Bauwelt

Moderne in der Werkstatt

100 Jahre Kunsthochschule in der Burg Giebichenstein in Halle (Saale)

Text: Scheffler,Tanja, Dresden

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    DDR-Melaminprodukte, entwickelt an der „Burg“  
    Foto: Richard Anger, 2015, Privatbesitz

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    DDR-Melaminprodukte, entwickelt an der „Burg“  

    Foto: Richard Anger, 2015, Privatbesitz

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    Wolf Vostell: Das Ei, 1977
    Foto: © documenta Archiv

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    Wolf Vostell: Das Ei, 1977

    Foto: © documenta Archiv

Moderne in der Werkstatt

100 Jahre Kunsthochschule in der Burg Giebichenstein in Halle (Saale)

Text: Scheffler,Tanja, Dresden

Die meist nur „Burg“ genannte Kunsthochschule in der Burg Giebichenstein in Halle (Saale) feiert in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. Das Kunstmuseum Moritzburg beleuchtet jetzt in einer umfangreichen Ausstellung ihre wechselvolle Geschichte und präsentiert dabei auch einige interessante Klassiker.
Ab 1915 entwickelte der Architekt Paul Thiersch die lokale Handwerkerschule zu einer modernen, an der Praxis orientierten Kunstgewerbeschule, in der in verschiedenen Werkstätten gleichzeitig ausgebildet und produziert wurde. Diese Schule zog 1922 in die – bei weitgehender Bewahrung des mittelalterlichen Erscheinungsbildes – speziell für die neue Nutzung umgebaute Unterburg der Burg Giebichenstein um: ein sehr introvertierter Campus, der mit seinem trutzigen Ambiente und der Möglichkeit, sich hier in schwierigen Zeiten in die hochschulinterne Werkstattgemeinschaft zurückziehen zu können, sehr schnell zum baulichen Markenzeichen und gleichzeitig auch allgemein verständlichen Symbol des Geistes dieser Schule geworden ist.
Während der Weimarer Republik etablierte sich die Burg als einflussreichste deutsche Kunstschule neben dem Bauhaus: mit ihren hochwertigen Werkstatt-Erzeugnissen sowie der intensiven Zusammenarbeit der verschiedenen Fachklassen bei größeren Aufträgen. Im Zuge der radikalen Neuausrichtung des Bauhauses mit dem Umzug nach Dessau wechselten 17 „Bauhäusler“ nach Halle, darunter auch Künstler wie der Bildhauer Gerhard Marcks, die Weberin Benita Koch-Otte und die Keramikerin Marguerite Friedlaender. Einzelne Themenbereiche der Ausstellung beleuchten mit Original-Exponaten das bei den Burgfesten beliebte Handpuppen- und Marionetten-Spiel (das hallesche Pendant zur Dessauer Bauhaus-Bühne) mit geschnitzten, expressionistisch bis kubistisch angehauchten Puppen, die Ausstattung des hallischen Solbads Wittekind (1923) mit im Stil des Art-déco gehaltenen Heizkörperverkleidungen und Deckenlampen sowie die Einrichtung des Goethe-Theaters in Bad Lauchstädt (1932) mit Mobiliar, Vorhängen, Lampen und Öfen.
Das spektakulärste Projekt dieser Ära war der Flughafen Schkeuditz: 1926 von Thiersch begonnen, übernahm nach dessen Tod der Architekt Hans Wittwer (Hannes Meyers früherer Büropartner) die weitere Planung. Er errichtete hier ein direkt am Flugfeld liegendes Restaurant (1930/31, Foto unten), einen allseitig verglasten, kubischen Baukörper mit großzügiger, über die Gebäudefront hinausgehender Terrasse und Freitreppen. Es ist, neben der ADGB-Schule in Bernau, sein wichtigstes Werk. Dieses bis hin zu Geschirr und Mobiliar komplett von den Werkstätten der Burg ausgestattete, wegen seiner „schwebenden Leichtigkeit“ (Sigfried Giedion) vielfach gerühmte Meisterwerk der Klassischen Moderne wurde im 2. Weltkrieg zerstört. Die Ausstellung präsentiert in einer medial unterstützten Rauminstallation die wenigen erhaltenen Ausstattungselemente.
Während des „Dritten Reiches“ wurde an der Burg Lehrpersonal (darunter auch alle „Bauhäusler“) entlassen, etliche der Fachklassen wurden geschlossen und die „Pflege des deutschen Handwerks“ propagiert. Die Hochschulpolitik der DDR zielte hingegen darauf ab, Formgestalter für die Industrie auszubilden. Parallel dazu baute Willi Sitte eine die Wand- und Monumentalmalerei mit den textilen Künsten vereinende Abteilung auf, in der die geforderten sozialistischen Bildmotive, wie bei seinem in der Ausstellung präsentierten „Freundschaftsteppich“ (1955), teilweise in einer an Pablo Picasso oder Fernand Léger erinnernden Darstellungsweise entstanden.
Auch wenn sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dieser Hochschule immer wieder änderten, scheinten sich der Geist der Burg als Ort des eigensinnigen Denkens sowie eine grundsätzliche Entwurfs- und Kunstauffassung durchgängig erhalten zu haben. Auf einer Fotografie aus den fünfziger Jahren – während der ideologischen Hardcore-Phase der das Bauhaus komplett verdammenden ostdeutschen „Formalismus-Debatte“ – sitzen sich der Direktor Walter Funkat und sein Ästhetik unterrichtender Kollege Reinhard Vahlen in seinem Dienstzimmer in der Burg gegenüber. Die Einrichtung besteht nahezu komplett aus von verschiedenen, damals als nicht salonfähig geltenden „Bauhäuslern“ gestalteten Werken: Möbel des Designers Erich Dieckmann (die man als charmant durchgesessene Originale auch in der Ausstellung bewundern kann), eine Bodenvase von Friedlaender, ein Teppich von Koch-Otte und eine figürlichen Plastik von Marcks.
Einige der handwerklichen Prototypen der meist sehr funktional gehaltenen, später im Rahmen des staatlichen Chemieprogramms zur Melamin-Massenware für Betriebskantinen und Schulspeisungen mutierten Geschirrteile könnte man – wie den ursprünglich aus Silber gefertigten, lediglich aus zwei aufeinandergesetzten Kegeln bestehenden Eisbecher von Manfred Heintze – auch heute noch problemlos im Sortiment hochpreisiger Designer-Shops unterbringen. Das von Rudolf Horn 1967 entwickelte, bis zur Wende von den Deutschen Werkstätten Hellerau produzierte Montagemöbel MDW revolutionierte nicht nur die ostdeutsche Wohnkultur. Es avancierte, trotz der massiven Anfeindungen durch Walter Ulbricht („Ich sehe hier keine Möbel, sondern nur Bretter.“), aufgrund seiner universellen Einsetzbarkeit und klaren Ästhetik zum Bestseller und ist mittlerweile ein auch international bekannter DDR-Design-Klassiker.

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