Bauwelt

Immer modern!

Berlin und seine Straßen

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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Immer modern!

Berlin und seine Straßen

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Ausstellungen gehen vorüber, die zugehörigen Kataloge bleiben. Erst recht bleiben die Probleme, die die Ausstellung anschaulich gemacht hat. So im Fall der Ausstellung „Immer modern! Berlin und seine Straßen“ (Bauwelt 23.2024), die der Architekten- und Ingenieurverein (AIV) im Herbst des vergangenen Jahres auf den Mittelstreifen der gern als Prachtboulevard bezeichneten Straße Unter den Linden gebracht hat, die so prächtig auch nicht ist. Mangel an Flair, an Ausstrahlungs- wie Anziehungskraft gibt es an Berlins Straßen jedoch allenthalben zu konstatieren. Das Katalogbuch, das vollstän-dig ohne die Ausstellung funktioniert, macht das schmerzlich bewusst; um so schmerzlicher, als die Autoren alles andere als Berlin-Verächter sind, sondern durchweg mit dem Herzblut des unglücklich Liebenden schreiben, kontrolliert durch klaren Verstand.
Den braucht es, um der Misere der großen Straßen Berlins beizukommen. Aufgeteilt ist das Buch in zwei Abteilungen, die eine „Große Straßen von heute“ betitelt, die andere „Große Straßen für morgen“. Es soll nicht allein um Kritik am Bestehenden gehen, sondern um Modelle für Zukünftiges. Das kann in der gegenwärtigen Großwetterlage, die von Krisen und Kleinmut dominiert wird, gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Dass es große Würfe in der Berliner Stadtplanung der jüngeren Vergangenheit gegeben hätte, will man kaum behaupten. Der AIV hält mutig dagegen.
Das beginnt damit, dass der stärker historische erste Teil mit einem betont sachlichen, aber gewissermaßen unter der Oberfläche brodelnden Aufsatz des Stadtsoziologen Harald Bodenschatz beginnt, der das Verbindende aller Straßen zum Thema hat: den Verkehr, und wie er historisch bewältigt wurde. Alles mündet in die „autogerechte Stadt“. Dieser Begriff und sein schweres Gepäck hängen über den folgenden Darstellungen von acht herausragenden Straßenzügen, die in zunächst überraschend anmuten-der, sich dann aber als chronologisch entpuppender Reihenfolge vorgestellt werden. Immer wieder kommt zum Vorschein, was das Auto beziehungsweise dessen Bevorzugung angerich-tet hat; zugleich aber, welcher bauliche Reichtum entlang der beiden Straßenseiten zu finden ist.
Dann der Perspektivwechsel: „Am Beispiel von zehn Hauptstraßen in Berlin und Potsdam wollen wir das Erbe der ,autogerechten Stadt‘ neu denken“, heißt es im Auftakt zum zweiten Teil, den Bauwelt-Redakteur Ulrich Brinkmann kuratiert hat. An die Stelle der zuvor behandelten, meist – wie Kurfürstendamm oder Leninallee – wohlbekannten Verkehrswege rücken nun zehn alltäglichere Straßenzüge ins Blickfeld, deren Potenzial von eingeladenen Architekturbüros erweckt und visualisiert wird. Die Gegenwart mit ihren überbreiten Asphaltbahnen und beiseite gedrückten Bürgersteigen ist trostlos. Umso eindrucksvoller die Möglichkeiten, die Büros wie gmp, Kleihues+Kleihues, Hilmer Sattler oder Tchoban Voss aufspüren. Freilich ähneln die Vorschläge einander; Verengung des Straßenprofils, Beschneidung der Auto-Fahrbahnen, vor allem viel Begrünung – so viel, dass man bisweilen den Eindruck bekommt, der als üppig vorgestellte Bewuchs sei schlechthin das Zaubermittel des Städtebaus. Dabei stehen die teilnehmenden Büros doch für genügend architektonische Verve, um sich hinter Bäumen nicht verstecken zu müssen. Dass eine besonders unwirtliche Trasse, die Mollstraße, von Graft in einen langgestreckten Teich verwandelt wird, macht gar den Eindruck, dass hier frei vom Machbaren gedacht wurde. Dabei steckt in den zehn Vorschlägen genug Realismus, der in die Berliner Politik Eingang finden könnte; und wie zur Bekräftigung ist mit dem halbherzig in Gang gesetzten, derzeit aber wieder zurückgestellten „Rückbau“ des Autobahnastes der A 104 in Wilmersdorf eine offene Wunde angesprochen, für die Patzschke Architekten umfassende Stadtreparatur vor-sehen.
Unglaublich viel Material also, das hier auf 450 Seiten versammelt ist, anschaulich bebildert, sowohl im historischen Teil als auch dem visionären, verständlich für ein breites Publikum – und darum geeignet, Grundlage zu sein für politische Entscheidungen und nicht zuletzt für demokra-tische Teilhabe. Ohne die kann der Abschied von der „autogerechten Stadt“ nicht gelingen.
Fakten
Autor / Herausgeber AIV Berlin-Brandenburg/Tobias Nöfer (Hg.)
Verlag Wasmuth Verlag, Berlin 2024
aus Bauwelt 9.2025
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