Bauwelt

Planen für Hitler

Das Architekturzentrum Wien zeigt erstmals in einer Ausstellung das breite Spektrum des Wiener Planungs- und Baugeschehens während des Nationalsozialismus

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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    Neugestaltung Wien, Hanns Dunstmann mit dem Stadtbauamt, 1942
    © Architekturzentrum Wíen, Sammlung

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    Neugestaltung Wien, Hanns Dunstmann mit dem Stadtbauamt, 1942

    © Architekturzentrum Wíen, Sammlung

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    Gauhalle für Wien, Franz Pöcher, 1938
    © Architekturzentrum Wíen, Sammlung

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    Gauhalle für Wien, Franz Pöcher, 1938

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    „Stadtplan von Wien im Jahre 3000“, Meisterschule Prof. Siegfried Theiss, für das „Gschnasfest“ im Künstlerhaus, 1933
    © Archiv Künstlerhaus

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    „Stadtplan von Wien im Jahre 3000“, Meisterschule Prof. Siegfried Theiss, für das „Gschnasfest“ im Künstlerhaus, 1933

    © Archiv Künstlerhaus

Planen für Hitler

Das Architekturzentrum Wien zeigt erstmals in einer Ausstellung das breite Spektrum des Wiener Planungs- und Baugeschehens während des Nationalsozialismus

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

In der Nacht auf den 12. März 1938 überschritten Truppen der deutschen Wehrmacht die Grenze nach Österreich und marschierten ohne Widerstand ein. Der „Anschluss“ Österreichs als „Ostmark“ des Deutschen Reiches wurde am 13. März offiziell vollzogen. Damit endete die diktatorische Herrschaft des österreichischen Bundeskanzlers Kurt Schuschnigg („Austro-Faschismus“). Und damit begann der Mythos von Österreich als erstem Opfer der NS-Expansionspolitik, hatte Schuschnigg doch bis zuletzt versucht, Österreich als zweiten, christlichen, „besseren“ deutschen Staat weltpolitisch zu positionieren. In seiner letzter Rundfunkrede am 11. März fiel der später oft zitierte Satz, dass seine Regierung der Gewalt weiche.
Erst als 1986 der ehemalige Wehrmachtsoffizier Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten gewählt wurde, sah sich die Republik (nun offiziell) genötigt, die österreichische NS-Vergangenheit und die Beteiligung an Kriegsverbrechen aufzuarbeiten. Allerdings hatte in den Jahrzehnten davor reichlich Gelegenheit bestanden, unliebsames Material verschwinden zu lassen, Archive zu bereinigen. Und so ist auch die Aufarbeitung des Baugeschehens während der NS-Zeit ein weitgehendes Desiderat: Es sei ja alles in Berlin geplant und kaum etwas realisiert worden, so die jahrelange Verweigerungshaltung.
Dass das Architekturzentrum Wien (Az W) nun trotzdem die Planungen und Realisierungen für die Gauhauptstadt Wien thematisieren kann, ist allein einem unermüdlichen Sammler zu verdanken: dem Wiener Stadtplaner Klaus Steiner. Er ist Sohn eines SS-Offiziers, 1943 in einem „Lebensborn“ in Niederösterreich zur Welt gekommen, und hat wohl auch aus biografischer Selbsttherapie in über 40 Jahren mehr als 4000 Primärquellen zu 455 Projekten erschlossen und sie 2011 dem Az W übergeben.
Steiner hatte 1961 mit Studienbeginn angefangen, Reichsgauhandbücher vom Flohmarkt auszuwerten, lokale Architekten oder ihre nachfolgenden Büros, ihre Witwen, Kinder, Enkel aufzuspüren und diese um Material anzugehen. Viele waren froh, sich unliebsamen Ballasts zu entledigen, andere peinlich bedacht, keine belastenden Angaben, womöglich im Kontext von KZ-Planungen, herauszugeben. Steiner stieß schnell auf die Kontinuität großer Namen und Planungskonzepte – wie sie Werner Durth und Winfried Nerdinger auch für das Baugeschehen vor, in und nach dem Nationalsozialismus in Deutschland rekonstruieren konnten. Und Steiner erkannte, auf welch ideologisch vorbereiteten Nährboden NS-Planungsvorstellungen in Wien fielen, in welch kurzer Zeit sie sich etablieren konnten.
Der nun im Az W gezeigte Auszug von rund 300 Exponaten gliedert sich in neun Themenbereiche, die Veränderung, Inszenierung und Modernisierung, vor allem der Infrastruktur, umreißen. Hitlers Rede am 9. April 1938, in der er die Rolle Wiens als „Perle im Deutschen Reich“, gar im Großraum Europa beschwor, löste eine regelrechte Planungseuphorie aus. Auch ältere Ideen des 19. Jahrhunderts wie die von Groß-Wien wurden aufgegriffen, durch Eingemeindungen wurde die Stadt (bis zur Revision nach Kriegsende) auf die fünffache Fläche ausgedehnt. Zu technokratischer Hochform lief die neue Disziplin der Raumplanung auf, die mit demografischen und völkischen Beweisführungen operierte. Große Entwicklungs- und Stadtverschönerungsmaßnahmen wurden vorzugsweise durch jüdisch geprägte Gebiete geschlagen, so ein Ringstraßenschluss mit Monumentalachse Richtung Donau durch die Leopoldstadt, die in Varianten ausgearbeitete „Führervorlage“ von 1941. Die Anbindung an das Schienen- und Autobahnnetz wurde vorangetrieben, ebenso der Ausbau des Donau-Hafens. Ernst Sagebiel plante einen Weltflug­hafen auf dem Flugfeld Aspern, typologisch ähnlich Berlin-Tempelhof, ein U-Bahn-System sollte aus jedem Punkt im Stadtgebiet in zehn Minuten erreichbar sein. Auch aus dem Jahr 1941 datiert eine erste Umbauplanung des Messepalastes hinter den barocken Hofstallungen Fischer von Erlachs zum Museumsareal – eine Idee wiederum mit Langzeitpotenzial, die um 2000 unter veränderten Parametern realisiert wurde. Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges verschoben sich die Prioritäten, Friedrich Tamms etwa plante für die Organisation Todt zwischen 1943 und 1945 jene drei Flakturmpaare, die noch immer im Wiener Stadtbild präsent sind.
In 52 Bombardements zwischen März 1944 und April 1945 musste Wien 8769 Tote beklagen, 47.000 Gebäude wurden beschädigt, 120 Brücken zerstört. Verglichen mit den Totalverlusten deutscher Städte nehmen sich diese Zahlen überschaubar aus, Wiens Stadtbild ist ein Labsal historischer Bausubstanz. Dass hinter diesen stattlichen Kulissen in manch öffentlicher Institution die Zeit des Nationalsozialismus nach wie vor gern verdrängt wird – das wird Klaus Steiner nicht müde zu betonen.

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