Regensburger Viertel in Nürnberg
Vor einigen Jahren stand auf dem von Straßen und Bahntrasse eingegrenzten Areal noch „Steckerleswald“ – Nutzwald. Seit Mitte 2024 aber ist das von Behles & Jochimsen geplante „Regensburger Viertel“ in Nürnberg fertig. 381 Wohnungen, knapp die Hälfte davon gefördert, sind inzwischen fast alle bezogen. Ein Besuch mit Armin Behles
Text: Kraft, Caroline, Berlin
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Eingewuchert trifft neu gewachsen im „Regensburger Viertel“ Nürnberg. Im elfgeschossigen Wohnhochhaus waren die Wohnungen besonders schnell weg.
Foto: Marcus Bredt
Eingewuchert trifft neu gewachsen im „Regensburger Viertel“ Nürnberg. Im elfgeschossigen Wohnhochhaus waren die Wohnungen besonders schnell weg.
Foto: Marcus Bredt
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Die Außenlinien des neuen Viertels verlaufen nicht linear, sondern knicken hier und da ein.
Foto: Marcus Bredt
Die Außenlinien des neuen Viertels verlaufen nicht linear, sondern knicken hier und da ein.
Foto: Marcus Bredt
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Die drei Quartierseingänge sind so und durch ihre Ausformulierung als hell gemauerte „Torhäuser“ schnell zu finden.
Foto: Marcus Bredt
Die drei Quartierseingänge sind so und durch ihre Ausformulierung als hell gemauerte „Torhäuser“ schnell zu finden.
Foto: Marcus Bredt
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Die Putzfarben waren weniger kräftig geplant. Pragmatisch gesehen wird die Identität des Regensburger Viertels so allerdings noch stärker – gerade in Bezug auf seine Nachbarschaft.
Foto: Marcus Bredt
Die Putzfarben waren weniger kräftig geplant. Pragmatisch gesehen wird die Identität des Regensburger Viertels so allerdings noch stärker – gerade in Bezug auf seine Nachbarschaft.
Foto: Marcus Bredt
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In einem der denkmalgeschützten Häuser hat Künstler Christian Ruckdeschel, der mit Kollege Sebastian Kuhn den zentralen Platz des Viertels künstlerisch gestaltete, sein Atelier.
Foto: Marcus Bredt
In einem der denkmalgeschützten Häuser hat Künstler Christian Ruckdeschel, der mit Kollege Sebastian Kuhn den zentralen Platz des Viertels künstlerisch gestaltete, sein Atelier.
Foto: Marcus Bredt
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Ziel war, der Ordnung des Bestands zusätzlich zu den Neubauten etwas entgegenzusetzen ...
Foto: Marcus Bredt
Ziel war, der Ordnung des Bestands zusätzlich zu den Neubauten etwas entgegenzusetzen ...
Foto: Marcus Bredt
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... und sie zu durchbrechen.
Foto: Marcus Bredt
... und sie zu durchbrechen.
Foto: Marcus Bredt
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Die großzügige Fassade des Parkhauses (links) machte den Planenden zwischenzeitlich Sorge – ob sie in dieser Optik finanzierbar wäre, war nicht immer klar. Die Glasschächte bringen Licht und Luft auf die Parkebenen.
Foto: Marcus Bredt
Die großzügige Fassade des Parkhauses (links) machte den Planenden zwischenzeitlich Sorge – ob sie in dieser Optik finanzierbar wäre, war nicht immer klar. Die Glasschächte bringen Licht und Luft auf die Parkebenen.
Foto: Marcus Bredt
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Die Kita, betrieben von der Stadt und das einzige wei-ße Gebäude, vermittelt zwischen alt und neu – sie stehtmittig und grenzt an die Wohnbebauung aus den 1930ern.
Foto: Marcus Bredt
Die Kita, betrieben von der Stadt und das einzige wei-ße Gebäude, vermittelt zwischen alt und neu – sie stehtmittig und grenzt an die Wohnbebauung aus den 1930ern.
Foto: Marcus Bredt
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Behles & Jochimsen konnten einen Teil des Innenausbaus übernehmen.
Foto: Marcus Bredt
Behles & Jochimsen konnten einen Teil des Innenausbaus übernehmen.
Foto: Marcus Bredt
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Das Leben, also Küche und Wohnzimmer, ist zu den Innenhöfen hin ausgerichtet. An den Außenfassaden liegen dienende Räume.
Foto: Marcus Bredt
Das Leben, also Küche und Wohnzimmer, ist zu den Innenhöfen hin ausgerichtet. An den Außenfassaden liegen dienende Räume.
Foto: Marcus Bredt
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Der Quadratmeter-preis liegt bei den frei finanzierten Wohnungen bei 11,80 Euro.
Foto: Armin Behles
Der Quadratmeter-preis liegt bei den frei finanzierten Wohnungen bei 11,80 Euro.
Foto: Armin Behles
„Die dachten vielleicht, wir meinen das nicht ernst, mit diesem Bonbon-Konzept.“ Armin Behles und ich stehen vor dem Familienzentrum des „Regensburger Viertels“ in Nürnberg. Stadtrandlage, kann man sagen, gesellschaftliche Randlage vielleicht auch. Gerade scheint die Sonne, die Kinder sind in der Schule oder Kita, nur ein paar sandeln auf einem der Spielplätze im neuen Stadtteil, drei Frauen plauschen. Wenige Ladenflächen am Platz stehen noch leer, in eine zieht hoffentlich ein Café. Sonst dominieren leider „stille Gewerbe“: eine Versicherung, eine Praxis.
Mit der S-Bahn sind es vier Stationen vom Hauptbahnhof. Eine Haltestelle entfernt liegt der Dutzendteich, in dem sich das Halboval der Kongresshalle spiegelt. Bevor an der Regensburger Straße die 35 Häuser mit 381 Wohnungen in „kontrollierter Buntheit“ entstanden, war die Welt eine andere. 2016, noch vor der Pandemie, der seit 2014 deutlich weiter eskalierten russischen Expansionspolitik und international in großen Schritten konservativer werdenden Regierungen war es in Deutschland die sogenannte Flüchtlingskrise, die den politischen Diskurs dominierte. Das tut sie heute auch, aber anders. Als „Wir schaffen das“ noch durch die Luft waberte, durchsuchte beispielsweise das Land Bayern seine Restgrundstücke nach Potenzial für neuen Wohnraum. In Nürnberg fand man: Rund 3,9 Hektar, eigentlich laut B-Plan als städtisches Verwaltungsgrundstück mit Parkplätzen vorgesehen. 2016 war da noch Wald. Die Abholzung, kommentiert Behles, könne man natürlich infrage stellen, benötigter Wohnraum sei aber in Nürnberg genauso Thema wie anderswo.
Das Siedlungswerk Nürnberg (SWN) als eine der drei staatlichen Wohnungsbaugesellschaf-ten Bayerns kaufte den Boden und schrieb 2016 einen Ideenwettbewerb für einen neuen Stadt-teil mit 400–600 kostengünstigen Wohnungen, mit Gewerbeflächen und einer Kita aus. Behles & Jochimsen (B&J) gewannen mit Topos Landschaftsarchitektur, übernahmen die Ausarbeitung des städtebaulichen Masterplans und sogar die Ausführungsplanung.
Östlich grenzen eine vierzeilige, denkmalgeschützte Reihenhaussiedlung aus den 1930er-Jahren und dahinter mehrere weitere Überbleibsel der NS-Zeit an; stumpfe Kammstrukturen mit Vertikalverbindungen. Architekt: Albert Speer. Es waren mal Unterbringungen für die Zwangsarbeiter aus Italien, Belgien, den Niederlanden und der Ukraine, die das Reichsparteitagsgelände bauten. Bis vor ein paar Jahren diente die An-lage als Pflegeheim, das inzwischen einen Neubau auf dem Gelände bekommen hat. Die verbliebenen, streng geordneten Satteldach-Klötze werden vermutlich irgendwann Wohnraum.
Wie reagiert aber nun ein neuer Stadtteil auf so viel Nazikram, noch dazu, wenn rund die Hälfte der Anwohnenden nicht aus Deutschland kommen könnte? Für B&J wäre ein Bezug zum Reichsparteitagsgelände falsch und unverständlich gewesen. Es gab Wettbewerbsentwürfe, die der Großstruktur genauso entgegentraten. Für die Berliner, die in Nürnberg erstmals ein städtebauliches Projekt umsetzten, war klar: Wir brechen den Maßstab runter, bloß keine Wohnmaschine. Es entstanden vier nach Innen durchlässiger werdende Blöcke mit mehreren Haustypen, alle ein bisschen anders, und doch verwandt. Nach Osten öffnet sich der Blockrand und nimmt die denkmalgeschützten Reihenhäuser, die sich der Hauptachse des Quartiers unterordnen, in die Zange. Wer mit dem Auto aus dieser Richtung nach Nürnberg kommt, fährt auf ein elfgeschossiges Wohnhochhaus zu, das, so Behles, „Tor zur Stadt“ ist, „in diesem Niemandsland.“ Unter dem Leitmotiv „Stadt statt Siedlung“ begann das Team die Planung vom Großen ins Kleine; vom Freiraum zu den Grundrissen. Beim Spaziergang durch das Viertel funktioniert das gut, die Horizontale prägen Gewerbe im Erdgeschoss und mehrere grüne Höfe, zu denen hin sich Bal-kone und Loggien orientieren. Wären da nur nicht die stark befahrenen Verkehrsachsen auf drei Seiten, die das Viertel abschneiden – es fühlt sich an wie ein Stück vom Stadtkuchen, das etwas verloren auf einem Tablett zwischen Krümeln und Reststücken liegt.
Den südlichen Riegel des Quartiers dominiert ein sechsgeschossiges Parkhaus mit 365 Stellplätzen – eine Maßnahme, die, so formulierte es die Jury, „in anderen Fällen ein grober Planungsfehler“ gewesen wäre, im Regensburger Viertel aber eine „richtige Lösung“ darstelle: Der Lärm von außen wird abgeschirmt, der Autoverkehr im Viertel so gut wie möglich minimiert. „Eigentlich wollten wir ein autofreies Quartier“, sagt Behles, aber das ist nicht realitätskonform. Fahrrad-Abstellhäuschen gibt es aber auch. Und: Im Torhaus, das die Parkgarage erschließt, kompensiert ein Blockheizkraftwerk den fehlenden Fernwärmeanschluss.
Die, um es neutral zu formulieren, Umgebungsgeräusche, waren eine treibende Kraft bei diesem Planungsvorhaben. Ganze 18-mal fällt das Wort „Lärm“ in der 25-seitigen Auslobung. Dabei wurde nicht zwischen Verkehrs- oder Gewerbelärm differenziert, sondern ein Durchschnittsmaß aus vor dem Fenster gemessenem Gewerbe- und dahinter erfasstem Verkehrslärm berechnet, was den Wert erhöht. Planerisch bedeutet das: Einschränkungen. Weder Holz-, noch Lehmbau waren möglich. Der Lärm bestimmt die Platzierung von Baumasse, den Freiraum, das Raumprogramm, die Fenstergrößen. Eigentlich wollten B&J das „Hafencity-Fenster“, das mit zwei zu-einander versetzt zu öffnenden Fensterebenen trotzdem Schallschutz gewährleistet – nun prägen kleine, bunte Kunststofffenster als Kompromisslösung das Viertel. Die hellen Faschen, die sie umranden, sollen sie optisch größer wirken lassen. Auch in den Wohnungen sind die Lärmschutzregularien ablesbar; mechanische Lüftungen sind gut sichtbar verbaut, an den „lauten“ Seiten des Blocks arbeitete das Planungsteam mit lärmoptimierten Grundrissen.
Wieder draußen sprechen wir über die Fassaden. 45 Prozent der Wohnungen sind einkommensorientiert gefördert. Alle weisen trotzdem gleiche Standards auf, B&J strebten generell vereinheitlichte Grundrisse an, wenn es auch verschiedene Wohntypen gibt. Zumindest aus Planungssicht stünde der Durchmischung von frei finanziertem und gefördertem Wohnraum nichts im Weg. Den Fassaden ist die innere Einheitlichkeit nicht anzumerken: Unterschiedliche Verpackung kann denselben Inhalt haben. Diese Differenzierung nach außen ist Behles, dessen Prägung durch Otto Steidle, bei dem er in Berlin studierte, an vielen Stellen klar wird, wichtig. „Man soll sagen können: Ich wohne im gelben Haus.“ Das ist nicht banal, sondern bedeutet Identifikation mit dem eigenen Zuhause. Vielleicht ist an einem Ort wie diesem, wo viele Geschichten zusammenkommen, ein „Bonbon-Konzept“ wichtiger als anderswo.
Dass Generalunternehmer Max Bögl B&J bis zum letzten Schliff ihren Entwurf ausführen ließ, wird der Projektqualität gutgetan haben. Es könnte trotzdem ein Inhalt fehlen, den Behles gerne geliefert hätte. Für manche hier ist es die erste Wohnung in Deutschland. Um sie auf- und andere abzufangen, hätte ein Quartiersmanagement mitgedacht werden müssen, räumlich wie personell, gerade in dieser Randlage. Das SWN schickte bereits für einige Monate einen Sicherheitsdienst durch die Gassen. Für Kinder und diese begleitend vermutlich vorrangig Mütter gibt es Kita und Familienzentrum. Wer durchs Raster fällt, liegt auf der Hand – in die bunte Bonbontüte haben sich auch saure Drops gemischt.
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