Raum für Solidarität in Bukarest
Atelier Ad Hoc hat eine unbrauchbare Restfläche in der Bukarester Innenstadt zum Ort gemacht. Der „Space for Solidarity“ bietet eine soziale Infrastruktur, die das Unerwünschte sichtbar werden lässt.
Text: Ghenciulescu, Ștefan, Kronstadt (Rumänien)
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Die modulare Infrastruktur umfasst überdachte Lagereinheiten und diverse Stadtmöbel.
Foto: Architekten
Die modulare Infrastruktur umfasst überdachte Lagereinheiten und diverse Stadtmöbel.
Foto: Architekten
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Sonnenkollektoren auf dem Dach erzeugen Energie.
Foto: Architekten
Sonnenkollektoren auf dem Dach erzeugen Energie.
Foto: Architekten
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Die Stützen sind nur am Boden befestigt, die Brandmauer wird nicht angetastet.
Foto: Architekten
Die Stützen sind nur am Boden befestigt, die Brandmauer wird nicht angetastet.
Foto: Architekten
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Die gesamte Struktur kann abgebaut und anderorts neu montiert werden.
Foto: Architekten
Die gesamte Struktur kann abgebaut und anderorts neu montiert werden.
Foto: Architekten
Ein Riss im Altstadtgewebe: In etwa zehn Minuten Entfernung vom Bukarester Null-Kilometer (von dem aus die Distanzen in ganz Rumänien vermessen werden) wurden in den 1980er Jahren einige Altbauten niedergerissen, um die historische Paleologu-Strasse zu verlängern und sie mit der Ost-West-Hauptachse (Carol I-Boulevard) zu verknüpfen. Die dabei entstandenen Brandmauern sind mittlerweile Teil des Stadtbilds geworden, das Rest-Grundstück an der Kreuzung der beiden Straßen ist zu klein und vor allem zu schmal für eine solide Bebauung.
Nun macht dort ein knallgelbes und feingliedriges Stahlinsekt auf sich aufmerksam. Der minimal überdachte Raum beherbergt eine soziale Infrastruktur: zwanzig Schränke für das persönliche Eigentum der Obdachlosen, die in der Gegend leben. Jede Lagereinheit bietet einen Stromanschluss. Ergänzt werden die Schränke durch nützliche Dinge für das Leben und das Zusammensein: ein kleiner Umkleideraum, Sitze und Tische, eine Nachrichtentafel, ein kleines Gestell, in dem man sein Rad abstellen kann.
Der Bau entstand dank einer Partnerschaft verschiedener NGOs und Institutionen. Unter ihnen Atelier Ad Hoc: Das Architekturbüro war nicht nur Entwerfer, sondern auch Träger des Projekts, das nicht das erste des Duos für marginalisierte Gemeinschaften ist. Die Auseinandersetzung mit dem physischen versus den sozialen Rand ist den beiden wichtig: Maria Daria Oancea und George Marinescu unterstreichen, dass sich in Bukarest wie auch in anderen Städten Unterkünfte und weitere Dienste für Obdachlose stets in der Peripherie befinden, während die Obdachlosen überall leben und die Ressourcen der Stadt brauchen. Ihre persönlichen Habseligkeiten werden aber im öffentlichen Raum kaum toleriert und sind gänzlich ungeschützt. Die unvermeidliche Einschränkung ihrer Autonomie trägt zur allgemeinen Verdrängung bei. Die freie, weil unbrauchbare Rest-Parzelle bot die Chance, den Rand in die Mitte zu holen.
Das modulare System ist in Leichtbauweise gefertigt. Zehn Stahlstützen tragen alles – das Dach, die funktionalen Elemente. Es handelt sich nicht um ein autonomes Objekt: Der langgezogene Bau dreht der Brandmauer den Rücken zu und öffnet sich zum Freiraum hin. Die einfache, klare und ehrliche Lösung ist durchaus komplex: Die offenen und geschlossen Elemente, die verschiedenen Höhen und der durchscheinende Schirm bilden Nischen und ineinander verschränkte Räume. Die Architekten wollten keine allgemeine Standardlösung, sondern ein offenes System mit standardisierten Teilen und kostengünstiger Produktion.
Die architektonischen Referenzen und Prinzipien reichen von wesentlichen städtebaulichen Elementen wie dem Portikus bis zu den verschiedenen Avantgarden: Man denkt an Konstruktivismus und Metabolismus, an Archigram. Doch man kann den Entwurf auch als eine Art formalisierte Informalität ansehen. An jeder Ecke in Bukarest, auch im Zentrum, sind die Bauten aller Epochen von wilden, manchmal sehr kreativen Erweiterungen oder Ersetzungen von Bauelementen und Balkonschließungen geprägt. Das Basteln beherrscht die Stadt immer noch, zum Kummer der Architekten, trotz der 35 Jahre, die seit dem Zerfall des totalitären Systems vergangen sind, trotz Wirtschaftsentwicklung und EU-Integration. Atelier Ad Hoc versucht nicht, das Basteln nachzuahmen, aber vom Informellen zu lernen. Das bezieht sich nicht nur auf Formales, sondern auch auf Bescheidenheit, Effizienz, wirkliche und nicht ideologisierte oder gekünstelte Not. Nebst Problemlösungen, Nachhaltigkeit und Schönheit gewährleistet diese soziale Architektur nicht zuletzt, dass dem Ausgegrenzten Würde zuteil wird.
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