Bauwelt

Justizgebäude


Neues Image für die belgische Justiz?


Text: Degros, Aglaée, Rotterdam


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    Die auffällige Form verrät wenig über die Funktion: Das neue Justizgebäude entlang der Gleise ist schon aus der Ferne zu sehen
    Foto: Filip Dujardin

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    Die auffällige Form verrät wenig über die Funktion: Das neue Justizgebäude entlang der Gleise ist schon aus der Ferne zu sehen

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Zusammen mit den belgischen Architekturbüros Lens°Ass architecten und a2o-architecten stellten sich Jürgen Mayer H. Architekten im belgischen Hasselt einer komplexen Bauaufgabe. Entlang der Gleise errichteten sie den neuen Justizpalast, der auch eine ganze Reihe von öffentlichen Aufgaben übernimmt.
Mit dem Justizpalast in Brüssel von Joseph Poelaert aus dem Jahr 1883 (Bauwelt 17.2011) ist die Bezeichnung „schieve architect“ (flämisch: verrückter Architekt) in Belgien zum Schimpfwort geworden. Das gigantische, die Stadt Brüssel dominierende Gebäude – erbaut mit dem Ziel, das Gewicht und die absolute Unabhängigkeit der Rechtsprechung im Verhältnis zu Legislative und Exekutive zu repräsentieren – machte damals den Abriss eines Teils des Arbeiterquartiers Marolles notwendig. Es symbolisiert noch immer ein Trauma in der Geschichte der Stadt und im weiteren Sinne des ganzen Landes. Im kollektiven Bewusstsein verkörpert es die Egozentrik des Architekten, der sich wenig für den sozialen Kontext, in dem er baut, interessiert.
Schon aufgrund dieser Vorgeschichte ist der Bau eines neuen Justizgebäudes in Belgien eine äußerst delikate Aufgabe. Aber es gibt noch einen weiteren Grund. Bei einem solchen Bau geht es auch immer darum, das öffentliche Bild der Belgier von ihren juristischen Institutionen zu überwinden: langsam, undurchsichtig und bürokratisch, erschüttert von diversen Affären, die die dort herrschenden Missstände ans Licht gebracht haben. Unter dem öffentlichen Druck der letzten Jahrzehnte hat die belgische Justiz mit einer Reform begonnen, die einigen jedoch schleppend erscheint. Die eingeführten Neuerungen sind komplex und für die breite Öffentlichkeit kaum erkennbar. Daher spielen auch die neuen Bauten, die juristische Institutionen beherbergen, eine fundamentale Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung der Reformen. Wie aber kann das neue Bild von Transparenz, mit dem sich die Justiz in der Öffentlichkeit präsentieren will,  in eine angemessene Form übersetzt werden? 
In Gent, Kortrijk und Antwerpen
Die Städte Kortrijk und Gent haben sich 2002 und 2007 im Zuge der Errichtung neuer Justizpaläste für die sehr nüchternen Entwürfe des Architekten Stéphane Beel entschieden. Sie strahlen Bescheidenheit und Ernsthaftigkeit aus. In Antwerpen fiel die Wahl 2006 hingegen auf Richard Rogers, der ein Gebäude mit einer außergewöhnlichen Konstruktion realisiert hat. Mehrere spitzwinklige „Oberlichter“ stechen aus dem Dach wie Haifischflossen empor. Der Bau am Rand der Stadt ist im Gegensatz zu Beels Bauten spektakulär. Das soll ihm helfen, als Katalysator einer urbanen Regeneration zu funktionieren. Einen solchen Ansatz verfolgte auch die Stadt Hasselt bei der Realisierung ihres Justizneubaus.
In Hasselt
Das Team aus J. Mayer H. Architekten, a2o-architecten und Lens°ass architecten ist nach einem gewonnenen Wettbewerb von der Hasselt Stationsomgeving N.V. mit der Entwicklung eines neuen Justizpalastes beauftragt worden. Ziel war es, die verschiedenen Dienstleistungen, die bis dato über die ganze Stadt verstreut waren, in einem Gebäude zusammenzuführen. Der vom Büro West 8 entworfene Masterplan der „stationsomgeving“ widmet sich einer Fläche nordöstlich des Bahnhofs entlang der Bahngleise. Der Justizpalast ist Teil einer neugeordneten infrastrukturellen Landschaft, die Stück für Stück ein anderes Gesicht bekommt. Er liegt in unmittelbarer Nachbarschaft des Bahnhofs und wird in  Zukunft noch stärker mit ihm verbunden sein – auch der Bahnhofsvorplatz wird, so sieht es der Masterplan vor, umgestaltet werden. Außerdem integriert der Neubau räumlich verschiedene Verkehrsflüsse: Das Gebäude kragt an der Gleisseite aus und überdacht so die darunter verlaufende Busspur; unter dem Neubau liegt ein Parkhaus.
Das neue Palais ist zweifellos ein ikonografisches, eindrückliches Bauwerk, egal ob man sich ihm von der Autobahn nähert, aus der Stadt kommt, oder mit der Bahn. In einem eher provinziellen Ort von durchschnittlicher Größe überragt dieses Gebäude, konstruiert aus einem Sockel und zwölf Büroetagen, seine Umgebung. Auch wenn der Masterplan weitere Akzente in der Skyline vorsieht, wird das Justizgebäude die wichtigste Landmarke direkt am Bahnhof sein. Die landschaftliche Gestaltung der Umgebung in Form eines aufgeschütteten „Walls“ stärkt dieses Alleinstellungsmerkmal. Trotz seiner Singularität wird der Bau von den  Einwohnern akzeptiert: einerseits wegen seiner peripheren Lage, andererseits wegen seines symbolischen Werts. Er verkörpert die Dynamik einer wachsenden Stadt, die sich als innovativer Ort in der Provinz Limburg (Stadtbauwelt 12.2013) zu profilieren sucht. In den sechziger Jahren hatte die Provinz eine lange Phase des industriellen Niedergangs erlitten, deren schnelle Transformation in eine Dienstleistungslandschaft gelang in den folgenden Jahren jedoch nicht richtig.
Funktional unterscheidet sich dieses neue Justizgebäude von seinen Vorgängerbauten durch die Mischung an Nutzungen, die es insbesondere in der Erdgeschosszone birgt. Durch die Erweiterung der klassischen Funktionen mit Büros, einer Polizeidienststelle und der Universitätsbibliothek öffnet sich das Gebäude einer breiteren Öffentlichkeit. Wichtigster Bestandteil dieser neuen Nutzungsmischung ist die Bibliothek der juristischen Fakultät. Sie wird zu einem Ort der Begegnung für Studenten und Mitarbeiter der Justizbehörden.
Das Gebäude bietet weniger eine materielle, sondern vielmehr eine funktionale Interpretation der juristischen Transparenz. Denn tatsächlich wirkt es trotz der großflächig verglasten Innenfassade eher opak. Diese Innenfassade wird gedoppelt durch eine Außenfassade mit unregelmäßigen Feldern aus Stahlgewebe, welche die Wirkung von Transparenz und Leichtigkeit brechen. Neben den perforierten Metallplatten in Braun verleiht die beige Farbe der vorgeblendeten Holzverkleidung, deren Anordnung in Form eines Blattaderngeflechts Assoziationen an Art Nouveau-Motive hervorruft, dem Gebäude einen nostalgischen Vintage-Charakter. Dieser fast handwerkliche Anschein weicht in der Vorhalle einer gepflegt-modernen Innenausstattung, die geprägt ist von lichtdurchfluteten Räumen und orangefarbenem Mobiliar.
„schitterend architect“
Man könnte also auf die Idee kommen, dass die selbstbezogene Architektur dieses Gebäudes nicht weit entfernt ist vom Überwältigungsgestus des Justiz Palais in Brüssel. Allerdings geht es in Hasselt um die Wiederbelebung der Stadt, in Brüssel  um die Manifestation der Macht der Justiz. Der Architekt Jürgen Mayer H., den man einen „schitterend architect“ (flämisch: schillernder Architekt) nennen könnte, hat der Stadt mit diesem markanten Gebäude sicherlich eine Ikone geschenkt, sowohl in seinen Ausmaßen, seiner Lage und seiner Symbolik. Deren Referenzen verweisen auch auf den Namen der Stadt Hasselt: Hasaluth bedeutet Haselstrauch. Es bleibt allerdings die Frage, ob der belgischen Justiz damit auch ein offeneres Gesicht verliehen werden konnte.



Fakten
Architekten Lens°Ass architecten, Hasselt; a2o-architecten, Hasselt; Jürgen Mayer H. Architekten, Berlin
Adresse Gerechtsgebouw Hasselt Parklaan, 3500 Hasselt, Belgien


aus Bauwelt 43.2013
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