Bauwelt

Linienziehen

Entwürfe müssen gezeichnet werden, um zu sprechen. Vice versa zum Thema dieser Ausgabe: ein paar Zeilen auf das Ding der Architektur, den Zeichenstift

Text: Flagner, Beatrix, Berlin

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Foto: Jasmin Schuller

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Linienziehen

Entwürfe müssen gezeichnet werden, um zu sprechen. Vice versa zum Thema dieser Ausgabe: ein paar Zeilen auf das Ding der Architektur, den Zeichenstift

Text: Flagner, Beatrix, Berlin

Man kann wohl behaupten, dass jeder Architekt einen Lieblingszeichenstift hat. Und für jeden ist ein anderes Auswahlkriterium ausschlaggebend. Vielleicht hat der Stift eine emotionale Bedeutung. Wahrscheinlicher ist es, dass seine Beschaffenheit maßgebend ist, sein Material, sein Gewicht, sein Mantel und seine Haptik, die Länge, Farbe, ganz besonders seine Mine oder Feder. Der eine fährt gern mit groben Wachsstrichen über das Papier, der andere mit einem durchs Taschenmesser gespitzten Bleistift, doch häufig sieht man den schwarzen Filzstift zwischen den Fingern eines Architekten. Den Pentel-Faserstift S-520 zum Beispiel, er hat Kultstatus. Mit ihm lässt sich gut auf Skizzenpapier zeichnen, das bei zu dünnen Stiftspitzen reißt. Aber auch auf Servietten. Oder auf bereits geplotteten Plänen – die letzten Verbesserungen. Die schwarzen Linien, die ein Faserstift zieht, stehen deutlich im Kontrast zum Papier. Sie sind schwer, sie dominieren ihren Untergrund, und sie markieren entschieden eine Idee: Hier steht eine Wand.
Ähnlich beliebt bei Architekten ist der Druckbleistift, besser der Fallminenstift. Per Knopfdruck öffnet man die Metallspannzange an der Stiftspitze, ein leichtes Kippen und die Mine fällt oder rutscht nach vorne und wird durch das Loslassen des Knopfes eingefangen. Anders als beim Faserstift liegt die Kraft nicht in der Linie, sondern in dieser kleinen Inszenierung – ein Spannungsbogen der ankündigt: Hier entsteht gleich eine Zeichnung! Bleistiftminenlinien sind dabei unkonkret, denn sie lassen einen Prozess zu, die Striche lassen sich korrigieren, sie können mit festerem Druck überzeichnet werden.
Als in den 2010er Jahren japanische Architekten wie Ryue Nishizawa & Kazuyo Sejima, Sou Fujimoto oder Junya Ishigami mit ihren Entwürfen veröffentlicht und bekannt wurden, hatten ihre Zeichnungen eines gemeinsam: ihre zarte Ausführung. Nicht die Linie, sondern der Weißraum bestimmt die Zeichnung, die Wände in Grundrissen und Schnitten sind nicht schwarz gefüllt, sondern frei. In ihrer Reduktion auf das Wesentliche und dem gleichzeitigen Mittragen einer Atmosphäre eignen sie sich in ihrer Verspieltheit ideal, um Studierende in der Grundstufe an Architektur heranzuführen. Weder ein Faserstift noch ein Bleistift können diese Ästhetik entstehen lassen, nein, das kann der Kugelstift. Seine Striche sind zwar filigran, jedoch bestimmt.
László Bíró entwickelte 1943 die Mechanik, welche Tinte mittels einer Kugel auf das Papier überträgt. Immer als Kugelschreiber bezeichnet und deswegen als Zeichengerät verschrien, wurde der Stift in den 1960er Jahren durch den traditionsreichen japanischen Stifthersteller Ohto weiterentwickelt – von einer ölbasierten zu einer wasserbasierten Tinte, welcher besser als Tintenroller oder Gelstift bekannt ist. Die Mine ist das Herzstück jedes Stifts. Ein Werbekugelschreiber kann zu unserem Lieblingsstift avancieren, wenn seine Tinte das perfekte blau hat und nicht verwischt, wenn seine Stiftspitze besonders weich oder besonders hart ist.
Der Schaft des Modells „Pieni“ von Ohto ist aus lackiertem Holz, wäh­-rend die Spitze und der Knopf aus Aluminium bestehen. Trotz seiner 0.5 mm feinen Miene und einer Strichstärke von 0.22 mm kratzt der Stift nicht auf dem Papier. Er ist faktisch ein Kugelschreiber, seine Tinte beruht auf einer Ölbasis. Doch es lässt sich genauso gut damit schreiben wie zeichnen. Seine Spitze hat eine rohrähnliche Nadel-, statt einer herkömmlichen Kegelform.
Auch wenn der Zeichenstift von Photoshop, CAD-Programmen und BIM zurückgedrängt wurde, die Ästhetik einer Vektorzeichnung beruht auf seiner nachdrücklichen und feinen Linienführung. Für Architekten werden Stifte immer das Mittel zur Kommunikationen von Ideen und Entwürfen bleiben und sie beim Ansetzen auf das Papier daran erinnern, worauf Architektur nicht beruht: Termintreue, Kosteneinhaltung oder parametrische Untersuchungen.

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