Bauwelt

„Italien, was für ein schönes Land – das will ich demystifizieren“

Italien

Text: Geipel, Kaye, Berlin

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    Die Hauptattraktion im französischen Pavillon: das Modell der "Villa Arpel" aus Jaques Tatis Film "Mon Oncle" (1958)
    Andrea Avezzù Courtesy la Biennale di Venezia

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    Die Hauptattraktion im französischen Pavillon: das Modell der "Villa Arpel" aus Jaques Tatis Film "Mon Oncle" (1958)

    Andrea Avezzù Courtesy la Biennale di Venezia

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Ausstellungsmodelle und Spielzeugsammlung im Büro von Zucchi

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Installation mit Sitzbank im Garten

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Installation mit Sitzbank im Garten


„Italien, was für ein schönes Land – das will ich demystifizieren“

Italien

Text: Geipel, Kaye, Berlin

Interview mit Cino Zucchi über das Pavillonthema "Innesti/Grafting"
Die Moderne der letzten 100 Jahre hat die Eigenheiten der nationalen Architekturen förmlich weggesaugt – so das Thema der diesjährigen Biennale. Sie weichen dieser Behauptung elegant aus. Italien habe eine „anomale Moderne“ vorzuweisen. Was bedeutet das?
Ich erzähle Ihnen eine Geschichte. Vor einigen Jahren organisierte die niederländische Botschaft im Palazzo Clerici in Mailand ein Symposium. Ben van Berkel sprach über die holländische Architektur, ich sollte über die italienische sprechen. Ich startete mit zwei Bildern. Das erste Foto zeigte die Freiluftschule von Johannes Duiker in Amsterdam von 1930, das zweite die Casa del Fascio von Giuseppe Terragni in Como von 1936. Niederländische und italienische Moderne. Beide, so erklärte ich, benutzten die moderne Skelettbauweise. Aber Duiker interpretierte das offene Rahmenwerk im Sinn von: „Lass Sonne rein, mach es transparent, möglichst gesund und offen!“ Terragni ging ganz anders vor. Er sah im Skelettbau eine Fortführung der klassischen Architektur. Ihm war die zeitlose Struktur wich­-tig. Und ich sagte dann, zugegeben etwas plakativ: Die niederländischen Calvinisten bauen ikonophobisch und wir Katholiken ikonophil. Was ich damit meinte: es gab eine Zeit, in der man von den nationalen Eigenschaften der Architektur sprechen konnte.
Gibt es diese Eigenschaften noch in der italie­nischen Architektur?
Wenn man es von der Architektursprache her betrachtet, ist das Thema heute erledigt. Es gibt keine spezifisch italienische Architektur mehr. Sehen Sie sich die jungen Architekten an. Die Kultur der jungen Generation ist global geprägt. Die horizontale Dimension des Internets ist heute viel stärker als die vertikale genealogische Achse einer einheimischen Architekturentwicklung.
An die Stelle einer alle Eigenheiten absorbierenden Moderne setzen Sie aber – im Umgang mit den Erneuerungsphasen des 20. Jahrhunderts – eigene italienische Motive. Sie sprechen vom Prinzip des „Innesti“ und von „grafting“.
Der Titel meiner Ausstellung bedeutet „transplantieren, aufpfropfen“. Es geht mir um die Metamorphosen städtebaulicher Veränderung. Die Moderne hat aus meiner Sicht, wenn auch nicht in jedem Fall, so doch oft versucht, Probleme zu generalisieren. Auf der Basis eines Programms wurden universale Prototypen generiert. „Zählen wir, wie viele Kinder es gibt in einem Quartier, messen wir den Winkel des Sonneneinfalls, berechnen wir die Härte des Stahls, der beim Konstruieren zum Einsatz kommt und addieren wir Hunderte solcher Faktoren, dann ergibt sich am Schluss ganz von selbst das richtige Projekt.“ So sollte das funktionieren. Die Moderne hat sich aber zu wenig mit den realen Umständen vor Ort, mit „dem Boden“ beschäftigt. Der Schlüssel zur italienischen Moderne liegt woanders. Das geschichtlich Vorhandene war derart prägend, dass es die Architekten nicht übersehen konnten. Die Moderne musste mit den gegebenen historischen Strukturen umgehen.
Wie werden Sie dieses Thema in der Ausstellung umsetzen?
Ich bespiele die beiden großen Hallen neben den Giaggandre von Jacopo Sansovino. Gleich am Eingang wird es eine architektonische Installation geben. Ich werde etwas vor die historische Struktur „transplantieren“: ein neues Portal aus Corten-Stahl. In der ersten Halle geht es um die italienische Architektur der letzten hundert Jahre, vor allem aber geht es um die städtebauliche und architektonische Entwicklung von Mailand. Ich erzähle diese Geschichte in sieben Kapiteln. In der zweiten Halle zeigen wir die fragmentierte Gegenwart der städtebaulichen Landschaft in Italien. Man sagt ja so gern: „Italien, was für ein schönes Land.“ Dieses Label will ich demystifizieren. Klar, das war auch nützlich für den Tourismus. Aber historisch gesehen ist es eine Simplifizierung.
Eine ganze Reihe von Länderpavillons fokussieren bei dieser Biennale auf die 60er Jahre. Auch für Sie scheint die Nachkriegszeit am Beispiel Mailands ein Schlüssel der Architektur des 20. Jahrhunderts zu sein. Warum?
Mailand wurde im Zweiten Weltkrieg sehr stark zerbombt. Das war 1943. Wenn man etwa die Nachkriegsentwicklung Mailands mit Dresden vergleicht, entdeckt man interessante Unterschiede. In Dresden wurden historische Bauten wieder aufgebaut. Aber daneben gab es Quartiere, die sehen aus wie von Hilberseimer. Denken Sie an die Prager Straße.
Mailand hat einen anderen Weg eingeschlagen, der darauf abzielte, die vorhandene Stadtstruktur zu bewahren und daraus etwas Neues zu machen. Also etwas zu transplantieren. Es gibt zum einen den städtischen Sockel. Auf der Höhe des Erdgeschosses folgen die Neubauten fast wörtlich den historischen Konturen des Straßenbilds. Und dann gibt es die Architektur weiter oben, die sich von der Geschichte ablöst. Es ist eine moderne Doppelstrategie, die Gino Pollini, Asnago Vender, Gio Ponti und Luigi Moretti verfolgt haben. Immer dann, wenn die frei stehenden Formen auf den Boden tref­fen, verändern sie völlig ihr Gesicht. Am Boden ist es historisch, und wenn du nach oben guckst, dann ist es auf eine verrückte Art modern. Das ist für mich Transplantieren, darin liegt für mich die besondere Aktualität.
Bis heute?
Ich weiß, dieses Konzept wird heute auch als kommerzielle Strategie verwendet. Das meine ich aber nicht. Mir geht es um den Konflikt zwischen historischer und moderner Architektur, den das damalige Bauen exemplarisch deutlich gemacht hat und den wir heute wieder nutzen können.
Das Interview führte Kaye Geipel
Fakten
Architekten Zucchi, Cino, Mailand
aus Bauwelt 21.2014
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