licht- und Toneffekte auf Ablehnung, sie verschwanden recht bald. Und Peggy Guggenheim schloss die Galerie bereits 1947, als sie nach Venedig übersiedelte.
Heute stellt Kieslers theatralische Rauminszenierung im Dienste der Kunst einen geradezu auf­begehrenden Gegenpol zur vorherrschenden, atmosphärisch längst ermüdeten Kunstpräsentation im neutralen White Cube dar. Zurzeit bietet sich in der Österreichischen Friedrich und Lillian Kiesler-Pri­vatstiftung in Wien die Gelegenheit, die „Surrealist Gallery“ in einer aufgeschnittenen, begehbaren Modellrekonstruktion im Maßstab 1:3 erneut zu erleben. Die Stiftung hat 1997 den Nachlass Kieslers, der aus über 18.000 Dokumenten besteht, erworben und nach Österreich zurückgeholt. Sie ist interna­tional vernetzt – das Modell wurde 1997 vom Los Angeles County Museum for Arts angefertigt – und vorbildlich bemüht, Impulse aus dem vielfältigen Schaffen Friedrich Kieslers für aktuelle Diskurse in Architektur und Kunst neu aufzuschließen.
Fakten
Architekten Kiesler, Friedrich, (1890–1956)
aus Bauwelt 34.2011
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