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Die Stadt zuerst!

Kölner Erklärung zur Städtebau-Ausbildung

Die Stadt zuerst!

Kölner Erklärung zur Städtebau-Ausbildung

Wenn in Deutschland Stadt gebaut wird, planen die Hauptverantwortlichen zumeist aneinander vorbei:
- Architekten planen solitäre Einzelbauten statt den Stadtraum zu ergänzen, in den sie sich einzufügen haben.
- Stadtplaner planen die Organisation von Prozessen, statt Stadträume zu entwerfen.
- Verkehrsplaner planen Verkehrs-Trassen, statt Stadtstraßen zu entwerfen.
Niemand also plant den konkreten Stadtraum: Die Stadt kommt zuletzt.
Tagtäglich entstehen in unseren Städten:
- Ungestaltete Stadträume
- Häuser ohne Adresse und ohne anschauliche Straßenfassade,
- Resträume, die weder privat noch öffentlich sind
- Abstellplätze für Müllcontainer an der Straßenecke,
- Autoschneisen in der Innenstadt,
- Supermärkte im Gewerbegebiet statt im Wohnviertel
Lebenswerte Stadträume aber entstehen so nicht.
Deutschland war noch nie so wohlhabend, seine Stadträume aber noch nie so armselig. Die Planungssysteme waren noch nie so ausgefeilt, die Bürger aber erhielten noch nie so wenig städtebauliche Qualität. Der heute üblichen Aufsplitterung der Planungsprozesse in zweidimensionale Funktionspläne, isolierte Fachplanungen und eine auf sich bezogene Architektur entspricht die Trennung der Fachgebiete in der Ausbildung: Im Zuge der Aufspaltung der Disziplinen hat sich das städtebauliche Wissen auf die unterschiedlichsten Fächer verteilt und wird heute an den Hochschulen nicht mehr in der nötigen integrierenden Weise gelehrt. Auf Seiten der kommunalen Verwaltung aber besteht ein dringender Bedarf an städtebaulich befähigtem Personal, der momentan nicht erfüllt wird!
Städtebau muss wieder in einer angemessen umfassenden Weise in den entsprechenden Ausbildungsgängen an den Hochschulen in Deutschland gelehrt werden. Übergreifendes Ziel der Städtebau-Ausbildung ist die Gestaltung des Stadtraums: Alle Anforderungen der Praxis und alle Disziplinen müssen im Hinblick auf den guten Stadtraum zusammen gedacht werden.
Um lebenswerte Stadträume, wie sie die europäischen Städte seit Jahrhunderten auszeichnen, auch zukünftig planen zu können, müssen die Studiengänge zu Architektur, Stadtplanung, Raumplanung sowie des Verkehrswesens in Zukunft wieder die folgenden Kernkompetenzen vermitteln:

1. Städtebauliches Gestalten
Das „Einmaleins des Städtebaus“ bildet den Sockel der Ausbildung. Es umfasst städtebauliches Gestalten vom gesamtstädtischen Maßstab bis zum konkreten Stadtraum aus Straße, Platz, Block und Haus. Es beachtet die Trennung und Beziehung von Öffentlichkeit und Privatheit als eine Grundbedingung des Städtischen. Es vermittelt urbane Straßen-, Platz und Parktypologien ebenso wie städtische Haus- und Fassadentypologien.
2. Architektur
Städtebau erfordert architektonisches Grundwissen: Notwendig ist eine Gebäudelehre mit einer Ausrichtung auf städtische Gebäudetypologien und einem Schwerpunkt auf urbanen Wohnhaustypologien sowie praktischem Nutzungswissen. Architektur ist Teil des urbanen Kontextes mit seinen vielfältigen und langfristigen Anforderungen – und nicht die Folge fantastischer subjektiver Einfälle.
3. Städtebaugeschichte
Städtebau gründet auf historischem Wissen, denn keine menschliche Kulturleistung ist so langlebig wie die Stadt. Relevant ist dabei die gesamte Städtebaugeschichte: Sie bietet vielfältiges Erfahrungswissen über unterschiedlichste Stadtformen. Gerade der langfristige Erfolg und die Alltagstauglichkeit bestehender städtebaulicher Konfigurationen prädestiniert diese für den zukünftigen Städtebau.
4. Lebendige Stadt
Städtebau benötigt den Austausch mit Gesellschafts-, Wirtschafts-, Politik- und Umweltwissenschaften, die für das Verständnis des Städtischen unerlässlich sind und die in direktem Bezug zur städtebaulichen Gestalt stehen. Denn die Stadtgestalt ist nicht autonom und lässt sich nicht unabhängig von diesen Aspekten der Stadt denken.
5. Verkehr
Städtebau braucht Kenntnisse der Verkehrsplanung, des Bauingenieurwesens und der Mobilitätskultur. Auch die verkehrstechnischen Anforderungen müssen in die Ansprüche an eine gute städtebauliche Gestalt eingebunden werden, denn die Bewegungsräume der Stadt – ihre Gassen, Straßen und Boulevards – tragen wesentlich zur Qualität und Atmosphäre der Stadt bei.
Fazit: Nur wenn die Akteure der Stadtentwicklung auch über das erforderliche städtebauliche Wissen verfügen, können wir hoffen, dass die städtebauliche Qualität der Städte in Deutschland gesichert und weiterentwickelt wird. Nicht einzelne Teildisziplinen, sondern umfassender Städtebau muss an den Hochschulen gelehrt werden:
Die Stadt zuerst!
Unterzeichner:
Dipl.-Ing. Franz-Josef Höing, Baudezernent Stadt Köln
Prof. Christoph Mäckler, TU Dortmund
Prof. Markus Neppl, KIT/Universität Karlsruhe
Prof. Dr. Franz Pesch, Universität Stuttgart
Prof. Dr. Wolfgang Sonne, TU Dortmund
Prof. Ingemar Vollenweider, TU Kaiserslautern
Prof. Kunibert Wachten, RWTH Aachen
Prof. Jörn Walter, Oberbaudirektor Freie und Hansestadt Hamburg
Prof. em. Peter Zlonicky, TU Dortmund
Köln im Mai 2014


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