Bauwelt

Dächer oder Äcker?

Die Akzeptanz der Energiewende hängt davon ab, wie sie gemacht wird. Wind und Sonne sind die Pfeiler der erneuerbaren Stromversorgung. Doch auf welchen Flächen sollen die Anlagen stehen?

Text: Hellweg, Uli, Berlin

Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Solarprofit versus landwirtschaftliche Nutzung. Die ungeregelte Regionalplanung erzeugt Spannungen in Dorfgemeinschaften.
Foto: picture alliance/ZB/euroluftbild.de Werner Riehm

  • Social Media Items Social Media Items
Solarprofit versus landwirtschaftliche Nutzung. Die ungeregelte Regionalplanung erzeugt Spannungen in Dorfgemeinschaften.

Foto: picture alliance/ZB/euroluftbild.de Werner Riehm


Dächer oder Äcker?

Die Akzeptanz der Energiewende hängt davon ab, wie sie gemacht wird. Wind und Sonne sind die Pfeiler der erneuerbaren Stromversorgung. Doch auf welchen Flächen sollen die Anlagen stehen?

Text: Hellweg, Uli, Berlin

2022 wurden knapp 12 Prozent des Stroms in Deutschland durch Photovoltaik und 25 Prozent durch Windkraft erzeugt. Nach dem EEG 2023 sollen bis 2030 mindestens 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. Dafür soll bis 2030 die Leistung bei Solaranlagen mehr als verdreifacht, bis 2040 sogar versechsfacht werden.
Bei der Solarstromgewinnung wird zwischen den PV-Anlagen auf versiegelten Flächen wie Dächern, Fassaden, Parkplätzen und den „Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen“ auf Äckern, Wiesen und Brachen unterschieden. Gegenwärtig überwiegen die PV-Anlagen auf versiegelten Flächen. Nach Angaben des bundeseigenen Thünen-Instituts lag der Anteil der installierten PV-Leistung auf versiegelten Flächen 2022 bei rund 72 Prozent. Ob sich allerdings der hohe Anteil an urban produziertem Solarstrom in Zukunft bei den geplanten Wachstumsraten halten lässt, ist fraglich. Trotz riesiger bebauter Flächen gab es seit 2021 in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen keinen nennenswerten Zubau mehr. Das Interesse großer Investoren und internationaler Fonds an kleinteiligen urbanen Solaranlagen ist minimal. Nach Berechnungen des Frauenhofer ISE sind die „Stromgestehungskosten“ auf versiegelten Flächen drei bis fünfmal höher als auf PV-Freiflächen. Außerdem behindern bau- und brandschutzrechtliche Vorschriften, Gebäudestatik und die Eigentumsstrukturen die Mobilisierung von urbanen Photovoltaikflächen.
Die Bundesregierung geht daher von einem Rückgang der auf versiegelten Flächen installierten PV-Leistung auf 50 Prozent der insgesamt installierten Leistung aus. Dies ist angesichts der vielfältigen Restriktionen eine sehr optimistische Prognose. Ließe sich tatsächlich die Hälfte der geplanten Solarenergie auf Dächern, an Fassaden und über Park- und Lagerflächen gewinnen, würde dies nach Berechnungen des Thünen-Instituts umgekehrt bedeuten, dass bis 2040 etwa 430.500 Hektar Äcker und Wiesen oder 2,6 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche mit Solarpaneelen bebaut werden. Das entspricht fast dem fünfzehnfachen der gegenwärtig installierten Freiflächen-PV-Anlagen (ca. 30.000 Hektar) oder bis 2040 einem jährlichen Wachstum der Solarparks um 25.000 Hektar.

Neue Solarlandschaften

Photovoltaik galt über viele Jahre als die erneuerbare Energie mit der größten Akzeptanz in der Bevölkerung. Das ändert sich gegenwärtig in rasanter Geschwindigkeit. Zwar ist die Flächeninanspruchnahme durch Solarparks deutlich niedriger als die landwirtschaftlich genutzte Fläche für Biogas- und Biospriterzeugung, aber es macht eben einen Unterschied, ob auf den Äckern im Wechsel der Jahreszeiten Raps blüht oder Mais geerntet wird oder ob sie mit eingezäunten technischen Solarkonstruktionen bebaut werden. Die massiven Eingriffe in das Orts- und Landschaftsbild sind auch Planungsverbänden und Ministerien bewusst. Aber ihre gutgemeinten, rechtlich unverbindlichen „Handreichungen“ und „Leitfäden“ gehen am eigentlichen Problem vorbei, nämlich dem Ausgeliefertsein vielfach überforderter Gemeindevertreter und Ehrenamtlichen in den kleinen Landkommunen. Sie haben in den seltensten Fällen Kriterien oder gar Standortanalysen für PV-Anlagen, sondern handeln auf Zuruf der Investoren, in der Hoffnung etwas vom großen Kuchen des Geschäftes mit Solarparks abzubekommen. Die Folge: Allenthalben werden Aufstellungsbeschlüsse für „Briefmarkenpläne“ gefasst, insbesondere in den neuen Bundesländern. Hier ist schon jetzt der Anteil der installierten Freiflächen-PV-Anlagen doppelt bis fünfmal so hoch wie in den alten Bundesländern. In Thüringen gab es 2022 siebenmal mehr Anfragen für Solarparks als im Vorjahr. Die beantragte Fläche stieg von knapp 55 Hektar im Jahr 2021 auf 829 ein Jahr später. In Sachsen-Anhalt wurden 2022 Aufstellungsbeschlüsse für 1.400 Hektar gefasst, gegenüber 350 im Vorjahr. Die Tendenz zu immer größeren Solarparks ist eindeutig.
Bei vielen Betroffenen in den neuen Bundesländern werden Erinnerungen an die Goldgräberstimmung nach der Wende wach. Die gleichen großagrarischen Strukturen der DDR, die damals Investoren ins Land lockten, begünstigen jetzt das neue PV-Land-Grabbing. Vom Solarboom profitieren vor allem die Landbesitzenden. Nach einer Untersuchung des Thünen-Instituts lagen die Pachten für PV-Freiflächen 2022 über 2500 Euro pro Hektar pro Jahr; die durchschnittliche Pacht für Ackerland betrug 274 Euro pro Hektar pro Jahr. Bäuerliche Pachtbetriebe können hier nicht mithalten. Viele geben jetzt, sechs Jahre nach der Milchkrise, endgültig auf. Soziale Spannungen in den Dorfgemeinschafen zwischen Solarprofiteuren und -verlierern sind die Folge. Kommunen werden mit dem Gewerbesteuer-Versprechen geködert, wie seinerzeit bei Großmastanlagen, Hühnerfarmen, Biogasanlagen, Klärwerken und so weiter. Dabei ist auf Grund hoher Abschreibungen und verschachtelter Luxemburger Fondskonstruktionen keineswegs sicher, wieviel Steuern tatsächlich bei den Gemeinden ankommen. Auch die gesetzliche Abgabe von 0,2 Cent pro Kilowattstunde unterliegt letztlich den Gesetzen der Strombörse und ist nur eine sichere Einnahme, solange der Solarstrom auch verkauft wird.
Um die Akzeptanz der Energiewende nicht zu verspielen, sind nun Bund und Länder am Zug. Wie bei Windkraftanlagen müssen Eignungsgebiete für Freiflächen-Photovoltaik in den Regionalplänen festgelegt werden. Dabei sind Mindestabstände von Wohnbebauung einzuhalten. Vor den Aufstellungsbeschlüssen zu PV-Bebauungsplänen müssen Standortalternativen in den Gemeinden geprüft und in Bürgerbeteiligungsverfahren mit den Investoren diskutiert werden. Angesichts der globalen Nahrungsmittelkrise dürfen keine Ackerböden mit einer Werthaltigkeit von mehr als 25 Bodenpunkten mit Freiflächen-PV bebaut werden (außer bei sogenannten Agri-Photovoltaik-Flächen, das heißt Solarparks mit gleichzeitiger landwirtschaftlicher Nutzung). Die Hinweise und Leitfäden für die Standortwahl und die Gestaltung von Solarparks müssen in den Regionalplänen zu verbindlichen Grundsätzen der Raumordnung werden. Vor allem aber sind die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für den Ausbau urbaner Photovoltaik schnell und grundlegend zu verbessern, um den Druck nicht nur von Äckern und Wiesen, sondern auch von den Dorfgemeinschaften zu nehmen.

0 Kommentare


loading
x
loading

8.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.