Bauwelt

Das Bauen ist für die breite Masse viel zu teuer geworden

Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommu­nales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen im Gespräch

Text: Schade-Bünsow, Boris, Berlin

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    Foto: Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-West­falen

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Das Bauen ist für die breite Masse viel zu teuer geworden

Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommu­nales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen im Gespräch

Text: Schade-Bünsow, Boris, Berlin

Boris Schade-Bünsow: Frau Ministerin Scharrenbach, Sie sind seit 2017 u.a. Ministerin für Bau in NRW. Ihre Schwerpunkte sind die die Schaffung von Wohnraum, eine nachhaltige Stadtentwicklung und die Digitalisierung. Nun haben Sie die guten Ergebnisse der Wohnraumförderung in NRW für das Jahr 2023 vorgestellt. Es wurden mit 2,1 Milliarden Euro insgesamt 11.854 mietpreisgebundene Wohneinheiten gefördert, nachdem schon im vergangenen Jahr der bis dato mit 1,1 Milliarden Euro der zweithöchste Wert in der öffentlichen Wohnraumförderung in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen für 7.919 Wohnungen erreicht wurde. Für die Bundesrepublik ist das beispielhaft. Wie ist das gelungen?
Ina Scharrenbach: Wir haben in Nordrhein-Westfalen sehr gute Förderkonditionen und Richt­­li­nien. Ich lege großen Wert darauf, dass die öffentliche Wohnraumförderung als Transformations- und Innovationsmotor ausgestaltet ist, was erlaubt, viel ausprobieren zu können. Ob das neue Baumaterialien sind, ob das beispielsweise ein neuer digitaler Gebäudepass ist, den wir sowohl im Neubau wie auch im Bestand ausprobieren wollen, weil wir den CO2-Fußabdruck des Gebäudes mehr in den Blick nehmen. Wir haben als Landesregierung ein Fördervolumen von neun Milliarden Euro bis 2027 beschlossen. Dadurch schaffen wir Verlässlichkeit. Sich ein Haus oder eine Wohnung leisten zu können, gehört zum Aufstiegsversprechen der Bundesrepublik Deutschland. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat mit einer verlässlichen Förderung dafür gesorgt, dass Wohnungsneubauvorhaben, die ansonsten eingestellt worden wären, dennoch umgesetzt werden können. Auf Nordrhein-Westfalen können Eigentümer, Mieterinnen und Mieter bauen – aller Krisen zum Trotz. Deshalb gehen wir den Weg der Verlässlichkeit auch 2024.
Was sind die besonderen Aspekte für Sie?
Wir arbeiten eng und auf Augenhöhe mit der Wohnungswirtschaft zusammen, aber auch insgesamt mit den am Bau Beteiligten, darauf lege ich Wert. Das heißt, wir versuchen schon, immer auf dem neusten Stand zu sein. Worauf müssen wir Acht geben? Wo müssen wir vielleicht auch gegensteuern? Aber das funktioniert eben nur, wenn sie sehr vertrauensvoll mit der Wohnungs- und Bauwirtschaft zusammenarbeiten.

Gehen wir nochmal auf die geförderte Wohnung zurück: Welche Qualität von Wohnungen ist unter den Gesichtspunkten Architektur und Nachhaltigkeit entstanden?
Für öffentlich geförderte Wohnungen gelten dieselben Vorschriften wie für die freifinanzierten. Insofern gilt das Gebäude-Energiegesetz, wie für alle anderen auch. In NRW gilt ab Gebäudeklasse III, also ab sieben Metern Höhe im klassischen Geschosswohnungsbau, die Barrierefrei-Vorschrift.
Durch gesellschaftlichen und demografischen Wandel gibt es viel differenziertere Wohnbedürfnisse als früher. Standardwohnungstypen sind fast nicht mehr gefragt. Konnte dies berücksichtigt werden?In Teilen schon. Wir brauchen auf der einen Seite die klassische Singlewohnung, in NRW ist es genauso wie in der gesamten Bundesrepublik: Je größer die Stadt, umso höher der Anteil an Singlehaushalten, die kleine Wohnungen nachfragen, die aber auch bezahlbar sein müssen. Das ist die große Herausforderung bei diesen kleinen Wohnungen. Auf der anderen Seite brauchen wir auch Wohnungen für Mehrkindfamilien. Das ist inzwischen eine große Herausforderung, dem wir durch die Investorenschaft Rechnung tragen wollen. Manchmal gelingt das mal mehr, mal weniger. Aber insgesamt werden alle Wohnungen am Markt vermietet werden.
Gibt es Wohnungstypen oder Bewohnergruppen, die Ihnen besonders wichtig waren oder bei
denen ein besonderer Bedarf vorhanden war?
Im gesamten Bundesland haben wir einen qualitativen Neubaubedarf an barrierefreien Wohnungen. Die Bestände aus den 1950er, 60 er oder 70er Jahren sind zum großen Teil nicht barrierearm, geschweige denn barrierefrei. Zudem brauchen wir Wohnraum für junge Familien.
Fordern Sie gleich vollständige Barrierefreiheit oder ist Barrierearmut auch förderungswillig?
In der Modernisierungsförderung fördern wir barrierearmut, weil bei Bauten ab den 1950er Jahren Barrierefreiheit gar nicht hergestellt werden kann. Beispielsweise eine bodengleiche Dusche können Sie dort kaum einbauen, Sie würden im Wohnzimmer darunter hängen, weil die Decken so dünn ist. Ab Gebäudeklasse III und Neubau fördern wir aber Barrierefreiheit.
Praktisch alle am Bau Beteiligte, ob die Architekten, die Stadtplanerinnen, die Handwerksbetriebe, die größeren Bauunternehmen, die Hersteller von Bauprodukten und Bausystemen, kritisieren die viel zu komplexen Regelwerke, die viel zu vielen Bauvorschriften und dadurch die Kostensteigerungen. Seit Jahren wird versucht diese Komplexität zu vereinfachen. Es wird schon lange über eine bundeseinheitliche Bauordnung gesprochen, die noch nicht erreicht wurde. Wie begegnen Sie diesem Sachverhalt?
Bei der Bauordnung würde ich widersprechen: wir haben zwischen den 16 Länderbauordnungen sehr hohe Übereinstimmungsgrade in den Vorschriften. Wir liegen da bei 85 bis 90 Prozent. Wir haben Unterschiede, wo es notwendig ist. Beispielsweise müssen Sie in Schleswig-Holstein an der Küste andere Windgeschwindigkeiten berücksichtigen als im Saarland. Es müssen unterschiedliche Bauvorschriften der Regionalität des Wohnungsmarktes gerecht werden. Das können sie über eine bundeseinheitliche Bauordnung nicht abbilden. 2019 wurde in NRW die Bauordnung komplett neugefasst. Jetzt widmen wir uns dem untergesetzlichen Recht und haben die Initiative “Bürokratie am Bau? Ciao!” ins Leben gerufen, wo wir die am Bau Beteiligten aufrufen und fragen, “sagt uns doch mal, was kann weg?” In Deutschland ist die Summe aller Bauvorschriften in aller Munde. Landauf landab wird die Regelungswut über DIN-Vorschriften, Baunebengesetze und vielem mehr kritisiert. Dabei gilt: Wir wollen in Nordrhein-Westfalen aus Regelungswut Regelungsmut machen. Neue Ansätze können die Innovationsfähigkeit der Verwaltung stärken, in dem die Rechtssetzung noch weiter verbessert, Dienstleistungen optimiert und/oder Verwaltungsabläufe effektiver im Sinne der gemeinsamen Zielerreichung gestaltet werden. Im Vergleich zum europäischen Ausland bauen wir in Deutschland mit erhöhten Anforderungen im Bau. Beispielsweise der Trittschall: Wir haben Hinweise von Modulherstellern bekommen, die Elemente in den Niederlanden herstellen, die aber nicht nach Deutschland importieren dürfen, weil hier etwas anderes gilt. Das, was mit der Bauordnung vereinheitlicht werden muss, ist Brandschutz und Statik. Der Komfortgedanke ist in den letzten Jahren so nach oben geschraubt worden, so dass das Bauen für die breite Masse viel zu teuer geworden ist.
Wie muss ich mir das konkret vorstellen? Wie können Sie diese Normen vereinfachen?
Die Länder sind zuständig für die Verwaltungsvorschrift “Technische Baubestimmung”, das heißt, wir erlassen einen Anteil der DIN-Vorschriften als Länderrecht. Über diese Ländervorschriften habe ich die Gestaltungsoptionen, Dinge zu verändern. Insofern sammeln wir jetzt eben diese Hinweise, und da, wo wir etwas direkt ändern können, werden wir das tun. Es wird zudem einen Innovationsausschuss geben, wo sich Praktiker mit den Vorschlägen auseinandersetzen. Denn nicht alle Bauvorschriften werden in den für Bau zuständigen Ministerien gemacht.
Ist das aus Bundessicht klug?
Es ist insofern klug, weil wir einen Wettbewerb bekommen. Auf der vergangenen Bauministerkonferenz gab es wieder einen Vorschlag, die Musterbauordnung zu ändern. Ich habe sehr dafür geworben, Änderungen, die nicht notwendig sind, nicht zu beschließen, weil das Baukosten steigert.
Eine abschließende Frage zur Wohnraumförderung: Was erwarten Sie für 2024?
Wir haben dieses Jahr 1,7 Milliarden Euro planmäßig zu Verfügung gestellt, letztes Jahr waren es 1,6 Milliarden, daraus sind dann 2,1 Milliarden Euro geworden. Die einen sagen, es wird nicht ab­fließen, weil die Unsicherheit und das Inves­titionsrisiko im gesamten Markt in Deutschland zu hoch sind. Aus den Bewilligungsbehörden hören wir allerdings eher, dass ihnen die Bude eingerannt wird. Es scheint so zu sein, dass ein­zelne Behörden jetzt wirklich mal in die Position kommen, zwischen den Anbietern auswählen zu können. Das ist auch mal gut, es erhöht den Wettbewerb.
Ina Scharrenbach ist seit 2017 Landesministerin in Nordrhein-Westfalen. In der aktuellen Legislaturperiode ist sie für die Geschäftsbereiche Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung zuständig. Von 2012 bis 2017 und seit 2022 bis heute gehört die studierte Diplom-Betriebswirtin (FH) als Abgeordnete dem nordrhein-westfälischen Landtag an. Seit 2012 ist sie stellvertretende CDU-Landesvorsitzende und seit 2022 Mitglied im Präsidium der CDU Deutschlands. Sie ist außerdem Sprecherin der unionsgeführten Bundesländer in der deutschen Bauministerkonferenz.

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