Bauwelt

Botanische Gärten sind meine Bibliotheken

Der Schweizer Landschaftsarchitekt Enzo Enea über das Retten von Bäumen und die Installation im Fußballstadion von Klagenfurt.

Text: Czaja, Wojciech, Wien

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    Foto: Gerhard Maurer

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Botanische Gärten sind meine Bibliotheken

Der Schweizer Landschaftsarchitekt Enzo Enea über das Retten von Bäumen und die Installation im Fußballstadion von Klagenfurt.

Text: Czaja, Wojciech, Wien

Am 8. September haben Sie gemeinsam mit Klaus Littmann eine kontrovers diskutierte Installation eröffnet: „For Forest - The Unending Attraction of Nature “ in Klagenfurt.
Die Kritik ist bei Projekten dieser Größenordnung unvermeidlich. Ich habe mich mit Kärntner Forstleuten zusammengesetzt und mich sehr genau erkundigt, wie ein typischer Kärntner Mischwald aussähe, wenn auch hier nicht längst schon die Monokultur vorherrschte. Auf einer Fläche von insgesamt 7.140 Quadratmetern habe ich 299 Bäume installiert.
Wie viele Baumarten braucht es, um von einem Mischwald sprechen zu können?
Dazu braucht es schon eine gewisse Heterogenität. In diesem Fall haben wir 18 Arten verwendet, vor allem Eschen, Eichen, Ahorne, Buchen, Linden und Haselsträucher. Hinzu kam diverses Kleingehölz, das zwischen den großen Bäumen für eine gewisse Dichte sorgt.
Woher stammen die Bäume?
Es handelt sich ausschließlich um 50 bis 60 Jahre alte Bäume aus Baumschulen.
Einer der Kritikpunkte betrifft den weiten Transport der Bäume und somit auch den großen ökologischen Fußabdruck. Sie stammen aus Italien, Belgien und Norddeutschland.
Wir haben uns bemüht, Bäume im Umland zu finden, aber dazu hätten wir unzählige Reisen durch ganz Österreich machen müssen, um viele kleine Baumschulen anzufahren. Das wäre auch nicht ökologischer gewesen. Für mich als Landschaftsarchitekt ist der Transport von Bäumen quer durch Europa übrigens nichts Exotisches. Wir transportieren unsere gesamte Wirtschaft von A nach B. Und auch Bäume sind nie dort, wo man sie braucht. Was die CO2-Bilanz betrifft, so kann ich Sie insofern beruhigen, als Bäume in diesem Alter und in dieser Wuchsgröße durchaus gute Kompensationsarbeit leisten. Ein solcher Baum produziert rund drei Millionen Liter Sauerstoff pro Jahr.
Die Installation bleibt bis 27. Oktober stehen. Und dann?
Wir warten den Herbst ab, um den Menschen zu zeigen, in wie vielen Farben sich ein Mischwald verfärbt – nicht nur im Indian Summer in Neuengland, sondern auch in Klagenfurt. Danach soll der Wald 1:1 übernommen und als lebendige Installation in einem Kilometer Entfernung eingepflanzt werden – und zwar auf einem Grundstück in der Nähe der Alpen-Adria-Universität.
2010 haben Sie am Zürichsee ein Baummuseum gegründet. Wie kamen Sie auf die Idee?
Ich habe vor fast 30 Jahren begonnen, eine Passion für Bäume zu entwickeln. Und zwar nicht für irgendwelche Bäume, sondern vor allem für bedrohte Exemplare, die kurz vor der Abholzung stehen. In der Regel sammle ich alte Bäume aus unserer Umgebung ein, die man fällen würde, weil sie Verkehrsprojekten oder Immobilienentwicklungen im Wege stehen. Es ist schade, wenn man Zeit auf diese Weise vernichtet! Da blutet mir das Herz. Also hatte ich die Idee, die Bäume zu retten und in Rapperswil zusammenzutragen.
Wie alt sind die Bäume, die Sie bergen?
Das ist ganz unterschiedlich. Die meisten sind so um die 160 bis 170 Jahre alt. Aber ich habe auch schon Lärchen aus dem Berninagebirge geborgen, die rund 450 Jahre alt waren.
Wie viele dieser Notverpflanzungen haben Sie bislang vorgenommen?
So eine Aktion ist schon ziemlich viel Arbeit. Ich schätze, dass ich pro Jahr rund zehn alte Bäume rette. Manchmal müssen wir den Baum ankaufen, manchmal bekommen wir ihn sogar geschenkt.
Neben ihrem Baummuseum bauen und betreuen Sie Gärten – planen Sie die geretteten Bäume auch in Ihren Gartenprojekten ein?
In der Regel bleiben die geretteten Bäume bei mir im Baummuseum. Für die Kundenprojekte sind eigentlich andere Bäume vorgesehen, die ich meistens in Baumschulen in ganz Europa beziehungsweise auf der ganzen Welt einkaufe.
Sie haben bereits in Italien, Deutschland, Russland, Peking, Miami, Kolumbien und Brasilien gearbeitet. Woher holen Sie sich das lokale Know-how?
Botanische Gärten sind meine Bibliotheken. Wo auch immer ich plane, besuche ich zuallererst den Botanischen Garten. Zudem lasse ich mich von Botanikern, Gärtnern und Landschaftsarchitekten vor Ort beraten.
Ihre Gärten sind bis zur Perfektion getrimmt und inszeniert. Wie würden Sie die Balance aus Natur und Künstlichkeit beschreiben?
In einem müssen wir uns schon im Klaren sein: Unberührte Natur gibt es nur oben in den Bergen und tief drinnen in den Mischwäldern. Je näher Sie sich der menschlichen Zivilisation nähern, desto kultivierter ist die Landschaft – ob das nun Landwirtschaftsflächen, Gartenanlagen oder Parks sind. Bei Privatgärten, die meist in unmittelbarer Nähe eines Wohnhauses errichtet sind, handelt es sich um besonders künstlich geschaffene Naturräume. Wie in der Architektur müssen auch in der Landschaftsarchitektur diese Räume präzise und besonders penibel gestaltet werden, damit sie funktionieren. Erschwerend kommt hinzu, dass Sie hier nicht nur mit toten Baustoffen arbeiten, sondern auch mit lebender Materie wie dem Wind, dem Wetter, dem Klima, dem Mikroklima, den Jahreszeiten. Ich kann gar nicht anders als diese Naturräume perfekt und präzise zu planen. Alles andere wäre fahrlässig.
Haben Sie einen Lieblingsbaum?
Besonders gern habe ich japanischen Ahorn: Die Wurzeln sind sehr kompakt, und man kann die Bäume leicht und unkompliziert transportieren.
Das war jetzt eine sehr technische Antwort.
Auch der knorrige Wuchs dieses Baums gefällt mir wahnsinnig gut. Ein alter Ahorn ist für mich wie ein alter, weiser Mann, in dessen Rinde und Geäst ich die Charakterzüge lesen kann wie in einem Jahrzehnte alten, faltigen Gesicht.
Welche Pflanze mögen Sie überhaupt nicht?
Mit Thujen und Kirschlorbeer habe ich zugegeben ein ziemliches Problem. Das sind Neophyten, die sich wie Parasiten über die ganze Welt ausbreiten.
Auf der Art Basel haben Sie in diesem Jahr acht Olivenbäume, die bis zu 800 Jahre alt sind, aus ihrem süditalienischen Zuhause entrissen und für einige Tage in einen tageslichtlosen Raum gestellt.
Eine Kritik an Gartenkunst! Ich wollte mit diesem Projekt aufzeigen, wie Gartenkunst heute vie­lerorts verstanden wird. Oft kommen Investoren und Stadtverwaltungen auf mich zu und wünschen sich einen schönen grünen Platz in der Stadt. Unter dem Platz ist eine Tiefgarage, an den Rändern liegen etliche Kollektorgänge für Wasser, Abwasser, Fernwärme, Strom und Gas, und in der Mitte fährt die Straßenbahn durch. Im Grunde genommen muss ich eine Beton- und Zementwüste begrünen, und dann wünschen sich die Auftraggeber das Paradies! Ich wollte darstellen, wie wenig Platz und wie wenig Verständnis man letztendlich für die Natur hat.
Die Olivenbäume waren eingepackt und eingeschnürt.
Ich habe mich dabei der japanischen Bondage-Technik bedient. Die Samurai haben ihre Gefangenen auf spezielle Weise eingeschnürt, und je mehr sich die Gefangenen gewehrt und bewegt haben, desto enger wurden dabei die Knoten zugezogen. Die Olivenbäume sind ein Statement, wie wenig Platz es in unseren Städten gibt, wie sehr wir die Bäume einschnüren, denn die Baum­inseln und Erdkoffer sind meist viel zu eng bemessen, und das verursacht Stress und gibt kaum Entfaltungsmöglichkeiten für die Wurzeln.
Haben Ihre acht Olivenbäume gelitten?
Nein, ich habe den Wurzelbeschnitt und die Schnürung sehr behutsam vorgenommen. Schließlich ist Bondage nicht zuletzt eine in der Sexualität gelebte und kulturell gepflegte Praxis. Doch am wichtigsten ist mir zu betonen, dass die Bäume auf der Art Basel mehr Platz hatten als in vielen Gartenanlagen auf der ganzen Welt.
Oder im „Vapiano“.
Das ist doch ein Wahnsinn, oder? Matteo Thun stellt in jede Vapiano-Filiale einen Olivenbaum, um eine gewisse mediterrane Authentizität zu vermitteln, und alle finden das ganz toll. Doch kaum macht man so etwas auf der Art Basel, geht das Bild um die Welt.
Für die Installation haben Sie in der Öffentlichkeit ziemlich viel Kritik einstecken müssen.
So schlimm war das auch wieder nicht. Diejenigen, die am lautesten geschrien haben, waren ein paar wenige, die das Projekt nicht verstanden haben und sich auch nicht bemüht haben, es zu verstehen. Fakt ist: Wenn wir mit unseren Bäumen in der Stadt so weitermachen wie bisher, Regenwälder weiterhin großflächig niedergebrannt werden, dann wird die nächste Generation keine Möglichkeit mehr haben, 800 Jahre alte Olivenbäume in der Natur zu bewundern.

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