Bauwelt

Für alle! Für alle?

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin; Kraft, Caroline, Berlin

Für alle! Für alle?

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin; Kraft, Caroline, Berlin

Rathäuser erlauben auch heute noch, Rückschlüsse auf die Verfasstheit einer Stadtgesellschaft zu ziehen. Die drei Gebäude im ersten Thementeil fügen sich auf den ersten Blick nahtlos in die derzeit hoch aktu-elle „Umbau statt Neubau“-Diskussion. Doch Vorsicht vor allzu schnellem Abnicken: Ein späthistoristisches Rathaus wie das in Holzwickede wird heute wohl niemand mehr abreißen wollen zugunsten eines Neubaus, ganz zu schweigen von einem mittelalterlichen Bau wie dem in Frankfurt (Oder). Dass Gebäude wie diese, Identifikationsobjekte in einem architektonisch eher unspektakulären Umfeld, als Rathaus nicht zur Disposition stehen, ist wohl ausgemacht – da dürfte Bausubstanz aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schon eher vom sich wandelnden Zeitgeist profitieren. Das Beispiel aus dem holländischen Den Helder, ein für das Rathaus umgenutzter Industriebau aus der Nachkriegszeit, dockt hier an. Aufschlussreich bei den drei Projekten ist nämlich etwas anderes: und zwar, wie die historischen Identifikationsobjekte in die Gegenwart geführt worden sind; wie mit ihrem Repräsentationsanspruch umgegangen wurde und um was für Räume sie ergänzt worden sind. „Herzkammer der Stadt“ heißt der Thementeil auch deshalb, weil in allen drei Städten nun Räume „Rathaus“ sind, die zuvor gar nicht existierten, und die die vorhandenen Räumlichkeiten mit neuen Nutzungen in Verbindung bringen. Der Brückenschlag von Alt zu Neu gelingt dabei auch, weil die Ergänzungen mit einem Anspruch an Gestalt-, Detail- und Materialqualität gebaut worden sind, der dem historischen Bestand das Wasser reicht: Auf dass dereinst von hier aus weitergebaut werden kann!

Aus den Augen, aus dem Sinn?

Was haben ein neues Wohnviertel in Nürnberg und das ehemalige Dorf der Olympischen Winterspiele in Turin gemeinsam? Auf den zweiten Blick ganz viel. Zunächst das Offensichtliche: Sie fallen auf, da wo sie stehen. Beide eher abseits, beide ziemlich kantig, mit bunten Lochfassaden und hellem Sockel. Ob die Planenden sich kannten? Das eine zumindest, das ältere, geplant von Otto Steidle und mit fast zwanzig Jahren auf dem Buckel, wurde gerade notgedrungen frisch aufgelegt. Zwischenzeitlich war es als Unterbringung für Geflüchtete weitgehend sich selbst überlassen worden. Das andere, ein knappes Jahr alt, ist ein Stück Stadt in stadtleerem Raum. Auch hier leben, aber diesmal von Anfang an so geplant, unter anderem Menschen mit Fluchtgeschichte, für manche ist es der erste Wohnsitz in Deutschland. Wo die Verantwortung der Architektur endet und die der sozialen Stadt beginnt, wird wieder nur die Zeit zeigen können.

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