Bauwelt

Kein Anhängsel oder Nachzügler

Der Deutsche Dominic Fritz ist Bürgermeister der rumänischen Stadt Timișoara, diesjährige Kulturhauptstadt. Im Interview spricht er über Chancen und Herausforderungen der Stadtentwicklung.

Text: Costadura, Leonardo, Berlin

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    Dominic Fritz 1983 geboren und im Schwarzwald aufgewachsen, kam für ein freiwilliges soziales Jahr erstmals nach Temeswar, bevor er in Konstanz, Paris und York Politikwissenschaften studierte. Er engagierte sich bei Bündnis 90/Die Grünen, arbeitete für die GIZ und von 2016 bis 2019 für den Bundespräsidenten a.D. Horst Köhler. 2020 wurde er als Kandidat der Antikorruptionspartei USR zum Bürgermeister von Timișoara gewählt.
    Foto: Rathaus Timișoara

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    Dominic Fritz 1983 geboren und im Schwarzwald aufgewachsen, kam für ein freiwilliges soziales Jahr erstmals nach Temeswar, bevor er in Konstanz, Paris und York Politikwissenschaften studierte. Er engagierte sich bei Bündnis 90/Die Grünen, arbeitete für die GIZ und von 2016 bis 2019 für den Bundespräsidenten a.D. Horst Köhler. 2020 wurde er als Kandidat der Antikorruptionspartei USR zum Bürgermeister von Timișoara gewählt.

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    Anlässlich des Kulturjahres hat die rumänische Architektenvereinigung eine vertikale Baumschule mit 1300 Pflanzen auf der Piaţa Victoriei (Siegesplatz) aufgestellt. Die monumentale Front links davon ist die des Nationaltheaters.
    Foto: Leonardo Costadura

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    Anlässlich des Kulturjahres hat die rumänische Architektenvereinigung eine vertikale Baumschule mit 1300 Pflanzen auf der Piaţa Victoriei (Siegesplatz) aufgestellt. Die monumentale Front links davon ist die des Nationaltheaters.

    Foto: Leonardo Costadura

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    Die zwei Jahrhunderte unter habsburgischer Herrschaft haben genauso wie die Ceauşescu-Dik­ta­tur ihre unübersehbaren Spuren hinterlassen.
    Foto: Leonardo Costadura

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    Die zwei Jahrhunderte unter habsburgischer Herrschaft haben genauso wie die Ceauşescu-Dik­ta­tur ihre unübersehbaren Spuren hinterlassen.

    Foto: Leonardo Costadura

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    Der Stadtteil Fabric soll saniert und entwickelt werden.
    Foto: Leonardo Costadura

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    Der Stadtteil Fabric soll saniert und entwickelt werden.

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    Wie die Attika des roten Gebäudes zeigt, war Temeswar einst eine Festungsstadt der Österreicher gegen die Osmanen. So ist die Altstadt kreisrund, hat ein rasterförmiges Straßennetz und wird „Cetate“, eben Festung genannt.
    Foto: Leonardo Costadura

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    Wie die Attika des roten Gebäudes zeigt, war Temeswar einst eine Festungsstadt der Österreicher gegen die Osmanen. So ist die Altstadt kreisrund, hat ein rasterförmiges Straßennetz und wird „Cetate“, eben Festung genannt.

    Foto: Leonardo Costadura

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    Im 19. und 20. Jahrhundert entwickelte sich eine starke Industrie, die auch heute noch die Wirtschaft der Stadt dominiert.
    Foto: Leonardo Costadura

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    Im 19. und 20. Jahrhundert entwickelte sich eine starke Industrie, die auch heute noch die Wirtschaft der Stadt dominiert.

    Foto: Leonardo Costadura

Kein Anhängsel oder Nachzügler

Der Deutsche Dominic Fritz ist Bürgermeister der rumänischen Stadt Timișoara, diesjährige Kulturhauptstadt. Im Interview spricht er über Chancen und Herausforderungen der Stadtentwicklung.

Text: Costadura, Leonardo, Berlin

Timișoara hat 300.000 Einwohner und liegt im Westen Rumäniens, in der historischen Landschaft Banat. Temeswar, wie es auf Deutsch heißt (ungarisch Temesvár), ist geprägt von einer multiethnischen Bevölkerung aus Rumänen, Deutschen, Ungarn, Serben, Roma und Bulgaren. Im Interview spricht Bürgermeister Dominic Fritz über den europäischen Genius loci Temeswars.
Herr Fritz, Sie sind 1983 in Lörrach geboren und wuchsen im Schwarzwald auf. Sie studierten Politikwissenschaften in Konstanz, Paris und York. 2020 wurden Sie zum Bürgermeister von Timișoara gewählt. Eine nicht gerade vorhersehbare Laufbahn. Erzählen Sie uns, wie es dazu kam.
Ich hatte das auch nicht vorgesehen. Ich bin zum ersten Mal vor 20 Jahren nach Temeswar gekommen. 2003 nach meinem Abitur wollte ich ein freiwilliges soziales Jahr im Ausland machen und hatte mich für Temeswar entschieden. Ich habe ein Jahr in einem Kinderheim gearbeitet und habe mich in diese Stadt verliebt, in ihren europäischen Geist. Mich hat es damals fasziniert, dass ich Deutsch sprechen konnte mit Leuten, die seit Generationen hier leben und Deutsch als Muttersprache haben. Mich hat die Geschichte der Revolution 1989 fasziniert. Ich bin dann immer wieder zurückgekommen, habe einen Verein gegründet, mich in verschiedene soziale und kulturelle Projekte eingebracht. Sehr spät, 2018/19 hatte ich die Idee, hier als Bürgermeisterkandidat anzutreten. Eigentlich hatte ich mir vorgestellt, mir jemanden zu suchen, den ich unterstützen könnte. Ich hatte vor, mir einige Monate frei zu nehmen, um im Wahlkampf mitzuhelfen. Dann hat sich aber keiner gefunden, der daran glaubte, dass man hier tatsächlich das Rathaus erobern könnte, und am Ende habe ich es selbst gemacht. Offenbar fanden die Temeswarer das eine gute Idee.
Sie haben eine genuin europäische Perspek­tive und Biographie. Welchen spezifischen Beitrag zur europäischen Kultur leistet Timișoara? Was macht die Stadt so besonders?
Ich sage immer, Temeswar hat europäische Werte geatmet und gelebt, Jahrhunderte, bevor man über die Europäische Union sprach. Das Besondere ist, dass hier mehrere ethnische Gruppen und auch mehrere Konfessionen friedlich zusammenleben. Es gibt hier Deutsche, Bulgaren, Rumänen, Ungarn, Serben, Slowaken, Ukrainer und so weiter, die natürlich jeweils ihr eigenes Brauchtum pflegen, aber auch in einer sehr vielfältigen Stadtgesellschaft zusammenleben. Diese Vielfalt hat dafür gesorgt, dass Temeswar immer eine sehr innovative Stadt war. Es war die erste Stadt Europas mit elektrischer Straßenbeleuchtung. Die Tatsache, dass hier die Revolution ihren Ausgangspunkt genommen hat, hat auch etwas damit zu tun, dass die Leute gewohnt sind, die Dinge in Frage zu stellen. Insofern ist es ein tolles Beispiel für den europäischen Gedanken der Einheit in Vielfalt. Diese Vielfalt prägt auch eine gewisse Neugier für die Welt. Und man lernt, die Welt auch mit anderen Augen zu sehen. Das ist im Rahmen der europäischen Kulturhauptstadt eine wichtige Qualität, denn auch die Kultur lädt uns ein, die Welt mit den Augen Anderer zu sehen – und damit auch unsere Empathie zu stärken, die Fähigkeit zum kritischen Denken. Das sind alles Werte und Fähigkeiten, die heute in Europa dringend gebraucht werden. Deshalb bin ich auch davon überzeugt, dass Temeswar dazu beitragen kann, den Blick auf Osteuropa zu schärfen. Denn wir sind nicht Peripherie, kein Anhängsel oder Nachzügler, sondern wir haben europäische Geschichte mitgeprägt.
Welche Strategien verfolgen Sie, damit das Kulturjahr nicht verpufft, sondern bleibende Wirkung zeitigt?
Für uns sind zwei Dinge wichtig. Erstens, die Teilhabe an Kultur oder auch die Produktion von Kultur nicht nur einer Nische von Künstlern zu überlassen, sondern der gesamten Gesellschaft als Auftrag mitzugeben. Das klappt wunderbar. Wir haben über 2000 Freiwillige aller Altersstufen, Firmen, die nicht einfach sponsern, sondern die mit ihren Mitarbeitern ins Theater gehen oder ein Konzert in der Fabrikhalle machen, Schulen, die sich einbringen, Universitäten, die Forschung mit Kunst verbinden. Genau diese Idee, dass Stadt etwas ist, wo jeder etwas beitragen kann und muss und nicht etwas ist, was der Herr Bürgermeister für uns baut, genau diese Idee wird dieses Jahr noch lebendiger. Zweitens ist uns wichtig, dass wir die Erfahrung und die Geschichte Temeswars in die großen europäischen Debatten einbringen wollen. Da sind wir natürlich dankbar für das Scheinwerferlicht, das wir jetzt haben. Es geht uns aber langfristig darum, das Verhältnis zwischen Ost- und Westeuropa neu zu definieren. Nur wenn wir wegkommen von diesen Stereotypen über Rumänien zum Beispiel, nur dann kann ein einiges Europa Realität werden.
Sie sagten gerade, dass Timișoara eben nicht Peripherie ist, sondern Teil des Kerns von Europa. Da sprechen wir natürlich auch über Netzwerke und Infrastrukturen. Ich bin mit dem Flieger aus Berlin gekommen. Ich hatte geschaut, wenn ich mit dem Zug gefahren wäre, hätte ich für eine Strecke von 1200 Kilometern 24 Stunden gebraucht. Da ist Luft nach oben, oder?
Auf jeden Fall. Das sind Dinge, die gehen über unsere lokalpolitischen Fähigkeiten hinaus. Es gibt eine Strecke nach Budapest, da ist die Infrastruktur aber sehr erneuerungsbedürftig wie überhaupt im rumänischen Zugsystem. Wir haben jetzt ein europäisches Millionenprojekt, mit dem eine Teilstrecke, die auch durch Temeswar führt, erneuert wird. Aber auch hier sehen wir politische Hürden. Wenn Sie mit dem Nachtzug von Budapest nach Temeswar fahren, dann werden Sie nachts um zwei von den Grenzbeamten aus dem Schlaf gerissen, weil Rumänien nicht Teil der Schengen-Zone ist. Österreich hat leider sein Veto eingelegt, obwohl Rumänien seit Jahren die Bedingungen erfüllt. Das ist dieses Zwei-Klassen-System in Europa, das uns weh tut und das die Europaskepsis in Rumänien anfacht, das klassischerweise ein sehr pro-europäisches Land ist, aber uns auch rein physisch abschneidet von bestimmten Kreisläufen.
Sowohl Frank-Walter Steinmeier als auch Olaf Scholz haben sich kürzlich dafür stark gemacht, dass Rumänien in den Schengen-Raum aufgenommen wird. Wenn das Realität wird, welchen Effekt erwarten Sie dann auf die Stadtentwicklung Temeswars?
Wir sind die westlichste Großstadt Rumäniens im Dreiländereck mit Serbien und Ungarn. Wenn diese künstliche Grenze nach Ungarn wegfällt, dann wird das für einen weiteren wirtschaftlichen Aufschwung sorgen. Den Firmen hier, die beispielsweise Zulieferer für die deutsche Automobilindustrie sind, geht viel Zeit verloren, weil die Lastwagen teilweise bis zu drei Tage an der Grenze stehen. Aber auch für den Tourismus wäre es ein Boost: Wenn man mit der Lufthansa von München hierher fliegt, dann muss man sich in die Extraschlange für die Passkontrolle stellen. Das sind alles so kleine Hürden, aber die läppern sich.
Von der regionalen zur lokalen Ebene: In Temeswar gibt es Busse und Straßenbahnen, und es gibt auch Radwege. Dennoch hat das Auto unangefochten das Primat im Verkehr. Wie stellen Sie sich Timișoara in 30 Jahren vor?
Wir investieren tatsächlich stark in den öffentlichen Nahverkehr mit europäischen Fördergeldern. Wir haben verschiedene Förderverfahren gewonnen und erneuern gerade die komplette Flotte. Wir ersetzen alle Busse mit Elektrobussen, bauen an drei Straßenbahnlinien, richten neue Busspuren ein. Temeswar kann eine tolle Fahrradstadt sein: Wir sind ja ganz flach und auch so kompakt, dass man mit dem Fahrrad jeden Punkt in 30 Minuten erreichen kann. Dennoch gibt es viele Widerstände. In den 1990er, 2000er Jahren freuten sich die Menschen darüber, ein Auto haben zu können, weshalb es jetzt für viele schwer zu verstehen ist, wieso so ein Bürokrat aus Brüssel erklärt, dass Autos nicht mehr gut sind.
Aber wir spüren auch überall dort, wo wir alternative Mobilitätsszenarien entwickeln, dass die Menschen nach einer Zeit das durchaus genießen lernen. Unsere Innenstadt ist die größte durchgehende Fußgängerzone in ganz Rumä­nien. Das wurde, als das vor zehn Jahren umgesetzt wurde, sehr kontrovers diskutiert, und heute sind wir alle stolz darauf. Aber mir ist bewusst, dass ich hier nicht in Berlin bin und auch nicht in Münster. Das ist ein kultureller Veränderungsprozess, wo es nichts bringt, irgendetwas mit zu viel Zwang oder Eifer zu machen, sondern man muss, wie man im Deutschen so schön sagt „die Menschen mitnehmen“. Deshalb experimentieren wir auch mit Konzepten wie shared space. Wir arbeiten gerade an der Umgestaltung unserer Fabrikstadt, dem zweiten historischen Kern Temeswars. Wir wollen dort nicht Fußgängerzonen einrichten, sondern verkehrsberuhigte Zonen, damit die Anwohner keine Angst haben müssen, dort nicht mehr parken zu können.
Bei meinen Spaziergängen habe ich gesehen, dass es viele schöne historische Bauten gibt, die teilweise aber in ruinösem Zustand sind. Darin liegt ja auch ein großes Potential.
Genau. Wir haben den größten Bestand an Altbauimmobilien in Rumänien. Viele Wohnungen wurden nach der Revolution zu sehr billigen Preisen an die vorherigen Mieter verkauft, was dazu führt, dass jetzt viele im Alter in ihrer Eigentumswohnung leben, aber nicht die finanziellen Mittel haben, um zu einer Grundsanierung eines ganzen Gebäudes beitragen zu können. Wir gehen da mit Zuckerbrot und Peitsche vor: Wer seine Fassade nicht renoviert, muss den drei- bis fünffachen Satz der Grundstückssteuer zahlen.
Andererseits haben wir auch ein Programm entwickelt, um Sanierungsprojekte finanziell zu bezuschussen.
Wir sind außerdem darauf aus, unsere alten Industriestätten zu regenerieren. In den 1990er und 2000er Jahren wurden viele alte Fabrikhallen abgerissen und durch Big-Box-Supermärkte ersetzt. Das ist schade und wir versuchen jetzt, die Investoren zu motivieren, möglichst viel zu erhalten. Teilweise nehmen wir das auch selbst in die Hand. Zum Beispiel bauen wir ein altes Tramdepot für über 20 Millionen Euro zu einem Zentrum für Kunst und Technik um. Ein alter Wasserturm wird gerade umgebaut zu einem kleinen Aussichtsturm mit Café und Kulturzentrum. Wir renovieren fünf alte Kinos, die seit Jahrzehnten brachliegen.
Darüber hinaus arbeiten wir an Entwicklungsstrategien für neue Quartiere, die für eine hohe Lebensqualität sorgen sollen. Denn wir haben leider auch die Erfahrung gemacht, dass in den letzten 20 Jahren vor allem am Stadtrand jeder Zentimeter bebaut wurde, teilweise nicht einmal mehr Bürgersteige da sind und auch sonst jegliche öffentliche Infrastruktur fehlt.
Daran anschließend: Im letzten Herbst fand hier eine Architekturbiennale statt zum Thema „The City as common good“. In vielen Ländern sieht man eher eine Tendenz zur Privatisierung der Stadt und des öffentlichen Raumes. Wie ist das hier? Wie wägen Sie ab zwischen privater Initiative und staatlichem Handeln?
Grundsätzlich habe ich keine Berührungsängste mit privaten Investitionen. Wichtig sind klare Vorgaben an die Immobilienentwickler, was öffentlich nutzbare Flächen angeht. Gleichzeitig sind wir uns auch dessen bewusst, dass es so viel öffentlichen Raum gibt, der der Stadt gehört und der noch brach liegt und nutzbar gemacht werden muss, dass wir eine große Eigenverantwortung haben. Wir haben einen Kanal, der durch die Stadt fließt – die Bega. Am Ufer hatten die kommunistischen Staatsfirmen ihre Sportanlagen gebaut. In den 1990er Jahren sind diese Firmen privatisiert worden und haben auch diese Anlagen in Besitz genommen, obwohl das öffentliches Gut war. Ich habe veranlasst, illegale Gebäude, die dort entstanden sind, abzureißen, und diese Flächen der Öffentlichkeit zurückzugeben. Wir holen uns also zurück, was in den chaotischen Jahren nach der Revolution in dubiose Hände gefallen ist. Aber das ist ein weiter Weg.
Zusammenfassend: Welche sind die größten Probleme der Stadt und welche sind die Asse im Ärmel?
Die Frage der Mobilität ist einer der Knackpunkte: Die Verkehrssituation wird immer belastender. Es fehlt eine Umgehungsstraße, die gerade erst gebaut wird und schon zwei Jahre in Verzug ist. Wir wissen, wir müssen massiv in den öffentlichen Nahverkehr investieren und das ist eine große Herausforderung. Eine zweite Herausforderung ist die Modernisierung der Verwaltung: Wir wollen sie digitalisieren und eine größere Bürgernähe schaffen. Es gibt noch verkrustete Strukturen, wo es in der Vergangenheit Vetternwirtschaft, teilweise auch Korruption, gab. Das sind Dinge, die man von außen nicht sieht. Aber das ist sehr wichtig, um die Basis für Stadtentwicklung neu zu setzen. Ein drittes Thema ist eben die Umgestaltung des öffentlichen Raums, wo wir der Tendenz, aus jedem freien Zentimeter einen Parkplatz zu machen, entgegentreten und daran arbeiten, dass er wieder ein Begegnungsraum für die Stadtgesellschaft wird.
Unsere Asse: Wir haben als Stadt ein gemeinsames Wertefundament und eine große wirtschaftliche Dynamik. Ich komme gerade von der Eröffnung der Ikea-Filiale. Das klingt jetzt nicht so spektakulär, aber es ist der erste Ikea, der außerhalb der Hauptstadt in Rumänien eröffnet wird – das zeigt, dass ein großes Vertrauen in die Entwicklung der Stadt besteht. Wir haben auch viele deutsche Firmen, die hier expandieren. Und nicht einfach in der Produktion, wie das vor zwanzig Jahren noch war, sondern auch in Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. Wir haben viele junge gut ausgebildete Menschen, die gerne hier leben, das ist ein wichtiges Pfund. Und für den Tourismus werden wir immer attraktiver dank der Bausubstanz und der vielen Parkflächen sowie immer besser werdender Restaurants und Hotels.
Kommen wir nochmal zurück zum Kulturhauptstadtjahr, das ja durchaus auch ein touristisches Event ist. Wieviel Geld haben Sie von der EU bekommen und was haben Sie damit gemacht?
Das ist ein verbreiteter Trugschluss. Man bekommt von der EU kein Geld, sondern nur den Titel. Es gibt einen Preis, den Melina-Mercouri-Preis, der nach der Gründerin der europäischen Kulturhauptstadt, der ehemaligen griechischen Kulturministerin, benannt ist. Ich glaube, es handelt sich da um 1,5 Millionen Euro – das deckt gerade mal unsere Eröffnungsveranstaltung ab. Der Bärenanteil der Kosten wird aus dem Stadthaushalt getragen. Die rumänische Regierung hat einen Zuschuss von 10 Millionen Euro für das Kulturprogramm und noch mal 10 Millionen Euro für Investitionen in kulturelle Infrastruktur gegeben, aber selbst das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Es ist schon eine große Investition, die wir da machen – im Vertrauen darauf, dass es nicht nur ein Feuerwerk für ein Jahr ist.
Eine Zwischenbilanz zur Hälfte des Jahres?
Es ist toll, wie sich die Stadt mobilisiert in allen gesellschaftlichen Gruppen, und es ist toll, wie viele Besucher kommen, die auch wirklich etwas vom Geist dieser Stadt mitbekommen und nicht nur ein paar nette Ausstellungen sehen. Eine Herausforderung bleibt, das alles zu kommunizieren. Wir haben so viele Veranstaltungen, dass wir gar nicht wissen, wie wir das alles an den Mann bringen sollen. Journalisten fragen mich häufig nach den Highlights – natürlich sind wir stolz darauf, dass im Juli John Malkovich hier auftreten wird, und natürlich sind wir stolz da­rauf, dass im Herbst die große Brancusi-Ausstellung stattfinden wird. Aber am Ende machen wir das Projekt nicht, um mit viel Geld ein paar große Namen anzuziehen, weil das genau die Dinge sind, die verpuffen. Es sind die Projekte, über die nicht die New York Times berichten wird, die uns wichtig sind, denn wir wollen in der lokalen Gesellschaft etwas anstoßen. Ein wandelndes Filmfestival, das in den benachteiligten Stadtteilen, an den schmutzigsten Orten eine Leinwand aufspannt und spannende Filme zeigt: Das sind die Projekte, die schwerer zu kommunizieren sind, die aber wirklich Bewegung in die Stadt bringen.
Fakten
Architekten Fritz, Dominic, Timișoara
aus Bauwelt 14.2023
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