Bauwelt

Ist nach der Krise vor der Krise?

Sym­­po­sium „New Babylon“ am KIT in Karlsruhe

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

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"Levittows" – Foto aus dem Buch: „Second Suburb – Levittown Pennsylvania“ von Diane Harris, University of Pittsburgh Press; 1 edt. (April 28, 2010)

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"Levittows" – Foto aus dem Buch: „Second Suburb – Levittown Pennsylvania“ von Diane Harris, University of Pittsburgh Press; 1 edt. (April 28, 2010)


Ist nach der Krise vor der Krise?

Sym­­po­sium „New Babylon“ am KIT in Karlsruhe

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

Wie soll es weitergehen mit der Architektur und mit den Städten „nach der Krise“? So wurde am 1. Februar am KIT in Karlsruhe gefragt, und obwohl (oder weil?) der Titel des Symposiums „New Babylon“ eher wie ein Alarmsignal klang, war die Neugier enorm.
Vorwiegend studentisches Publikum füllte den größten Hörsaal der Architekturfakultät bis zur letzten Reihe und wurde auch gleich mit Indikatoren des Schreckens eingedeckt. Von den 700.000 leeren Wohnungen in Spanien über die ungebremste Privatisierung kommunaler Infrastrukturen bis zur Frage, ob die Occupy-Bewegung im Verbund mit elektronischen Netzwerken neue Räume für Öffentlichkeit fordert oder schon schafft: Das ganze Sorgenspektrum war ausgebreitet. Es fällt ja auch wirklich nicht schwer, aus jeglicher Meldung, die uns allein aus dem EU-Raum täglich heimsucht, immer gleich eine Relevanz für das Planen und Bauen herzuleiten: enorme Arbeitslosigkeit, Überlastung der Sozialsysteme, wachsende Migration. Oder die Kapitalflucht aus Krisenstaaten, welche nun zu Spekulationsblasen („Betongold“) in den noch „intakteren“ Ländern führt.
Leider schienen auch die Veranstalter von solchem Ausmaß an Krise überfordert. Natürlich hatte niemand die umfassende Wegweisung an irgendein „sicheres Ufer“ erwartet. Aber eine stringentere Auswahl an Experten für Einzelfragen, die aufeinander bezogen so etwas wie einen gemeinsamen Suchprozess hätten andeuten können, wäre hilfreich gewesen. Keiner illustrierte dieses ratlose Stochern im Zukunftsnebel besser als der Eröffnungsredner. Mit Jón Gnarr haben sich die Einwohner Reykjaviks einen Schauspieler, Komödianten und Punk-Musiker zum Bürgermeister gewählt. Es heißt ja, Island hätte nach seinem Bankencrash die Stabilisierung irgendwie geschafft, doch der amtierende Amateurpolitiker gab bloß eine Lektion in Stimmungsmanagement, lobte Kooperation statt Konkurrenz und kreatives Denken, das sich weder vor Anarchie noch Surrealismus fürchtet. Reykjavik ist weit, niemand weiß so genau, wie es dort wirklich aussieht.
Kaum weniger enttäuschend Andres Lepik, München, dem als Museumsdirektor auch für architektonische Zukunftsforschung nur bereits „gesicherte“ Avantgardisten in den Sinn kommen – Francis Keré, Michael Maltzan, Rural Studio usw. Da waren andere historische Zugriffe frischer – Regina Bittner, Dessau, und Michael Zinganel, Graz, etwa mit ihrer Sozialgeschichte der Levittowns, in deren kleinbürgerlicher Uniformität tatsächlich ein Kulturprojekt steckte, der Beitrag eines patriotischen Unternehmers zur moralischen Aufrüstung der USA im Kalten Krieg: Auch eine Form von Krisenbewältigung. Ähnlich provozierend die klugen Reflexionen von Charles Waldheim, Harvard, über Mies van der Rohe und Ludwig Hilberseimer, die bereits 1957 mit ihrem Lafayette-Park nach einer radikal modernistischen Therapie gegen den katastrophalen Niedergang Detroits suchten.
Andere Redner nahmen es direkt mit der Zukunft auf. Peter Mörtenböck, Wien, fragte nach einer mehr als nur symbolischen Wirkung, wenn Attac-Aktivisten ihre Camps am Ende doch nur auf amtlich zugelassene Protestflächen setzen, während Polizeiketten das Funktionieren der Wall Street sichern. Weniger skeptisch Dan Hill, ein vielbeschäftigter Organisationsberater: Mit Volxküchen, Guerillagardening oder Crowdfunding will er Institutionen umkrempeln, ausdrücklich nicht das System. Der neue Slogan lautet nämlich „Small is resilient“. Trotzdem setzt Stefan Rettich, Leipzig/Bremen, auf vernünftigeres Regieren, von dem er Rezepte gegen das Auseinanderdriften von realer und politisch arrangierter Welt erwartet. Seine für die IBA 2010 entwickelte „Republic of Harz“ illustriert dieses Missverhältnis am Beispiel einer historisch gewachsenen Ferienregion, die zwischen drei Bundesländern aufgeteilt einfach keine Fahrt aufnehmen kann. Ähnlich utopische Phantasien entwickelte Sabine Müller von SMAQ Architekten aus Berlin leider an der urbanistisch völlig irrelevanten Palm Jumeira, jener fächerartigen Landaufschüttung vor der Küste Dubais, deren Millionärsdatschen man vielleicht besser allmählicher Verwitterung überlassen sollte, künftigen Generationen zur Mahnung.
Blieben noch zwei, die den „Wandel als Chance“ tatsächlich von uns selber forderten: Klaus Overmeyer, Berlin, hat sich mit seinem Studio Urban Catalyst zum Experten für Improvisation und Aneignung noch der abgewracktesten Restbestände entwickelt. Kein Wunder, dass er „die Krise gar nicht so schlimm findet“, ist sie es doch, die seiner Devise „Gebrauchen statt Besitzen“ ständig neue Wege öffnet. Und schließlich Muck Petzet: Der Münchner ist nach seinen Umbauerfahrungen mit Leinefelde und Hoyerswerda, vor allem aber nach seinem Pavillon zur Architekturbiennale 2012 nun als vehementer Botschafter einer neuen Ethik unterwegs: Ganzheitlich denken, Graue Energie mitzählen, „Effizienz“ nicht länger vergöttern, Standards senken. Sein radikalstes Credo: Neubau vermeiden, solange Instandhaltung reicht! Vielleicht hätten die Veranstalter ihn als Berater für das Symposium engagieren sollen. So aber musste das Hin und Her der Beiträge vor allem Verwirrung stiften. War „New Babylon“ wirklich so gemeint? Aber vermutlich erfüllte sich auch in Karlsruhe bloß jene abschließende Diagnose, der zufolge man von Planung nur vor einer Krise reden sollte. Oder danach. „In der Krise selbst kann man Planung vergessen!“ (Waldheim)

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