Bauwelt

„Inbrünstige Liebe zur Weltkultur“

Zeichnungen russischer und sowjetischer Architekten in Berlin

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

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Jakow Tschernichow, Architekturphantasie, 1930-40er Jahre, Bleistift, 99 x 98 (Ausschnitt)

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Jakow Tschernichow, Architekturphantasie, 1930-40er Jahre, Bleistift, 99 x 98 (Ausschnitt)


„Inbrünstige Liebe zur Weltkultur“

Zeichnungen russischer und sowjetischer Architekten in Berlin

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

Die Piranesi-Blätter, mit denen das neue Berliner Museum für Architekturzeichnung seine Eröffnung feierte, waren ein einziges Fest für die Augen. Bei der zweiten Ausstellung geht es didaktischer zu.
Für diese gibt es einen klaren historischen Rahmen, ein Thema und eine These. Gezeigt werden Zeichnungen russischer und sowjetischer Architekten vom Beginn bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts. Das Thema „Architektur im Kulturkampf“ meint den Richtungsstreit zwischen Neoklassizisten und Konstruktivisten, deren Konkurrenz im Sowjetrussland der 20er und frühen 30er Jahre zwar allgemein bekannt, aber en detail noch kaum erklärt worden ist.
In den zwei Kabinetten des Museums sind 79 Blätter aus den besagten Jahrzehnten in chronologischer Folge zu sehen. Mit Iwan Scholtowski, Iwan Fomin, Boris Iofan, Wladimir Gelfrejch oder Noi Trotzki überwiegen Traditionalisten, die fast alle ihre Skizzenbücher auf Italienreisen gefüllt hatten. Dagegen antretende Konstruktivisten wie Andrej Burow oder Kirill Afanassjew gehören zur zweiten Reihe dieser weltweit bestaunten Avantgarde.
Iwan Leonidow, eine ihrer Lichtgestalten, steht mit einer späten „Phantasie“ für das UN-Gebäude in New York einsam als unverbesserlicher Träumer da. Nur bei Alexej Schtschussew lassen verschiedene Skizzen für das Leninmausoleum auf mehrere Seelen in seiner Brust schließen. Dass es nach dem Krieg unter den Schülern der neoklassischen Altmeister nur noch epigonal zuging, belegen Blätter von Boris Schurawljow oder Leonid Poljakow.
Mittendrin, als große Überraschung, eine Suite von zehn Bleistiftminiaturen! Gespenstische Holzmühlen und fiktive Fabriken, die, aus schiefen Balken und Brettern gebaut und vom Einsturz bedroht, „das Gefühl einer dunklen Bedrohung“ vermitteln. Spukhafte Alpträume, zu Papier gebracht von Jakow Tschernichow, Industriearchitekt und Zeichenlehrer am Moskauer Architekturinstitut (MArchI). Seine Notate einer inneren Emigration lassen ahnen, unter welch massivem Druck die Konkurrenz der Richtungen letztlich entschieden wurde.
Im sorgfältig edierten Katalog enthüllt Wladimir Sedow, Baugeschichtsprofessor am MArchI, die Botschaft dieser Kollektion: Nach seiner These haben die Großen der sowjetrussischen Architektur mit ihrer „lyrischen und inbrünstigen Liebe zur Weltkultur“, besonders aber zur Pracht und Opulenz römischer Palazzi und Veduten, im Grunde ihres Herzens stets dem Klassizismus angehangen. Der Konstruktivismus mit seiner Verachtung für den klassischen Kanon sei dagegen nur eine Art Experimentallabor gewesen, eine vorübergehende Phantasterei, die in ihrer „vorbehaltlosen Liebe zur Technik und Geometrie“ bar jeder „humanistischen Komponente“ die Mehrheit ihrer Zeitgenossen gar nicht erreichte. Weshalb beim ersten Wettbewerb zum Sowjetpalast 1932 der „weise Führer“ J. W. Stalin mit Iofans babylonischem Wolkenkratzer die Signale wieder auf Tradition setzen ließ und die Architekten „in ihrer Mehrzahl schnell und begeistert zu den Positionen der von oben vorgegebenen neoklassizistischen Architektur wechselten.“ Schnell und begeistert? Das ist starker Tobak.
Bevor man nun an die Revision allgemein ge­sicherter Positionen in Sachen Revolution und Avantgarde denkt, sei daran erinnert: Sämtliche Exponate stammen aus der Sammlung der Tchoban Foundation. Deren Gründer bekannte unlängst im Interview (Bauwelt 28.2013), es gehe ihm um den ästhetischen Genuss, selbst aus größeren Konvoluten würden „nur solche Highlights gewählt, die mich persönlich begeistern“. Diesem Auswahlprinzip sind nicht wenige Entdeckungen zu verdanken, großartige Blätter von geradezu betörender Kunstfertigkeit (an den Akademien von St.Petersburg oder Moskau hat sich die perfekte Darstellungskunst als eigenständiges Genre ja bis heute erhalten). Aber hört denn die Kunst bei Säule, Symmetrie und Rocaille auf? Fanden die kühlen Lineaturen der Konstruktivisten nicht zu genauso faszinierender Ästhetik, sobald man der Bewegung nur mit Wohlwollen begegnete? In Sedows These nun haftet dem revolutionären Aufbruch ein Makel an, „ein bitterer Beigeschmack des Dienens am Proletariat und seiner Diktatur“. Am Ende wirft er konstruktivistischen Entwürfen gar ihre Brauchbarkeit vor: „Diese Architektur kann gebaut werden, sie war zum Errichten fertig – und wurde in Hunderten von sowjetischen Städten gebaut.“
Da liegt es nahe, hinter der innigen Beschwörung von Schönheit und Stil heute mehr zu vermuten als nur kunsthistorische Bildung und Liebhaberei. Der Bezug auf die Heroen des „Silbernen Zeitalters“, der Belle Epoque des Zarenreichs, macht deutlich, mit welch romantischen Sehnsüchten und melancholischen Selbstbildern ein gediegenes Kulturbürgertum in der Sowjetgesellschaft überdauern konnte. Und mit welcher Konsequenz solche Bürgerlichkeit sich sogar noch rückwirkend von allen Experimenten linker Revoluzzer distanziert. Was Sedow hier dem Konstruktivismus als „dürftigen Stil“ anlastet, meint im Grunde wohl doch das soziale Projekt, dem die Avantgarde sich verschrieb. Architektur steht tatsächlich im Kulturkampf. Bis heute.

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