Bauwelt

Was könnte „radikale Empathie“ in der Stadt sein?

Die zweite Ausgabe des Model Architekturfestivals in Barcelona fand im April statt. Sie hatte eine Vielfalt von Veranstaltungen zu bieten, konnte aber nicht mit überzeugenden Antworten aufwarten.

Text: Golda-Pongratz, Kathrin

Was könnte „radikale Empathie“ in der Stadt sein?

Die zweite Ausgabe des Model Architekturfestivals in Barcelona fand im April statt. Sie hatte eine Vielfalt von Veranstaltungen zu bieten, konnte aber nicht mit überzeugenden Antworten aufwarten.

Text: Golda-Pongratz, Kathrin

Der Begriff „Festival“ ist in Barcelona ebenso om-­nipräsent wie bei den Bewohnern umstrit­ten oder gar als eine Art Drohung gefürchtet, denn die zahllosen Festivals in der Stadt bedeuten: Lärm bis spät in die Nacht, Verkehrsumleitungen, Okkupationen von Plätzen und Stra­ßen durch temporäre Elemente und Nutzungen, Menschenmengen, Müll, Luftverschmutzung und eine nicht immer gewünschte Unterbrechung oder Erschwerung des alltäglichen Lebens. Es scheint, dass sich der Trend der Fes­tivalisierung der Stadt in Barcelona nach der Pandemie so­-gar noch verstärkt hat. Festivals wie das Sónar, Cruilla oder Primavera Sound sprengen längst ihren ursprünglich kleinen und sehr kreativen Rahmen und sind zu Massenveranstaltungen geworden.
So gesehen war das Model Architekturfestival, das vom 20. bis 30. April seine zweite Auflage feierte und sich als vorbereitende Veranstaltung für das Jahr 2026 verstand, in dem Barcelona Welthauptstadt der Architektur sein wird, trotz Werbepräsenz in der ganzen Stadt eine eher kleine Veranstaltung. Nachdem die erste Ausgabe 2022 sich auf emblematische zentrale Orte wie die Plaça Catalunya (wo mobile Straßenküchen installiert wurden) oder die Plaça Reial (wo Holzbühnen für Architekteninterviews den Platz besetzten) konzentrierte, fiel für 2023 die Wahl auf die Plaça de les Glòries als Ort des Geschehens: eine neue Zentralität, wo der Glamour versprühende Neubau für den traditionellen Flohmarkt Encants, das Design-Museum, ein neu gestalteter zentraler Park, vor wenigen Monaten aus Schiffscontainern fertiggestellte Sozialwohnungen und die noch im Detail zu lösende Zusammenkunft der wichtigsten Verkehrsadern der Stadt aufeinandertreffen. Dieser sowieso überfrachtete, mehrfach zerschnittene, re- und dekonstruierte Ort war also ein gelungenes Szenario für das Display temporärer Installationen.
Was ist nun also die „radikale Empathie“, die das Model Festival unter der Leitung von Eva Franch, die in Princeton studiert hat und nach Jahren an der Storefront Gallery in New York und der kurzen Direktion der Architectural Association in London nun als sozusagen internationale Katalanin in Barcelona Fuß fasst, überschreibt? Zunächst ist der Imprint von Princeton omnipräsent, im Begriff der „radicality“ (der an Beatriz Colominas „Radical Pedagogies“ erinnert) und in der Idee der Bewertung von „failures“ (die auf Mark Wigleys „Architecture of Failure“ zurückgeht), und auch in der Gästeliste, die vor allem Princeton, die AA und andere alte angelsächsische Architekturinstitutionen repräsentierte. Was die lokalen Sprecherinnen, Akteure und Geladenen betrifft, hätte die Auswahl – in radikaler Weise – weniger Altbekannte, sondern eher neue Stimmen und vor allem andere Disziplinen und die Bewohnerinnen der Stadt einbeziehen können, wo ja der Begriff des „entre“, also eines Zwischenzustands und eines Übergreifens über Klassen, Generationen, Kulturen und Materie(n) ein Leitbegriff der Veranstaltung war.
Schließlich hat das Zusammenspiel zwischen Bürgerinitiativen, Architektur und Stadtplanung eine lange Tradition in der Stadt, besonders seit dem Aufbruch Barcelonas in eine neue Zeit nach der Franco-Diktatur, als die Architektur ein wichtiges Mittel zum Aufbau der Demokratie war. Die momentane Stadtregierung hat, zumindest was die Entwicklung einer di­gitalen Par­tizipationsplattform betrifft, diese Beziehung ernst zu nehmen versucht und neue Mecha­nismen entwickelt. Im Rahmen des Fes­tivals wurde in einer Debatte über „Privilegien und Architektur“ die Rolle der Architektur als Motor für sozialen Wandel betont. Dadurch wird die Rolle der temporären Architekturen des Festivals, die Empathie in Rauminstallationen nachzustellen oder zu erzeugen versuchten, in Frage gestellt. Wäre radikale Empathie mit den Bewohnern nicht in erster Linie der Respekt für ein ganz normales öffentliches Leben in der Stadt und ein kollektiver Ansporn zur Eroberung des öffentlichen Raumes ohne jegliche Nutzungszuordnung in der Zeit nach der Pandemie? Stattdessen wies uns die Installation „Permanentment Temporal“ der Architektinnen und Architekten von Kosmos und Parabase auf die Wiederverwendbarkeit von urbanen Elementen wie die New-Jersey-Verkehrsbarrieren hin, deren flexible Einsatzfähigkeit, etwa um Terrassen temporär in den Straßenraum zu erweitern, während der Corona-Pandemie zu Genüge erlebbar war. Und dies zumal in einer Zeit, in der die Stadt in extremer Weise neue Materialien für die Gestaltung der Superblocks verbaut und dieser Material- und Ressourcenverbrauch Teil der täglichen Debatten ist.
Zu einem gemeinsamen Essen an einem langen Tisch im öffentlichen Raum, erinnernd an eine schöne Tradition in vielen Quartieren und Nachbarschaftsorganisationen der Stadt, die seit dem Ende der Pandemie ein langsames Revival erlebt, wurden Personen aus den Univer­sitäten, Akademien und Schulen für Architektur und Design am ersten Wochenende des Festivals geladen; es sollte über pädagogische Modelle gesprochen werden. Dieser Tisch wurde zur Mittagszeit unter der Installation „Aire Libre“ von Daryan Knoblauch aufgestellt – einer „sze­nischen Infrastruktur“, deren fotokatalytisch beschichtete Textur die Luftqualität reinigt und verbessert, wie es hieß, jedoch den fünfzig geladenen Gästen keinerlei Sonnenschutz bot. Da wäre auch mehr architektonisches und räumliches Einfühlungsvermögen nötig gewesen, ebenso gegenüber den nicht geladenen Gästen, etwa Studierenden, die laut Programm willkommen waren, für die es aber schlichtweg unter „Aire Libre“, also dem freien Himmel, keinen Platz gab. Erinnert man sich an den herausragenden katalanischen Beitrag zur Biennale in Venedig 2021 „Aire“ zur Luftverschmutzung der Stadt und an das Manifest „Aire Radical“ der Kuratorin Olga Subirós, die mit am Tisch saß, bleiben die Festival-Installationen von „Radical Empathy“ im (vor Ort so ersehnten) Schatten.

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