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„Ein außergewöhnlicher Anlass Außergewöhnliches zu fordern“

Interview mit Thomas Jocher

Text: Meyer, Friederike, Berlin

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Foto: KUNER public media GmbH

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„Ein außergewöhnlicher Anlass Außergewöhnliches zu fordern“

Interview mit Thomas Jocher

Text: Meyer, Friederike, Berlin

Juryvorsitzender Thomas Jocher zum Wettbewerb für die Olympischen Winterspiele 2018 in München
Herr Jocher, das Olympische Dorf von 1972 ist wegen seiner Architektur und der sozialen Durchmischung auch heute noch ein attraktives Wohnquartier. Inwiefern wurden die Entwürfe nach diesem Kriterium beurteilt?
Das Olympische Dorf von 1972 war ein richtiges Experimentierfeld mit kilometerlangen Terrassenhochhäusern über kilometerlangen Tunnels und Gemeinschaftsanlagen an fast jeder Ecke. Auch diesmal sollte das neue Dorf wieder einen modellhaften Charakter erhalten. Das Megathema Nachhaltigkeit stand jetzt zentral auf der Agenda. Zudem war wichtig, nicht nur an die Olympische Nutzung zu denken, sondern auch an das Danach. Olympia ist ein außergewöhnlicher Anlass auch Außergewöhnliches zu fordern.
Was war das Außergewöhnliche an der Aufgabe?
Die Aufgabe war hochkomplex. Die Erwartungen an die städtebauliche Dichte mit einer GFZ bis zu 3,0 waren auch für Münchner Verhältnisse sehr hoch. An zwei Seiten ist das Gebiet von sehr lauten, teilweise hochliegenden Straßen begrenzt. In der Mitte stehen Hunderte von schützenswerten Bäumen. An den Seiten befinden sich viele denkmalgeschützte Gebäude und dann lauert gegenüber noch der Bundesnachrichtendienst. Die Wohnungen mussten im olympischen, paralympischen und post-olympischen Modus dargestellt werden. Hinzu kamen die vielen temporären Anlagen, die nur zum Betrieb im Olympiamodus notwendig sind. Schließlich hat das IOC in einem 500 Seiten „Manual“ genaueste Funktionsabläufe vorgeschrieben. Die Entführung von 1972 in München hat die Sicherheitsauflagen stark erhöht.
Die Sieger, Leon Wohlhage Wernik, haben sechs Punkthochhausgruppen für das Olympische Dorf vorgeschlagen. War das eine Antwort auf diese Sicherheitsanforderungen?
Das hatte damit nichts zu tun. Aber es war eine Antwort auf die Forderung, den bestehenden Olympischen Park mit dem Olympischen Dorf gut zu verbinden und sehr viele Bäume zu erhalten. Die Lage ist im Mediendorf anders. Hier existiert ein städtebauliches Fragment, das vervollständigt werden sollte. Der Siegerentwurf hat zu Recht verschieden geantwortet: im Olympischen Dorf mit einer Ausweitung des Parks, im Mediendorf mit einer Ergänzung der innerstädtischen Bebauung.
Das im Städtebau viertplatzierte Büro Sakamoto, hat einen Entwurf abgegeben, der auf den ersten Blick an den favorisierten und nie realisierten Entwurf für die Werkbundsiedlung (Bauwelt 12.06, 15–16.06) erinnert. Wurde dies in der Jury diskutiert?
In der Jury wurde natürlich nicht der Name genannt, den vermutlich viele im Kopf hatten. Aber im Unterschied zur Werkbundsiedlung haben die Architekten im Olympia-Wettbewerb einen herausragenden, gut realisierbaren Wohnungsbau abgegeben. Sie haben allerdings durch die extreme Nord-/Südorientierung starke städtebauliche Zwänge hervorgerufen, die in der Jury nicht gut angekommen sind. Zudem haben sie auch im Mediendorf das gleiche Grundmuster übernommen. An dieser Stelle hatten wir uns eine andere Antwort erhofft.
Das Olympische Dorf soll laut Auslobung mindestens den Plusenergiestandard haben, das Mediendorf im Passivhausstandard errichtet werden. Hat das in der Jury wirklich eine Rolle gespielt?
Das Thema war tatsächlich viel mehr als ein kleiner verlegener Seitenhinweis zur Ökologie. Für die Frage der Nachhaltigkeit gab es eine genaue Vorprüfung durch Kollegen der TU Darmstadt. Auch in der Fachjury waren ausgewiesene Experten dabei.
Die Jury hat sechs gleichwertige Preise für das Mediendorf und fünf für die Architektur des Olympischen Dorfs vergeben. Das ist doch eigentlich keine Entscheidung?
Das war in der Auslobung genau so festgelegt. Neben dem Siegerentwurf sollten weitere Architekturbüros gleichrangig ausgewählt werden, um Partner für die Hochbauplanung zu finden.
Die Wohnungen sollen von städtischen Wohnungsbaugesellschaften zum Teil finanziert, gebaut und später auch verwaltet werden. Können diese sich dann aussuchen, welchen der Entwürfe sie realisieren möchten?
Jeder der Preisträger darf dort bauen, so steht es in der Auslobung. Natürlich dürfen sich die Wohnungsbaugesellschaften die einzelnen Kollegen raussuchen. Ich bin da sehr zuversichtlich, dass alle zum Zug kommen. Was verbirgt sich hinter der Frage?

Ich versuche es mir vorzustellen. Zwei ovale Türme von Léon Wohlhage Wernik stehen neben runden von Schneider+Schumacher oder eckigen von Sakamoto?
Nein, die städtebauliche Grundstruktur des Siegerentwurfes wird zugrundegelegt und die Architekten müssen sich an diesen Rahmen halten. Die Spielregeln sind eindeutig. Eine gestalterische Vielfalt ist erwünscht, aber keine dreieckigen Gebäude neben runden Gebäuden.

Was passiert, wenn die Bewerbung scheitert?
Dann wird das Olympische Dorf nicht realisiert. Aber das südlich gelegene Mediendorf wird gebaut, mit Woh­nungen, die keine olympische und paralympische Vornutzung haben. 
Fakten
Architekten Fink und Jocher, München
aus Bauwelt 4.2011
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