Der erste Modernist?
Die Ausstellung „Soane and Modernism: Make it New“ erforscht Sir John Soanes Einfluss auf die moderne Architektur durch den Vergleich mit Werken berühmter Modernisten.
Text: Astbury, Jon, London
Der erste Modernist?
Die Ausstellung „Soane and Modernism: Make it New“ erforscht Sir John Soanes Einfluss auf die moderne Architektur durch den Vergleich mit Werken berühmter Modernisten.
Text: Astbury, Jon, London
War der Architekt Sir John Soane der erste Modernist? Diese Frage steht im Mittelpunkt der Ausstellung „Soane and Modernism: Make it New“, einer wahren Schatzkammer architektonischer Zeichnungen, die derzeit im Sir John Soane Museum in Londons Lincoln’s Inn Fields zu sehen ist – einem Ort, der selbst einem kunstvollen Sammelsurium gleicht.
Die Idee, Soane als einen Vorläufer des Modernismus zu betrachten, ist keineswegs eine Randmeinung. Sein meisterhafter Umgang mit Licht, Raum und Form hat Generationen von Architekten geprägt – direkt und indirekt. Seit der Wiederentdeckung seines Werks im frühen 20. Jahrhundert ist sein Einfluss unübersehbar. Sir John Soane (1753–1837) war Professor an der Royal Academy für Architektur. Als sein wichtigstes Bauwerk gilt die Bank of England. Bereits 1833 wurden zwei der drei benachbarten und durch Soanes fortwährenden Weiterbau ineinander verwobenen Wohnhäuser, Lincoln’s Inn Fields No. 12 und No. 13, zum nationalen Sir John Soane’s Museum erklärt. Der frühere Museums-direktor Bruce Boucher bemerkte einmal, dass die Welt erst im 21. Jahrhundert mit Soanes Vi-sion „aufgeholt“ habe. Dies ist die erste Ausstellung, die sich mit dieser Frage auseinandersetzt.
Angesichts des Themas könnte man erwarten, dass sie in rein theoretische oder akademische Sphären abdriftet – doch die Ausstellung bleibt angenehm zugänglich. Sie setzt auf direkte Gegenüberstellungen: Originalzeichnungen aus demArchiv des Soane Museums werden mit 35 Arbeiten legendärer Modernisten wie Le Corbusier, Adolf Loos, Frank Lloyd Wright und Ernö Goldfinger in Relation gesetzt. Diese Werke stammen aus der privaten Sammlung Drawing Matter, die kürzlich von Somerset nach London verlegt wurde. Sie ist ein zentraler Bestandteil einer aufstrebenden Londoner Architekturszene, die – gemeinsam mit dem Soane Museum – in die Lücke tritt, die große Institutionen hinterlassen haben, nachdem sie sich zunehmend von der Architektur als Disziplin abgewandt haben.
Die klare Präsentation der Werke hat allerdingszur Folge, dass die These von Soanes Modernismus-Qualitäten nur lose definiert und nicht eingehend hinterfragt wird. Die Ausstellung ist in eini-ge übergreifende Themen gegliedert, die zentrale Aspekte der modernen Architektur widerspiegeln: Licht und Raum, Modularität, Materialität und Ornament. Damit bleibt die Diskussion weitgehend auf der ästhetischen Ebene, ohne sich mit den komplexen ideologischen Dimensionen des Modernismus auseinanderzusetzen. Trotzdem ergibt sich eine faszinierende Schau seltener architektonischer Zeichnungen.
So zeigt der Bereich Modularität beispielsweise eine Zeichnung von Joseph Gandy, die Soanes gläserne Erweiterung seines Hauses in Pitzhanger Manor darstellt. In dieser fantasievollen Version der Realität erscheint eine monumentale, überraschend moderne zweigeschossige Glasfassade. Darunter hängt eine Zeichnung von ErnöGoldfingers Westminster Bank, bei der er sich bewusst gegen die damals beliebte Glasfassade entschied und stattdessen eine gerasterte Struktur wählte. Beide Entwürfe teilen eine gewisse ästhetische Sensibilität, doch beim genaueren Hinsehen offenbaren sich fundamentale Unterschiede: Während Soanes Glaswand den Blick auf eine weitläufige Landschaft öffnen sollte, ging es Goldfinger darum, die Tragstruktur eines Gebäudes spürbar zu machen.
In der Sektion Materialität wird das Tor von Pitzhanger Manor mit Frank Lloyd Wrights Arch Obo-ler House verglichen, während im Bereich Licht und Raum Richard Neutras Corona School Soanes Entwurf für die Dulwich Picture Gallery gegenübergestellt wird. Natürlich darf auch ein Verweis auf Giles Gilbert Scotts ikonische Londoner Telefonzelle nicht fehlen, deren Form auf Soanes Grabmal-Entwurf für seine Frau auf dem St Pancras Old Church Friedhof basiert. Während dieserVergleich oberflächlicher ist als viele andere, zeigt er dennoch deutlich, dass Soane im 20. Jahrhundert als direkte Inspirationsquelle diente.
Soanes Einfluss reicht bis in die Gegenwart, was die Präsentation von Álvaro Siza (mit dem Bouça Social Housing in Porto) und Tony Fretton (mit der Lisson Gallery in London) in einem der Räume verdeutlicht. Die ausgestellten Zeichnungen konzentrieren sich auf den kreativen Prozess der architektonischen Ideenfindung. Nicht alle Parallelen sind auf den ersten Blick offensichtlich – genau das macht die Ausstellung reizvoll. An einer Wand findet sich beispielsweise ein Holzmodell, das bei der Entwicklung des ikonischen Dachs der Sydney Opera von Jørn Utzon half. Eine Komposition abstrakter Formen von Aldo Rossi weist schon fast in den Postmodernismus. Man könnte Soane genauso gut als Vorläufer dieser Bewegung bezeichnen, wenn man wollte.
Letztlich zeigt die Ausstellung Soane als einen facettenreichen, unkonventionellen Denker – einen „Maverick“, wie Kuratorin Erin McKellar es ausdrückt – der auf eine Zeit des Wandels mit innovativen Ideen reagierte. Ob man am Ende wirklich überzeugt ist, dass er der erste Modernist war, bleibt offen. Die Ausstellung feiert die zeitlose Kraft grundlegender architektonischer Prinzipien und die beeindruckende Wirkung, die sie in gezeichneter Form entfalten können.
Aus dem Englischen von BF
Aus dem Englischen von BF
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