Bauwelt

Mit dem Brecheisen durch Hamburg

Die Deutsche Bahn und die Stadt Hamburg planen den Abriss der denkmalgeschützten Sternbrücke und den Ersatz durch einen überdimensionierten Neubau – ein gestalterischer Frevel und weit über Hamburg hinaus ein Mahnmal verfehlter Verkehrspolitik, die sich außerstande sieht, mit einer ortsbezogenen Stadtplanung und den Interessen der Bewohner zu kooperieren. Dass der kollosal-plumpe Ersatzbau zudem ohne Wettbewerb durchgeführt werden soll, ist ein Skandal.

Text: Gefroi, Claas, Hamburg

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    Alte Sternbrücke in Hamburg Altona ... Foto: Johanna Klier

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    Alte Sternbrücke in Hamburg Altona ...

    Foto: Johanna Klier

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    geplante, neue Sternbrücke (aus unterschiedlichen Richtungen aufgenommen).
    Visualisierung: copyright Vössing Ingenieurgesellschaft mbh

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    geplante, neue Sternbrücke (aus unterschiedlichen Richtungen aufgenommen).

    Visualisierung: copyright Vössing Ingenieurgesellschaft mbh

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    Kleinteiliges Gewerbe ...
    Foto: Johanna Klier

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    ... und Clubs fanden im Sockel der Brücke ein Unterkommen. Ob es Ersatzräume geben wird, ist zweifelhaft.
    Foto: Johanna Klier

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    ... und Clubs fanden im Sockel der Brücke ein Unterkommen. Ob es Ersatzräume geben wird, ist zweifelhaft.

    Foto: Johanna Klier

Mit dem Brecheisen durch Hamburg

Die Deutsche Bahn und die Stadt Hamburg planen den Abriss der denkmalgeschützten Sternbrücke und den Ersatz durch einen überdimensionierten Neubau – ein gestalterischer Frevel und weit über Hamburg hinaus ein Mahnmal verfehlter Verkehrspolitik, die sich außerstande sieht, mit einer ortsbezogenen Stadtplanung und den Interessen der Bewohner zu kooperieren. Dass der kollosal-plumpe Ersatzbau zudem ohne Wettbewerb durchgeführt werden soll, ist ein Skandal.

Text: Gefroi, Claas, Hamburg

Das muss ein Irrtum sein. Als Hamburg am 16. April aus der Lokalpresse erfuhr, dass die legendäre, denkmalgeschützte Sternbrücke im Bezirk Altona abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden soll, war ungläubiges Staunen und Schock die Reaktion. Die Visualisierung der neuen Brücke, die die Bahn vorgelegt hatte, schien ein schlechter Scherz zu sein: Ein stählerner Gigant fräst sich da in die kleinteilige historische Bebauung des beliebten Schanzenviertels, eine Brücke mit einem gewaltigen, tiefliegenden Balken und darüber sich in höchste Höhen erhebendem Bogen. Als hätte man eine Autobahnbrücke im Stadtzentrum platziert: ein Bau,der trennt, statt zu verbinden.
Es war kein Irrtum. Wie nur konnte es zu dieser Planung kommen? Schon seit Jahren war bekannt, dass die Deutsche Bahn auf der wichtigen S- und Fernbahntrasse zwischen Hauptbahnhof und Altona die historische Sternbrücke abreißen und durch einen Neubau ersetzen wollte. Die 1894 fertig gestellte und 1926 im Überbau erneuerte Brücke war Teil der 1866 eingerichteten und zum Ende des 19. Jahrhunderts neu strukturierten und ausgebauten Hamburg-Altonaer Verbindungsbahn, die die beiden Städte verband. Mit der Höherlegung der vorher ebenerdigen Trasse verband sich nicht nur der Bau eines langen Bahndamms, sondern auch zahlreicher Brücken, von denen die Sternbrücke die bedeutendste war. Zwei wichti­ge Durchgangsstraßen, die heutige Max-Brauer-Allee und die Stresemannstraße, kreuzen sich hier und mussten von einem langem Brückenbauwerk diagonal überspannt werden. Das gelang seinerzeit erstaunlich feingliedrig: der Neubau von 1926, der die erste Sternbrücke von 1894 ersetz­te, war eine wohlproportionierte, schmal gehaltene gelenklose Balkenbrücke aus zwei parallelen dreifeldrigen Stahltrogüberbauten für je zwei Glei­se. In die Widerlager waren Räume eingelassen für Geschäfte mit großen Schaufensterfronten und auch in dem beidseits anschließenden Bahndamm waren Kasematten integriert für u.a. das Hamburger Fundbüro der Bahn. Das Brückenbauwerk galt bei Fertigstellung als „Glanzstück deutscher Technik“.
Obgleich zahlreiche technisch-konstruktive und gestalterische Details die Brücke zu einem ganz besonderen Bauwerk machen, das völlig zu Recht unter Denkmalschutz gestellt wurde, gab es für die Bahn seit Beginn der Planungen für eine Erneuerung des Streckenabschnitts nur die Option Abriss. Die Brücke habe das Ende ihrer Lebensdauer erreicht; eine Sanierung würde den Zeitpunkt des Abrisses nur um wenige Jahrzehnte verschieben. Zudem müsste die Brücke für eine Sanierung ausgebaut werden, was eine monatelange Unterbrechung der wichtigen Bahnverbindung bedeutete. Wie glaubhaft die Argumente sind, kann von der Öffentlichkeit bis heute nicht beurteilt werden, weil die entsprechenden Gutachten unter Verschluss blieben und erst im Planfeststellungsverfahren offengelegt werden. Wenn die Brücke tatsächlich in so schlechtem Zustand sein sollte, dürfte dies kein Zufall sein: Laut der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zwischen Bahn und Bund ist die DB verpflichtet, Infrastruktur wie Gleise oder Brücken auf eigene Kosten instand zu halten – Neubauten jedoch bezahlt der Bund. Das führt dazu, dass die Bahn überall im Land mit der Sanierung von Brücken wartet, bis sie abgerissen und neu gebaut werden müssen. Auch die Sternbrücke wurde nicht grundlegend saniert, was es der Bahn leicht machte, nun auf einem Neubau zu beharren. Ob es von Seiten der Stadt Hamburg gegen den Abriss nennenswerten Widerstand gab, ist unklar – die Verhandlungen zwischen beiden Seiten liefen hinter verschlossenen Türen und blieben damit völlig intransparent.
Der Abriss der Brücke und der noch älteren Kasematten links und rechtshaben nicht nur die Vernichtung eines einzigartigen Ingenieurbauwerks zur Konsequenz: In den Widerlagern der Brücke und in den Gewölben haben neben Geschäften und einem Gebrauchtwagenhandel auch mehrere Musik- und Tanzclubs seit vielen Jahren eine Heimstatt. Sie alle müssen weichen und ein deutschlandweit einzigartiges subkulturelles Milieu, das auch in vielen Serien und Filmen immer wieder als Großstadtkulisse genutzt wurde (so in Fatih Akins „Soul Kitchen“), droht zu verschwinden. Dies ist ein Ort wie kein Zweiter. Allein die „Astra Stube“, in einem der Brücken­widerlager direkt an der Kreuzung gelegen, bietet ein unvergleichliches, verdichtetes Metropolenerlebnis, eine Symphonie der Großstadt: Vor dem großen Schaufenster flanieren Nachtschwärmer, Fahrzeuge rauschen in nur wenigen Metern Abstand vorbei und alle paar Minuten donnern Fernzüge und S-Bahnen über Bands und Gäste hinweg. Zwar beteuern Bahn und Bezirk, Ersatzflächen für die Clubs in der Nähe zu suchen (bislang ohne Erfolg angesichts von erbosten NIMBY-Anwohnern), doch die einzigartige urbane Atmosphäre ließe sich nicht in einem Neubau übertragen. Und selbst wenn neue Räume gefunden oder errichtet würden: Wie die durch monatelange pandemiebedingte Schließung ohnehin gebeutelten Clubs eine Verlagerung finanzieren sollen, bleibt ein Rätsel. Als wäre all das noch nicht genug, wurde nun bekannt, dass für den Neubau der Brücke mehrere nahegelegene, teils ebenfalls unter Denkmalschutz stehende Wohngebäude abgerissen werden müssen.
Ob der Abriss der Sternbrücke fachlich zwingend ist, wird die Offenlegung der Gutachten zeigen. Dass die Brücke abgerissen wird, daran bestehen angesichts der unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgten Einigung von Senat und Bahn keine Zweifel. Zu erwarten wäre, dass alle mit der Planung betrauten Seiten sich der Tragweite ihrer Entscheidung bewusst und darauf bedacht sind, den baukulturellen Verlust durch einen möglichst wohlgestalteten und sich ins Umfeld einfügenden Neubau so gering wie möglich zu halten. Das Gegenteil ist der Fall: Den von der Bahn veröffentlichte Entwurf der verantwortlichen Ingenieurgesellschaft Vössing für eine Stabbogenbrücke kann man nur als maximalen gestalterischen Schaden bezeichnen. Viel zu grob, zu hoch und gleichzeitig viel zu schwerfällig wirkt die Brücke im „Fehmarnsund-Stil“ (DB). Dabei ist der jetzt gewählte Typ von allen Varianten noch der moderateste: Ursprünglich war an eine gewaltige Fachwerkbrücke oder eine Stabbogenbrücke mit einem 24 Meter hohen Bogen gedacht worden. Die jetzige „optimierte“ Planung sieht „nur“ noch einen 21 Meter hohen Bogen vor.
Die Planung wurde vorgestellt in einer öffentlichen Informationsveranstaltung der Bahn, die Corona-bedingt für die Öffentlichkeit nur im Internet – und ohne Beteiligungsmöglichkeit – zu verfolgen war. Immerhin einige wenige Bürger durften vor Ort im Veranstaltungssaal dabei sein. Dabei stellte sich auf Nachfrage heraus, dass die immensen Dimensionen der Brücke nicht aus Anforderungen der Bahn, sondern der Stadt erwuchsen: Besitzt die alte Sternbrücke noch Pendelstützen, die teils auf kleinen Verkehrsinseln im Straßenraum stehen, soll die neue Brücke nach Maßgabe des in der Wirtschaftsbehörde angesiedeltem Amts für Verkehr den Kreuzungsraum über eine Länge von 108 Metern komplett stützenfrei spannen – was in der Konsequenz erst zu dem kolossal überdimensionierten Bauwerk führt. Begründet wird die Vorgabe der Stützenfreiheit mit der Stand- und Anprallsicherheit bei LKW-Unfällen und mit mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer bei einer möglichen Umgestaltung der Straßenräume. Die Argumentation ist unglaubwürdig: In der Veranstaltung musste der Vertreter der Verkehrsabteilung einräumen, dass die Straßen im Kreuzungsbereich von drei auf vier Spuren ausgebaut werden sollen. Einem stadt- und klimagerechten Umbau der Straßen stehen also nicht, wie behauptet, neue Brückenpfeiler im Weg, sondern ein antiquiertes Verkehrskonzept, das ein Maximum an Autofahrspuren vorsieht. Hier wird das Komplettversagen der Hamburger Verkehrspolitik deutlich: Es gibt keine deutsche Großstadt, in der der Durchgangsverkehr noch heute in dieser Weise mitten durch die innere Stadt geführt wird. So leiden die Anwohner seit Jahrzehnten unter der Lärm- und Abgasbelastung – die Kreuzung passieren täglich 48.000 Fahrzeuge –, die sich vor allem aus dem Fernverkehr ergibt. Statt Konzepte zur Verkehrsreduzierung oder -verlagerung zu entwickeln, baut man die Verkehrswege weiter aus. Es zeigt sich in Hamburg in besonderer Schärfe, was auch in anderen deutschen Städten ein Problem ist: Der motorisierte Verkehr hat weiterhin Vorrang und von einer Verkehrswende ist, im Gegensatz zu vielen europäischen Metropolen, nichts zu sehen. Und: Die Verkehrsplanung ist kein Teil der Stadtplanung – eine gleichberechtigte Zusammenarbeit gibt es nicht. Man sieht, wohin das führt: Das Stadtbild wird der autogerechten Stadt geopfert, ganz so, als wären wir noch in den 1970er Jahren. An überwunden geglaubte Zeiten erinnert auch die Art und Weise, wie das Projekt durchgezogen wird. Nachdem Abriss und Neubau der Brücke im Verborgenen zwischen Bahn, Behörden und Senat ausgehandelt wurden, soll nun alles ganz schnell gehen: Zwei Wochen nach der bislang einzigen Informationsveranstaltung wurde am 30. April das Planfeststellungsverfahren gestartet. Im September 2022 soll das Planrecht erteilt sein und im Januar 2023 mit Abriss und Neubau begonnen werden. Die Eile zeigt: Hier soll nichts mehr diskutiert und in Frage gestellt, hier sollen Fakten geschaffen werden. Noch nicht einmal auf einen Gestaltungswettbewerb mit einigen auf Brückenbau spezialisierten Ingenieurbüros – für Verkehrsprojekte dieser Größenordnung eigentlich eine Selbstverständlichkeit – will sich die Bahn einlassen. Inzwischen gibt es Kritik und Widerstand – vom Denkmalverein, einer Initiative Sternbrücke, vom Hamburger BDA, der Hamburgischen Architektenkammer und der Ingenieurkammer-Bau. Ob sie noch etwas bewirken, ist ungewiss.

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