Reserve – Erbe unserer Städte
Rücklagen geben Sicherheit. Doch Klimawandel und knappe Ressourcen setzen unter Druck. Welche Reserven bleiben, welchen Fundus hinterlassen wir? Das diskutierte der Bauwelt-Kongress im Dezember.
Text: Minet, Paulina, Konstanz
Reserve – Erbe unserer Städte
Rücklagen geben Sicherheit. Doch Klimawandel und knappe Ressourcen setzen unter Druck. Welche Reserven bleiben, welchen Fundus hinterlassen wir? Das diskutierte der Bauwelt-Kongress im Dezember.
Text: Minet, Paulina, Konstanz
Im Konzertsaal der Universität der Künste von Paul Baumgarten, baukulturelles Erbe der Fünfzigerjahre in Berlin, fanden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Bauwelt-Kongresses 2025 zusammen. Unter dem Titel „Reserve“ wurden nicht nur graue Energie und Nachverdichtung verhandelt, sondern auch Mobilität, Denkweisen, materielle und immaterielle Werte. Um Möglichkeitsräume der Stadtentwicklung ging es ebenso wie um die Auswirkungen von Emotionen, Bildung und Politik auf unsere gebaute Umwelt. Was können wir hinterlassen, wenn wir selbst viel zu lange weit über unsere Verhältnisse gelebt haben?
Klimaaktivistin Luisa Neubauer eröffnete den ersten Themenblock, den die Bauwelt-Redaktion mit „Endlich“ betitelt hatte. Neubauer deutet die Lage der Baubranche als Spiegel des gesellschaftlichen Umgangs mit der Welt. Rendite, Verfall, Naturkatastrophen: Nie zuvor habe es so viele Zu-Hauses gegeben, und doch sei die Unsicherheit zu groß, um sich zuhause zu fühlen. Der Schlüssel, sagt sie, liege im emotionalen Zugang, der die Menschen ins Handeln bringt. Was ist die Bau-Welt künftigen Generationen schuldig? „Ein paar Reserven zu plündern, ein paar Flächen zu versiegeln, ein bisschen intaktes Klima, Ressourcen sehr gerne, und etwas Geld auszugeben.“ Tatsächlich aber fordert sie, ehrlich auszusprechen, ob gebaut oder verbaut werde – und für wen oder gegen wen das geschehe.
Mit einem robusten, reparaturfähigen Schnürschuh mit Reißverschluss (genauer: einem Foto davon) eröffnete Elisabeth Endres, Professorin für Gebäudetechnologie an der TU Braunschweig und Co-Kuratorin des deutschen Pavillons in Venedig, das Spannungsfeld zwischen Qualität und unseren Ansprüchen an die gebaute Umwelt. Wir wüssten viel, verstünden wenig. Berlin werde künftig wie Rom, München wie Mailand – doch trotz Prognosen von durchschnittlich 45 Grad im Sommer und zunehmender Hitzetode beschönigten wir, verstrickten uns in Gebäudeenergiegesetzen, Merkblättern und eigenen Bequemlichkeiten, statt zu erkennen, dass wir handeln müssen. Fassadengrün vor Glasfassaden werde keine Probleme lösen. Es brauche die Kombination aller Möglichkeiten: von Fassadengrün und Albedo-Effekt durch helle Oberflächen über unversiegelte Flächen und Stadtbäume bis hin zu weniger stark beheizten Innenräumen im Winter. Spüren wir die Auswirkungen schon genug?
Der Themenblock „Extra Muros“ übertrug die Frage der Reserve auf die aufgelockerten Siedlungsstrukturen des 20. Jahrhunderts. Bis 2030 werden zwei Millionen Wohnungen benötigt, die Kapazitäten seien vorhanden, so der Berliner Architekt Jurek Brüggen. 63 Prozent der Deutschen träumten vom Einfamilienhaus – dem stünden zahlreiche leerstehende Plattenbauten gegenüber, denen Verfall und Abriss drohen, etwa dem meistgebauten Bautyp in Ostdeutschland, dem WBS 70. Brüggen zeigte anhand eines Projekts für eine Genossenschaft in Stendal die Potenziale auf; er entwarf einen „Einfamilienhauskatalog“ mit 13 Typen, die innerhalb des Plattenbaus realisiert werden können. So sollen Werte und Qualitäten des Einfamilienhauses sensibel übertragen werden. Umbaustart ist im Januar.
Mit einem Gespräch mit Preisträgern des Bauweltpreises „Das erste Haus“ – Gesche Bengtsson von etal. aus München, Lukas Specks vom Berliner Studio LOES (beide Preisträger 2025) und Jan Musikowski von Richter Musikowski aus Berlin (Preisträger 2019) – endete der erste Tag. Es ging um die Kunst, sich als junges Büro in die Selbstständigkeit zu begeben, um die Schubkraft des ersten Projekts, um Herausforderungen und mögliche Exitstrategien – und um den Umgang mit den eigenen Reserven.
Autobahnähnliche Straßen schlagen vierspurige Schneisen durch unsere gewachsenen Städte, bilden komplexe Netzwerke und erlauben oft wenig mehr, als im vierten Gang darüber hinwegzufahren. Wie lässt sich das „Erbe“ – so der Titel des ersten Blocks an Tag zwei –, das uns die autogerechte Stadt hinterlässt, in menschengerechte Räume transformieren?Pola Koch von der BTU Cottbus-Senftenberg, Steffen de Rudder von der Bauhaus-Universität Weimar und Stefan Signer vom Stadtplanungsamt Leipzig begreifen die Straße als Ressource. Mit ihrer Publikation „Die neue Öffentlichkeit: Europäische Straßenräume des 21. Jahrhunderts“ zeigten sie Möglichkeiten zur Umgestaltung auf. Ergänzt wurde dies durch die landschaftsarchitektonische Perspektive Henri Bavas von Agence Ter, der seit vielen Jahren Projekte gegen die Domestizierung von Natur und für den Erhalt der Biodiversität plant und umsetzt.
Zum Abschluss: das Panel „Riesen“, mit der Frage, welche Mittel es braucht, um aus der Zeit gefallene Großstrukturen neu zu programmieren und solchen baulichen Tankern neue Nutzungen zu implementieren. Wie groß ist eine Großstruktur? So groß, dass sie nicht aus einer einzigen Kameraperspektive vollständig zu erfassen ist, stellte Architekt Adrian Dorschner bei der Filmproduktion über die inzwischen abgerissenen Robin Hood Gardens von Alison und Peter Smithson im Osten Londons fest. Er erzählte von Lebensentwürfen, Gemeinschaft und gesellschaftlichen Utopien und vermittelte, was neben grauer Energie mit einem Abriss verloren geht: kulturelle Werte. Nicky Vancaudenberg vom Büro AgwA aus Brüssel beschrieb ihr Vorgehen im Umgang mit Bestand anhand von Umbauprojekten unterschiedlicher Größenordnung, das größte: das Palais des Expositions de la Ville de Charleroi, bei dem das Budget viel zu klein war für die Umnutzung des gesamten Hauses. Ausgehend vom Hinterfragen des Auftrags, verfolgt das Büro das Prinzip einer sukzessiven Aktivierung aller räumlichen und inhaltlichen Ebenen. Ein Fazit: Unabhängig von der Größe eines Projekts gelte es, loszulegen und Schritt für Schritt vorzugehen.
Die vielfältigen Positionen machten deutlich: Reserven sind keinesfalls Restposten, sie können auch Geschenke sein. Architektinnen und Planer haben viele Ideen, das Narrativ neu zu schreiben – doch ums Schreiben allein geht es nicht. Es braucht Resonanz außerhalb der eigenen Blase, Wagemut für Neues und die Bereitschaft, auch zu irren. Ob es gelingt, auf gesamtgesellschaftlicher Ebene die überkommenen Bilder aufzubrechen?







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