Bauwelt

Ricardo Scofidio (1935–2025)

Das New Yorker Büro Diller Scofidio + Renfro hat jahrzehntelang Impulse gesetzt. Nun hat es seinen Gründungspartner verloren. Ein Nachruf seines Biographen.

Text: Dimendberg, Edward, Santa Cruz

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    Ricardo Scofidio im Jahr 2018
    Foto: Geordie Wood

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    Ricardo Scofidio im Jahr 2018

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    Installation Para-Site, New York, 1989
    Foto: Architekten

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    Installation Para-Site, New York, 1989

    Foto: Architekten

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    Brasserie-Restaurant im Seagram Building
    Foto: Michael Moran

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    Brasserie-Restaurant im Seagram Building

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    Institute for Contempo­rary Art, Boston, 2006
    Foto: Iwan Baan

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    Institute for Contempo­rary Art, Boston, 2006

    Foto: Iwan Baan

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    Wolkenpavillon Blur, Yverdon, 2002
    Foto: Beat Widmer

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    Wolkenpavillon Blur, Yverdon, 2002

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    Lincoln Center for the Performing Arts, 2009–12
    Foto: Iwan Baan

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    Lincoln Center for the Performing Arts, 2009–12

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    Highline, 2009–19
    Foto: Iwan Baan

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    Highline, 2009–19

    Foto: Iwan Baan

Ricardo Scofidio (1935–2025)

Das New Yorker Büro Diller Scofidio + Renfro hat jahrzehntelang Impulse gesetzt. Nun hat es seinen Gründungspartner verloren. Ein Nachruf seines Biographen.

Text: Dimendberg, Edward, Santa Cruz

Heute vergisst man leicht, wie trostlos die amerikanische Architektur Ende der 1970er Jahre war. Das Büro SOM hatte ohne Gordon Bunshaft seinen Schwung verloren. Frank Gehry stand erst kurz vor seinem Durchbruch. Peter Eisenmann und James Wines theoretisierten, aber bauten wenig. Und die Postmodernisten Philip Johnson, Robert Venturi, Denise Scott Brown, Charles Moore und Michael Graves entwarfen Gebäude, die bestenfalls effekthascherisch, schlimmstenfalls vulgär waren. Doch an einem unerwarteten Ort keimte die Saat der Erneuerung: in einem Loft am Cooper Square 36 im New Yorker East Village, über den Büros der Gegenkultur-Zeitung The Village Voice. Hier gründeten Elizabeth Diller und Ricardo Scofidio 1979 das Büro Diller + Scofidio. Heute hinterfragen Architekten häufig die digitale Kultur und die Gesellschaft des Spektakels. Diller und Scofidio führten ein Konzept von Architektur als Kulturkritik ein, das heute für viele selbstverständlich ist. Ihr Studio strahlte eine ironische, punkige Kantigkeit aus, die von französischer poststrukturalistischer Theorie und New Yorker Street Smartness geprägt war und sich in den ersten zwei Jahrzehnten vor allem in Konzeptkunst, Performances, Tanzprojekten, Ausstellungen, Filmen und Büchern manifestierte .
Scofidio wurde 1935 in New York geboren. Er studierte Architektur an der Columbia University und der Cooper Union, wo er 1965 zu lehren begann. Er hasste kommerzielle Architektur und verließ in den 1970er Jahren das erste Büro, das er mitbegründet hatte. An der Cooper Union lernte er die Studentin Elizabeth Diller kennen, die später seine kreative Partnerin und Ehefrau wurde. Viele, die die beiden kannten, hielten sie für eine Person in zwei Körpern. Beide waren keine Anhänger der Jüngerschaft, und der einzige Architekt, dessen Arbeit ihnen anfangs etwas bedeutete, war John Hejduk, Dekan der Cooper und selbst ein Nonkonformist, der illustrierte Bücher und architektonische Skulpturen schuf, bevor er seinen eleganten Anbau an die Hochschule realisierte. In den ersten Jahren entwarfen Diller und Scofidio wenig ohne Hejduks Rat, aber da er Diller, nachdem diese dem Lehrkörper beigetreten war, eine Festanstellung verweigerte, zog sie nach Princeton.
Der Entwurf des Slow House brachte ihnen 1989 einen Platz auf dem Cover des Magazins Progressive Architecture ein. Der geschwungene Bau endete in einem Fenster mit Blick auf die Great Peconic Bay von Long Island, wobei der Ausblick aufs Meer teilweise durch einen Videomonitor verdeckt wurde, auf dem die Szenerie zu sehen war – eine Gegenüberstellung von Realität und Mediendarstellung. Wie viele ihrer kühnsten Entwürfe wurde es nie gebaut. Im selben Jahr platzierten sie für ihre Installation Para-Site im Museum of Modern Art Videokameras über einer Drehtür und diagonale Balken und auf dem Kopf stehende Stühle in einer Galerie. Projekte wie ein von Marcel Duchamp inspiriertes Theaterstück, ein dekonstruierter Fernseher, kleine Pavillons in Gruppenausstellungen, eine Ausstellung über Tourismus und ihre Anti-Monografie Flesh machten sie zu Kultfiguren unter Architektinnen, die sich für den Kampf gegen die verführerischen Illusionen der Konsumkultur engagieren.
Obwohl Diller das öffentliche Gesicht des Büros war, war Scofidio nicht weniger eloquent, wenn auch zurückhaltender. Alles, was die beiden entwarfen, profitierte von seiner Liebe zum Detail und seiner Fähigkeit, Architektur auf das Nötigste zu reduzieren, wo Konstruktion, Provokation und Poesie miteinander verschmolzen. Ein Wendepunkt war das Brasserie-Restaurant im Seagram Building, in dem die Gäste an der Tür auf Video aufgenommen wurden, eine imposante Treppe hinuntergingen und sich auf Monitoren über der Bar betrachten konnten. Es war ihr erstes Interieur, das mit einem großzügigen Budget und spektakulären Details wie Plastik­tischen, die keine Tischdecken mehr benötigten, realisiert wurde und ihre sorgfältige Analyse des Programms widerspiegelte.
Das Institute for Contemporary Art in Boston (2006) mit seiner freitragenden Galerie und dem zur Boston Bay hin geneigten Medienraum war ihr Durchbruch, der zu weiteren Projekten führte. 2002 war ihnen mit ihrem Wolkenpavillon Blur auf der Schweizer Landesausstellung bereits der Durchbruch in Europa gelungen (Bauwelt 21.2002). Allein an der Gestaltung der Düsen hatte Scofidio jahrelang gearbeitet.
Bei der Renovierung des Lincoln Center for the Performing Arts (2009–2012) wurde der ikonische Springbrunnen auf dem Platz erhalten, ein Restaurant mit einer Rasenfläche auf dem Dach elegant eingefügt und die Eingangstreppe mit LED-Stufen versehen. Ein wichtiges Ziel war es, den Komplex für die umliegende Nachbarschaft zugänglicher zu machen.
Die Zusammenarbeit mit dem Landschaftsarchitekten James Corner’s Field Operations an der Highline (2009–19), heute eine der beliebtesten Touristenattraktion der Stadt, unterstreicht ihr anhaltendes Engagement für die Schaffung öffentlicher Räume. Unterbrochen von einer transparenten Treppe, cleveren beweglichen Möbeln und einem versenkten Amphitheater mit einem auf die Straße gerichteten rückseitigen Fenster machte das Projekt die Umnutzung von Industriegebäuden – heute all­gegenwärtig – schick. Scofidio scherzte darüber, dass seine Herausforderung darin bestand, den Park vor Architektur zu retten. Dies gelang ihm zunächst, obwohl die später neben der High Line errichteten Luxus-Eigentumswohnungen deren demokratische DNA in Frage stellen.
Optik, Präsentation und Leistung waren zu den wichtigsten Leitmotiven seiner und Dillers Architektur geworden, wie im Vagelos-Gebäude der medizinischen Fakultät der Columbia University (2016). Die Treppenhäuser mit Schlafnischen und Blick auf den Hudson River strahlen Ruhe und Großzügigkeit aus und überraschten alle, die fälschlicherweise angenommen hatten, dass ihre Arbeiten aggressiv seien. Der Anatomiesaal – der in den meisten medizinischen Fakultäten unterirdisch liegt – war an allen Seiten verglast, sodass natürliches Licht einfiel und eine Rundumsicht möglich war.
Nachdem Charles Renfro Partner wurde (später kam noch Benjamin Gil­martin hinzu), wurde aus Diller + Scofidio Diller Scofidio + Renfro. Die Minimalbesetzung der ersten Jahre wuchs im Laufe der Jahre an zu einem Büro mit 100 Beschäftigten, das sich auf Kultur- und Bildungseinrichtungen spezialisiert hat, wie das Pina Bausch Zentrum in Wuppertal.
Bei der Erweiterung des Museum of Modern Art (2019) wurde mutig versucht, in einer Einrichtung mit dem Verkehr eines großen Flughafens die Qualitäten eines Museums zu bewahren. Die Lobby mit Sitzgelegenheiten und einem versenkten Museumsshop mit Artikeln in Regenbogenfarben, die an ein Foto von Andreas Gursky erinnern, gefiel nicht jedem, und einige fanden es schwierig, sich in den neuen höhlenartigen Galerien zurechtzufinden, die die Sammlung auf neue Weise präsentieren sollten.
Scofidio war freundlich, witzig und ein pointierter Denker. Er liebte es, seinen Porsche zu fahren (wobei er mich erfolgreich überzeugte, dass es eine Sportart sei, bei der er ins Schwitzen käme). Als er eines Tages von einem Radargerät erfasst wurde, verließ er die Autobahn und gestand einem Verkehrspolizisten offen und ehrlich, dass er zu schnell gefahren und geblitzt worden war. Daraufhin erhielt er keinen Strafzettel.
Die Vorstellung, dass jemand über einen schreibt und ein Historiker die Projektunterlagen durchliest und Kolleg:innen, Freund:innen und Klient­:innen interviewt, ist nicht gerade angenehm. Doch als ich mein Buch „Diller Scofidio + Renfro. Architecture after Images“ über das Studio schrieb, akzeptierten Diller, Scofidio und ihr Team meine Anwesenheit in ihrem Büro und in ihrem Leben mit Freundlichkeit und Humor. Nachdem Scofidio es gelesen hatte, sagte er zu mir, er habe das Gefühl, als sei jemand in seinen Kopf eingedrungen. Keine Reaktion auf eines meiner Bücher hat mich jemals so tief bewegt. Ein Kollege erwähnte einmal, dass Scofidio das Geheimnis gelüftet habe, wie man beim Autofahren den Gang wechselt, ohne die Kupplung zu treten. Was würde ich heute darum geben, ihn danach gefragt zu haben. Ricardo Scofidio starb am 6. März 2025 in New York City.
Übersetzung aus dem Englischen: Beate Staib

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