Bauwelt

Übergangsräume

Die Bushaltestellen auf der Berliner Stadtautobahn

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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Übergangsräume

Die Bushaltestellen auf der Berliner Stadtautobahn

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Das Leitbild der autogerechten Stadt hat im Berlin der Nachkriegszeit mit der Stadtautobahn ihr größtes Monument erhalten. Seit 1955 wird an diesem Bauwerk gearbeitet, der nächste, inzwischen 16. Abschnitt der A100 soll in diesem Jahr für den Verkehr freigegeben werden. Er führt von Neukölln zum Treptower Park und erreicht damit den ehemaligen Ostteil der Stadt. 720 Mil-lionen Euro wird die Verlängerung kosten, viel Geld für 3,2 Kilometer Straße, die nur Autofahrenden vorbehalten sind: Öffentlicher Nahverkehr, Radfahrer und Fußgängerinnen haben hier nichts zu suchen.
In den Anfängen der Stadtautobahn war das noch anders: Bis 1993 verkehrten Busse der BVG auf der Autobahn, und für diesen Busverkehr waren auch Bushaltestellen gebaut wor-den: 13 Kleinarchitekturen, die die Autobahn mit dem städtischen Alltag verknüpften und sozu-sagen das andere Ende des mit der Stadtautobahn assoziierten Maßstabs von Architektur und Infrastruktur darstellen. Entworfen wurden sie von so prominenten Planern wie Bruno Grimmek (verantwortlich 1958 für die ersten Haltestellen Rathenauplatz und Hohenzollerndamm), Werner Düttmann (als Senatsbaudirektor 1960–66 zuständig für die nächsten beiden Haltestellen Messedamm und Spandauer Damm) und Rainer G. Rümmler (verantwort-lich für die noch folgenden neun Haltestellen).
Leander Nowack und Tobias Michnik erforschen Geschichte und Gegenwart dieser Bauwerke in ihrem Buch „Übergangsräume“. Ausgehend von einer kurzen Darstellung der Vorgeschichte der Stadtautobahn – von der AVUS (1921) über Brömstrups Autohochbahnnetz (1931) bis hin zu den Schnellstraßensystemen in „Kollektivplan“ und „Zehlendorfer Plan“ (beide 1946) –, die auch die Vorbilder in den USA betrachtet, analysieren die Autoren die Haltestellen zeichnerisch und fotografisch in einer Vielzahl von Abbildungen. Gerade ihre Funde in den Archiven der zuständigen Verwaltungen und der BVG bereichern die Berliner Architekturgeschichte um einige noch nicht gesehene Aufnahmen. „Freilegen“, „erforschen“, „ordnen“, „reflektieren“ und „projektieren“ haben sie die Abschnitte ihrer Studie benannt – die klare Systematik und Konzeption ihres Buchs erschließt sich schon mit einem Blick ins Inhaltsverzeichnis.
Die beiden jungen Architekten, Absolventen der Berliner UdK, legen damit eine lesenswerte Untersuchung vor, die neben dem fragwürdigen Umgang mit den obsoleten Kleinstarchitekturen auch das generelle Verhältnis der Stadt zu dieser Verkehrsinfrastruktur aufwirft: Ließen sich diese Räume nicht für temporäre Nutzungen öffnen, wie zum Teil auch praktiziert, anstatt sie abzureißen oder zu versiegeln? Ließe sich die Stadtautobahn nicht generell urbanisieren, nicht länger als der Stadt fremdes, sondern sie ergänzendes, auf vielfältigere Weise mit ihr verflochtenes Bauwerk begreifen? Die Teilhabe daran für andere Verkehrsteilnehmer zu öffnen, wie zu Beginn mit den Bushaltestellen praktiziert? Dazu bräuchte es freilich eine Vision für die städtische Mobilität, die mit Phantasie und Ideen in die Zukunft blickt – seit der Kehrtwende des CDU-geführten Senats in die Verkehrspoli-tik der 1960er Jahre ist darauf allerdings nicht zu hoffen, zumindest bis zur nächsten Wahl. Die „Übergangsräume“ aber seien uneingeschränkt empfohlen, regen sie doch zum Nachdenken über Fragen wie diese an – eine bereichernde Lektüre. ub
Fakten
Autor / Herausgeber Tobias Michnik; Leander Nowack
Verlag Urbanophil, Berlin 2021
aus Bauwelt 9.2025
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