Statt über Menschen zu sprechen, kommen sie selbst zu Wort
In Köln entsteht ein Museum mit der größten Sammlung zur Geschichte der Migration in Deutschland. Das Museum Selma wird nach dem „Haus im Haus“-Prinzip in eine ehemalige Industriehalle eingestellt. Nach einem EU-weiten VgV-Verfahren zur Generalplanung wurde Atelier Brückner im April für seine Entwurfsidee als Sieger gekürt, weitere Ausgezeichnete wurden nicht veröffentlicht. Mit einer vielfältigen Geschichtsschreibung hofft der Auslober, das Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland (DOMiD) einige Sammlungslücken schließen zu können. Nicht nur die Flucht- oder Arbeitsmigration, sondern jegliches Motiv, nach Deutschland zu kommen, soll sich in der Ausstellung wiederfinden. Das Museum wird vom Bund und Land NRW finanziert und eröffnet voraussichtlich 2029.
Text: Bruun Yde, Marie, Berlin
Statt über Menschen zu sprechen, kommen sie selbst zu Wort
In Köln entsteht ein Museum mit der größten Sammlung zur Geschichte der Migration in Deutschland. Das Museum Selma wird nach dem „Haus im Haus“-Prinzip in eine ehemalige Industriehalle eingestellt. Nach einem EU-weiten VgV-Verfahren zur Generalplanung wurde Atelier Brückner im April für seine Entwurfsidee als Sieger gekürt, weitere Ausgezeichnete wurden nicht veröffentlicht. Mit einer vielfältigen Geschichtsschreibung hofft der Auslober, das Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland (DOMiD) einige Sammlungslücken schließen zu können. Nicht nur die Flucht- oder Arbeitsmigration, sondern jegliches Motiv, nach Deutschland zu kommen, soll sich in der Ausstellung wiederfinden. Das Museum wird vom Bund und Land NRW finanziert und eröffnet voraussichtlich 2029.
Text: Bruun Yde, Marie, Berlin
Das Museum Selma entsteht in den KHD-Hallen in Köln-Kalk, die saniert werden sollen.
Wie gehen Sie mit ihrem Industriecharakter um?
Unser Entwurf basiert auf der Idee, die Museumsnutzung mit der bestehenden Architektur der über 100 Jahre alten Hallen in Einklang zu bringen: Während die Halle 70a als zentrale Erschließungsachse unter dem längs gerichteten Oberlicht eine neue Bedeutung erfährt, nimmt die Halle 70b mit den quer gerichteten Oberlichtern die Hauptfunktionen des Museums auf. Die Erschließung folgt immer dem Licht. Wir arbeiten also mit den vorhandenen Elementen der Gebäude und erwecken sie wieder zum Leben: Schienen, Türen, Kranbahnen, Oberflächen und kleinere technische Elemente nutzen wir um oder inszenieren sie.
Wie gehen Sie mit ihrem Industriecharakter um?
Unser Entwurf basiert auf der Idee, die Museumsnutzung mit der bestehenden Architektur der über 100 Jahre alten Hallen in Einklang zu bringen: Während die Halle 70a als zentrale Erschließungsachse unter dem längs gerichteten Oberlicht eine neue Bedeutung erfährt, nimmt die Halle 70b mit den quer gerichteten Oberlichtern die Hauptfunktionen des Museums auf. Die Erschließung folgt immer dem Licht. Wir arbeiten also mit den vorhandenen Elementen der Gebäude und erwecken sie wieder zum Leben: Schienen, Türen, Kranbahnen, Oberflächen und kleinere technische Elemente nutzen wir um oder inszenieren sie.
Dem DOMiD ist wichtig, dass das Museum nicht als solitäres Raumschiff im entstehenden Kulturareal landet. Wie korrespondiert der neue Entwurf mit dem vorhandenen Rahmen?
Natürlich wird mit dem Museum und dessen Ambitionen ein Leuchtturmprojekt entstehen. Wir möchten gleichzeitig einen lebendigen Ort gestalten, der mit der Umgebung interagiert: Zum Westen ist dies der Außenbereich des Museums, die jetzige Halle 71 – ein Projekt der Stadt Köln –, dessen Dachhaut abgetragen wird. Wir öffnen die Wand zwischen den beiden Hallen auf einer Höhe von drei Metern auf ganzer Länge. Zum Osten ist dies der Osthof Kalk, an dem sich bereits künstlerisch geprägte Nutzungen angesiedelt haben. Dort sehen wir neben der vorgegebenen Passage im Süden eine zusätzliche Öffnung in Verlängerung des Foyers – der Agora – vor. Diese Öffnungen und Bezüge sind wichtig, damit das 210 Meter lange Gebäude keine Barriere bildet.
Natürlich wird mit dem Museum und dessen Ambitionen ein Leuchtturmprojekt entstehen. Wir möchten gleichzeitig einen lebendigen Ort gestalten, der mit der Umgebung interagiert: Zum Westen ist dies der Außenbereich des Museums, die jetzige Halle 71 – ein Projekt der Stadt Köln –, dessen Dachhaut abgetragen wird. Wir öffnen die Wand zwischen den beiden Hallen auf einer Höhe von drei Metern auf ganzer Länge. Zum Osten ist dies der Osthof Kalk, an dem sich bereits künstlerisch geprägte Nutzungen angesiedelt haben. Dort sehen wir neben der vorgegebenen Passage im Süden eine zusätzliche Öffnung in Verlängerung des Foyers – der Agora – vor. Diese Öffnungen und Bezüge sind wichtig, damit das 210 Meter lange Gebäude keine Barriere bildet.
Das Gelände befindet sich im multikulturell geprägten Stadtteil Köln-Kalk. Welche Rolle spielt die migrantische Lokalgeschichte im Entwurf?
In den KHD-Werkshallen haben zum größten Teil Menschen mit Migrationsbiografie gearbeitet. Neben den Exponaten der Ausstellung hat somit auch das Gebäude eine lange Geschichte im Kontext der Migration. Diese wollen wir durch den behutsamen Umbau erlebbar machen und erzählen. Die Architektur ist also keine bloße Hülle für die Ausstellung; wir denken vielmehr die Ausstellung mit der Architektur zusammen, als szenografisches Gesamterlebnis, das wir aus den Inhalten der Ausstellung, der Geschichte des Gebäudes und der Nutzung als Ort für die Nachbarschaft generieren.
In den KHD-Werkshallen haben zum größten Teil Menschen mit Migrationsbiografie gearbeitet. Neben den Exponaten der Ausstellung hat somit auch das Gebäude eine lange Geschichte im Kontext der Migration. Diese wollen wir durch den behutsamen Umbau erlebbar machen und erzählen. Die Architektur ist also keine bloße Hülle für die Ausstellung; wir denken vielmehr die Ausstellung mit der Architektur zusammen, als szenografisches Gesamterlebnis, das wir aus den Inhalten der Ausstellung, der Geschichte des Gebäudes und der Nutzung als Ort für die Nachbarschaft generieren.
Das Museum ist aus migrantischer Selbstorganisation hervorgegangen. Eine Besonderheit ist die geplante inklusive Darstellung verschiedener Migrationsformen.
In der Geschichte der Menschheit gab es schon immer verschiedene Gründe für Migration, auch in Deutschland. Im Museum wird Migration nicht mehr als separater, sondern als integrativer Bestandteil der deutschen Geschichte dargestellt – ein inklusiver Zugang zur Geschichtserzählung.
In der Geschichte der Menschheit gab es schon immer verschiedene Gründe für Migration, auch in Deutschland. Im Museum wird Migration nicht mehr als separater, sondern als integrativer Bestandteil der deutschen Geschichte dargestellt – ein inklusiver Zugang zur Geschichtserzählung.
Deutschland und seine Migrationsgeschichte sollen neu erzählt und bisher in der deutschen Erinnerungskultur marginalisierte migrantische Perspektiven einbezogen werden.
DOMiD versteht Geschichtsschreibung als ein gemeinsames Projekt, das ohne die Perspektive der Migration nicht vollständig sein kann. Die Sammlung, auf der das Museum aufbauen wird, beinhaltet Zeitzeugnisse von 1945 bis in die Gegenwart und dokumentiert Migrationsgeschichte in ihrer Vielfalt. Darin spielen also sowohl unterschiedlichste Herkunftsregionen eine Rolle als auch verschiedene Arten der Migration: von Arbeits- über Zwangs- und Fluchtmigration bis hin zu Bildungs-, Liebes- und Binnenmigration. Dieses einzigartige Archiv ist aus der Zivilgesellschaft entstanden – die Erinnerungen, Fotos, Objekte kommen direkt von den Menschen. Hier wird also nicht über Menschen gesprochen, sondern sie kommen selbst zu Wort. Das ist die Basis, auf der deutsche Geschichte neu erzählt werden soll.
DOMiD versteht Geschichtsschreibung als ein gemeinsames Projekt, das ohne die Perspektive der Migration nicht vollständig sein kann. Die Sammlung, auf der das Museum aufbauen wird, beinhaltet Zeitzeugnisse von 1945 bis in die Gegenwart und dokumentiert Migrationsgeschichte in ihrer Vielfalt. Darin spielen also sowohl unterschiedlichste Herkunftsregionen eine Rolle als auch verschiedene Arten der Migration: von Arbeits- über Zwangs- und Fluchtmigration bis hin zu Bildungs-, Liebes- und Binnenmigration. Dieses einzigartige Archiv ist aus der Zivilgesellschaft entstanden – die Erinnerungen, Fotos, Objekte kommen direkt von den Menschen. Hier wird also nicht über Menschen gesprochen, sondern sie kommen selbst zu Wort. Das ist die Basis, auf der deutsche Geschichte neu erzählt werden soll.
Die Sammlung ist die größte zur Geschichte der Migration in Deutschland. Das sind Objekte wie Fluchtutensilien, Alltagsdinge oder…
… berührende Briefe und Kassettenaufnahmen von Eltern an ihre Kinder, die in der Türkei geblieben sind, während sie selbst als sogenannte Gastarbeiter in Deutschland gearbeitet haben.
… berührende Briefe und Kassettenaufnahmen von Eltern an ihre Kinder, die in der Türkei geblieben sind, während sie selbst als sogenannte Gastarbeiter in Deutschland gearbeitet haben.
Wie inszeniert die Ausstellungsgestaltung diese Zeitzeugnisse?
Die Sammlung beinhaltet viele Objekte, die vor allem im Kontext mit der damit verbundenen Geschichte interessant sind und nachdenklich machen. Diese Geschichten wollen wir erzählen und szenografisch übersetzen. Die Dauerausstellung umfasst zwei Bereiche: Zum einen die Chronologie, zum anderen gibt es geschlossene Themenräume, in denen Exponate inszeniert und kontextualisiert werden. Dieser Wechsel von offenen und geschlossenen, hellen und dunklen, zeitlich und thematisch geprägten Bereichen macht die Ausstellung lebendig.
Die Sammlung beinhaltet viele Objekte, die vor allem im Kontext mit der damit verbundenen Geschichte interessant sind und nachdenklich machen. Diese Geschichten wollen wir erzählen und szenografisch übersetzen. Die Dauerausstellung umfasst zwei Bereiche: Zum einen die Chronologie, zum anderen gibt es geschlossene Themenräume, in denen Exponate inszeniert und kontextualisiert werden. Dieser Wechsel von offenen und geschlossenen, hellen und dunklen, zeitlich und thematisch geprägten Bereichen macht die Ausstellung lebendig.
Leitmotiv ist Partizipation. Das Museum wird mit der Migrations- und Zivilgesellschaft entwickelt. Wie ermöglichen Sie eine flexible Ausstellung und ständige Verjüngerung der Schau?
Das Museum wird ein sozialer Raum sein, in dem Dialog gefördert wird und persönliche Erfahrungen ausgetauscht und in der Ausstellung hinterlassen werden können. Einer der sechs Konzepträume wird partizipativ erarbeitet. Für die anderen Konzepträume ist eine laufende partizipative Aktualisierung durch den Betreiber angedacht. Flexibilität ist in der Ausstellung auf mehrere Arten möglich: In der Chronologie wird der jeweils aktuellen Zeit und der nahen Vergangenheit Platz eingeräumt. Dadurch ist sie nie abgeschlossen und als lebendige Zeitgeschichte wahrnehmbar. Die Konzepträume sind in größeren Kuben zusammengefasst und können somit ohne aufwändige Umbauten von Zeit zu Zeit räumlich angepasst und erneuert werden. Die Wechselausstellung kann durch die flexiblen Trennwände in der Größe variieren und dadurch unterschiedlichen Formaten einen Raum bieten.
Das Museum wird ein sozialer Raum sein, in dem Dialog gefördert wird und persönliche Erfahrungen ausgetauscht und in der Ausstellung hinterlassen werden können. Einer der sechs Konzepträume wird partizipativ erarbeitet. Für die anderen Konzepträume ist eine laufende partizipative Aktualisierung durch den Betreiber angedacht. Flexibilität ist in der Ausstellung auf mehrere Arten möglich: In der Chronologie wird der jeweils aktuellen Zeit und der nahen Vergangenheit Platz eingeräumt. Dadurch ist sie nie abgeschlossen und als lebendige Zeitgeschichte wahrnehmbar. Die Konzepträume sind in größeren Kuben zusammengefasst und können somit ohne aufwändige Umbauten von Zeit zu Zeit räumlich angepasst und erneuert werden. Die Wechselausstellung kann durch die flexiblen Trennwände in der Größe variieren und dadurch unterschiedlichen Formaten einen Raum bieten.
Was machen Sie für den Klimaschutz?
Die Hüllflächen müssen gedämmt werden, ohne den Charakter der Hallen zu verändern. Bei der Auswahl der Materialien verfolgen wir das Cradle-to-Cradle-Prinzip: Wir verwenden möglichst ökologisch unbedenkliche Materialien oder Materialien, die sortenrein wieder in den technischen Kreislauf zurückgeführt werden können. Nachhaltigkeit war neben Öffnung zum Stadtteil, Partizipation und Digitalität eine der inhaltlichen Vorgaben des Museums.
Die Hüllflächen müssen gedämmt werden, ohne den Charakter der Hallen zu verändern. Bei der Auswahl der Materialien verfolgen wir das Cradle-to-Cradle-Prinzip: Wir verwenden möglichst ökologisch unbedenkliche Materialien oder Materialien, die sortenrein wieder in den technischen Kreislauf zurückgeführt werden können. Nachhaltigkeit war neben Öffnung zum Stadtteil, Partizipation und Digitalität eine der inhaltlichen Vorgaben des Museums.
0 Kommentare