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Leuchtend grau und irgendwie gelb

Sofie Thorsens "Achromatic Island"

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Sofie Thorsen

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Sofie Thorsen


Leuchtend grau und irgendwie gelb

Sofie Thorsens "Achromatic Island"

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Was und wie sehen Menschen unter vollkommener Abwesenheit von Farbe? Und welche (kulturtechnischen) Kompensationen greifen, um dennoch Farben empfinden, über Farben kommunizieren zu können?
Rund 3000 Menschen sollen in Deutschland an völliger Farbenblindheit, der Achromatopsie, leiden, berichtete die Süddeutsche Zeitung Anfang 2009. Dieser genetische Defekt, der das Auge zwingt, im konstanten Nachtmodus zu arbeiten, beruht auf dem Umstand, dass nur eine Art der Photorezeptoren in der Netzhaut des erkrankten Auges vorhanden ist: die sehr lichtempfindlichen Stäbchen. Es fehlen jedoch die weniger lichtempfindlichen Zapfen, die zwischen Wellenlängen- und Intensitätsunterschieden differenzieren können und somit die Farbwahrnehmung und das Sehen bei Tage sicherstellen. Die Achromatopsie bedingt über die Farbenblindheit hinaus eine schlechte Sehschärfe, Fixationsprobleme und eine Überempfindlichkeit gegen helles Licht.
Was und wie sehen Menschen unter dieser vollkommenen Abwesenheit von Farbe? Und welche (kulturtechnischen) Kompensationen greifen, um dennoch Farben empfinden, über Farben kommunizieren zu können? Die dänische Künstlerin Sofie Thorsen zeigt derzeit im Kunstverein Langenhagen bei Hannover einen Film und verschiedene Fotoserien, die Annäherungen an die speziellen Wahrnehmungsformen unter Achromatopsie darstellen. Thorsen fand ihr Material auf der dänischen Insel Fur, deren isolierte 1000-Seelen-Population bis in die 1930er Jahre von einer über Generationen vererbten Farbenblindheit betroffen war. Thorsen lebt zwar seit 1999 in Wien, ist aber 1971 auf einer Nachbarinsel geboren und aufgewachsen. Sie weiß seit Kindertagen aus Erzählungen und von Besuchen auf Fur über die verbreitete Krankheit. Dort traf sie im Jahr 2009 auch den letzten mit der Krankheit geborenen Bewohner, mittlerweile ein älterer Herr. Nach Interviews mit weiteren Betroffenen entstand mit einem professionellen Filmteam der Schwarzweiß-Film 'achromatic island'. Er zeigt Bildfolgen von der Insel in beirrender Diffusität und fehlender Tiefenschärfe, dank der analogen Aufnahmetechnik in High-Definition-Qualität aber auch ein Spektrum von intensiven, geradezu leuchtenden Grauschattierungen, die eine zeitgenössische, an farbigen Digitalbildern trainierte Rezeption um eine unbekannte Erfahrung erweitert.
Den komplexen Erzählstrang über die Insel Fur ergänzend zeigt Thorsen unter anderem Landschaftsbilder, die sie mit einer russischen Lomo mit neun kleinen Objektivlinsen aufgenommen hat. Diese analoge Kamera wurde unter Wiener Kunststudenten in den 1990er Jahren zum Kult, da sie mit extremer Lichtstärke und simpler Technik Schnappschüsse in allen Lebens- und Beleuchtungssituationen ermöglichte. Thorsen setzt die Lomo aber nicht für Zufallsergebnisse ein, sondern mit körnig schwarzweißem Film und Fotopapier für genaue Situationsbilder und erzielt so pointilistisch anmutende Resultate. Die Mosaikeffekte folgen eben nicht wie digitale Pixel einem sturen quadratischen Schema, sondern geben immer wieder kleine, versetzte Teile des Gesamtbildes wie in einer leicht bewegten Abfolge wieder.
Natürlich sind diese Schwarzweiß-Sichten künstlerische Äquivalente oder allenfalls Hypothesen für eine mögliche Wahrnehmung unter Achromatopsie, da diese schlechterdings nicht objektivierbar ist. Sie stellen aber auch unsere plumpe Bildgläubigkeit in Zeiten digitaler (Nach-) Bearbeitungen in Frage und beschwören eine vergessene Qualität historischer Schwarzweiß-Fotografien. Denn ähnlich wie beim Betrachten dieser Fotos eine mitunter viel farbigere Welt im Kopf des Betrachters entsteht, scheinen die Farbenblinden ihre Wahrnehmung gleichfalls nicht als monochrom zu empfinden. Sie haben nicht nur rational gelernt, dass die oberste Leuchte der Verkehrsampel 'rot' ist. 'Ich sehe nicht schwarzweiß' lautet auch ein Kommentar eines Farbenblinden in Sofie Thorsens Protokollen. Denn atmosphärisch imaginiert wird die Flora im Vordergrund einer Landschaft als 'irgendwie gelb' beschrieben.
Fakten
Architekten Thorsen, Sofie, Wien

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