Bauwelt

Wir sind die Stadt der Einheit

Wittich Schobert, der Bürgermeister von Helmstedt, ist zuversichtlich. Für ihn ist die frühere Grenzstadt 30 Jahre nach Maueröffnung auf einem guten Weg. Es gibt zwar Leerstand, aber einen mutigen Investor und den halbvollen Lappwaldsee.

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

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    Auch am Markt von Helmstedt wurden in letzter Zeit Fachwerkhäuser saniert und neu genutzt. Links das neue Standesamt. Die Bürgeraktion Alt-Helmstedt engagiert sich seit Jahren für den Erhalt des innerstädtischen Raums.
    Foto: Sebastian Redecke

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    Auch am Markt von Helmstedt wurden in letzter Zeit Fachwerkhäuser saniert und neu genutzt. Links das neue Standesamt. Die Bürgeraktion Alt-Helmstedt engagiert sich seit Jahren für den Erhalt des innerstädtischen Raums.

    Foto: Sebastian Redecke

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    Das Gespräch mit dem Bürgermeister Wittich Schobert (links) fand am 9. September im neugo­tischen Rathaus von Helmstedt statt.
    Foto: Ulrike Schroeter-Wirkus

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    Das Gespräch mit dem Bürgermeister Wittich Schobert (links) fand am 9. September im neugo­tischen Rathaus von Helmstedt statt.

    Foto: Ulrike Schroeter-Wirkus

Wir sind die Stadt der Einheit

Wittich Schobert, der Bürgermeister von Helmstedt, ist zuversichtlich. Für ihn ist die frühere Grenzstadt 30 Jahre nach Maueröffnung auf einem guten Weg. Es gibt zwar Leerstand, aber einen mutigen Investor und den halbvollen Lappwaldsee.

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Herr Schobert, Sie haben Helmstedt noch vor der Maueröffnung in Erinnerung. Wie hat sich das Stadtleben in den letzten 30 Jahren atmo­phärisch verändert?
Bis zu meinem 19. Lebensjahr bin ich in der Grenzstadt groß geworden. Jenseits von Mauer und Zaun gab es für uns nichts. Ich erinnere mich an die Staus auf der Autobahn vor der Abfertigung an der Grenze sowohl für den Transit nach Berlin als auch für diejenigen, die in die DDR einreisen durften. Der Verkehr staute sich oft neun Kilometer bis zum Ortsteil Barmke zurück, wo ich wohne. Man spürte immer, dass das Umland fehlte. 1989 war dieses natürliche aber uns unbekannte Umland auf einmal da.
Helmstedt bedeutete für uns Westdeutsche damals ein Aufatmen. Endlich hatte man am Grenzübergang die Transitstrecke verlassen. Heute hat die Stadt ein Grenzdenkmal und ein Zonengrenz-Museum. Wird dieses Museum gut besucht?
Das Museum ist für das Fachpublikum und Besucher ein wichtiger Anlaufpunkt. Es ist aber kein Touristenmagnet. Die Stadt hat 2015 den alten Grenzbahnhof Helmstedt-Marienborn erworben. Leider „verscherbelt“ die Bahn alles und dieses oft auch in desolatem Zustand. Wir wollen ihn neugestalten als Erinnerungsort der Überwindung der Grenze. Am Bahnhof steht normalerweise ein alter Militärwaggon der US-amerikanischen Streitkräfte. Dieser ist derzeit für sechs Jahre für eine Ausstellung in einem „Friedenspark“ nach Südkorea ausgeliehen.
Wie hat sich die heutige „Stadt der Einheit“ weiterentwickelt?
Volkswagen ist mit Abstand der größte Arbeitgeber in der Region. Im Schatten von VW haben wir in Helmstedt kleine und mittlere Unternehmen, die sich im Laufe der Jahre vergrößert haben. Das Landesamt für Statis­-
tik weist aus, dass der Landkreis Helmstedt schrumpft. Für mich ist Helmstedt eine Stadt mit Wachstum durch Zuzug.
Sie sprechen von kleinen und mittleren Betrieben in Helmstedt. Die Stadt liegt an der Grenze zu Sachsen-Anhalt. Ich kann mir vorstellen, dass dort in den Jahren nach Maueröffnung viel mehr Fördermittel zur Verfügung standen. Gab es deswegen eine Abwanderung?
Ihre Frage beschreibt die Situation, die wir tatsächlich bis vor rund zehn Jahren hatten. Ein Unternehmen, das sich in Helmstedt erweitern wollte, hätte eine Förderung von 35 Prozent erhalten. Es ist ins Nachbarbundesland abgewandert, nur drei Kilometer entfernt, weil dort die Förderung bei bis zu 85 Prozent lag. Es gab durch die unterschiedlichen Förderungen starke Verschiebungen. Der Raum Helmstedt steckt zudem seit Anfang der 90er Jahre mit der Braunkohle in einem Strukturwandel. Wir sind
eine Region mit 150jähriger Braunkohlegeschichte mit bis zu 6000 Arbeitsplätzen. Jetzt sind es nur noch rund 100. Das Kohlekraftwerk wurde 2016 zwangsabgeschaltet und die letzte Kohle aus dem Tagebau gefördert.
Im ausgekohlten Tagebau entsteht das Riesenprojekt Lappwaldsee als Naherholungsgebiet. Ist das nicht viel zu groß für Helmstedt?
Nein, der Tagebau war durch die Grenze zweigeteilt. Im Osten wie im Westen wurde abgebaut. Wir haben mit der sächsisch-anhaltinischen Gemeinde Harbke einen Planungsverband gegründet. Der See reicht über die Ländergrenze hinweg und wird über die nächsten 15 Jahre mit Wasser gefüllt. So entsteht ein bemerkenswertes und geschichtsträchtiges Naherholungsgebiet.
Warum dauert das so lange?
Der See wird 105 Meter tief sein. Wenn man ihn natürlich volllaufen lässt, dauert das sogar 90 Jahre. Zur Beschleunigung pumpen wir Wasser hinzu. Geplant ist ein überegionales touristisches Ziel. Der Badestrand wird im Bereich der Gemeinde Harbke sein, der Bootshafen gegenüber. Wir haben sogar schon Anfragen von Wasserflugzeuganbietern. Da auch der benachbarte Schöninger See im Tagebau sich füllen wird, werden wir vielleicht beide Seen mit einem Kanal verbinden. Es entsteht dann nach dem Steinhuder Meer die zweitgrößte Seenfläche in Niedersachsen.
Helmstedt war bis 1810 eine Universitätsstadt mit bedeutenden Gelehrten wie Giordano Bruno und einem Renaissancebau aus dem 16. Jahrhundert. Gibt es Chancen, dass die Lehre wieder zurückkehrt?
Ja, wir haben hier den Verein „Academia Julia“, der sich auch dem Ziel verschrieben hat, universitäres Leben wieder nach Helmstedt zu holen. Wir stehen mit den Hochschulen Braunschweig und Magdeburg in Kontakt. Magdeburg ist bereits mit dem Ableger einer Business-School vertreten.
In der Stadt werden viele Fachwerkhäuser saniert. Sehen Sie eine Tendenz zurück in den Stadtkern?
Wir hatten einen massiven Leerstand und Verfall von denkmalgeschützten Häusern. Es wurden dann verschiedene Entwicklungen eingeleitet. Sehr wichtig war die Ansiedlung des Hauptsitzes des Stromversorgers Avacon. Dafür hat die Stadt das Gelände und die Stadtwerke verkauft. Das war die Grundvoraussetzung für Avacon. Der Rat der Stadt hat dieses Geld nicht in den allgemeinen Haushalt gepackt, sondern in eine eigene Stiftung Denkmalschutz. Auf einmal hatten wir die Möglichkeit, die Käufer denkmalgeschützter Häuser bei der Sanierung sehr gut finanziell zu fördern, was seitdem reichlich genutzt wird. Hinzu kommt eine gute Bauberatung. Die Belebung der Stadt funktioniert, da ein gut saniertes Haus auch Mieter findet. Die Stadt hat mehrere Häuser auch in eigener Regie saniert, zum Beispiel das älteste Wohnhaus der Stadt direkt am Markt.
Ein anderes Problem ist der Leerstand im Erdgeschoss, mit dem viele Städte zu kämpfen haben. Die Fußgängerzone Neumärker Straße ist
recht gut angenommen. In den Seitenstraßen sieht es traurig aus. Haben Sie ein Konzept um die Lage zu verbessern?
Wir haben gerade ein neues Stadtentwicklungskonzept mit großer Bürgerbeteiligung auf den Weg gebracht. Es sind auch für die Seitenstraßen der Innenstadt verschiedene Maßnahmen entwickelt worden. Die Konkurrenz der grünen Wiese ist da. Was sich aber noch viel mehr niederschlägt ist das Einkaufen im Internet. Ich bin der Auffassung, dass uns der Internethandel nicht die Filialisten aber die Einzelhändlerstruktur bald nahezu ganz kaputt machen wird.
Kommen wir zur Marktpassage gegenüber vom Rathaus, die ist ja in die Jahre gekommen. Ich habe gelesen, dass Stefan Heidemann mit seiner Berliner Bodenkontor Liegenschaften GmbH die Häuser gekauft hat. Ich frage mich: Wie kommt jemand aus Berlin dazu, so ein Objekt einer Ladenpassage mit viel Leerstand zu übernehmen?
Herr Heidemann hatte schon vorher Verbindungen nach Helmstedt und Lust bekommen, dieses Objekt zu entwickeln. Er geht nach einigen baulichen Verbesserungen sehr stringent vor und setzt seine Ideen um, ins­besondere hat er auch die Wirtschaftlichkeit im Blick, um langfristig die Marktpassage zu erhalten. Erste Erfolge durch neue Mieter sind sichtbar.
Welche Perspektive sieht er für das Objekt?
Immer mehr Menschen verbringen ihre Mittagspause am Marktplatz und konsumieren. Es fehlte aber ein wetterunabhängiger Attraktionspunkt. Herr Heidemann hat das erkannt.
Sie haben viel Positives berichtet. Was ist Ihnen besonders wichtig?
Ich freue mich, dass eine immer größere Anzahl an Bewohnern großes Interesse daran hat, ihre Stadt weiterzuentwickeln und aktiv mitmachen. Das war nicht immer so.
Gibt es Punkte, wo Sie sagen, da müssten wir mehr machen, da gibt es Potenziale, aber es gelingt einfach nicht?
Ja. Wir erfüllen den Bedarf an Wohnraum in der Stadt nicht. Wir haben hier weiterhin Wohnungs- und Häuserleerstand, Gebäude, die nicht genutzt werden, da sie nicht saniert sind. Ich möchte, dass wir diese Häuser nutzen. Viele Hausbesitzer lassen sie einfach in schlechtem Zustand leer stehen und sind nicht interessiert. Manche Wohnungseigentümer sind nicht erreichbar. Dies gilt besonders für Eigentümer aus Russland.
Wie kam es eigentlich zur Städtepartnerschaft mit Albuquerque in New Mexico? Das ist doch eine deutlich größere Stadt.
Viel größer, das stimmt! Sie entstand durch US-Soldaten aus Albuquerque, die hier an der Grenze stationiert waren. Interessanterweise hat der Austausch mit Albuquerque zuletzt wieder an Fahrt aufgenommen.

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