Bauwelt

Wirtschaftsgebäude



Text: Ballhausen, Nils, Berlin


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    Foto: Werner Huthmacher

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Der Forstbezirk 14 benötigte bessere Lagerräume und Garagen, atelier st aus Leipzig übersetzte das nüchterne Programm in ein holzverkleidetes, ein- und ausgeschnittenes Volumen, das mehr ist als ein Zweckbau.
Reichenbach, Schneeberg und Eibenstock sind keine Orte, die man auf Anhieb mit zeitgenössischer Architektur in Verbindung bringt. Das Westerzgebirge hat, ebenso wie das angrenzende Vogtland, andere Qualitäten. Als Wintersportregion ver­fügt man hier über eine mit den Jahren behutsam gewachsene touristische Infrastruktur, als Produktionsstandort, etwa der Textilindustrie oder des Instrumentenbaus, gibt es seit langem eine gewisse wirtschaftliche Dynamik. Beides trägt üblicherweise dazu bei, dass die Provinz nicht allzu provinziell wird und Neues eine Chance bekommt.
Von Zwickau nach Zürich und zurück
Die nächstgrößere Stadt heißt Zwickau, und von dort kommt Sebastian Thaut. Die nächstgelegene Möglichkeit, Architektur zu studieren, besteht in Reichenbach, einem Außenposten der Westsächsischen Hochschule Zwickau. An dieser kleinen, erst 1996 gegründete Fakultät habe eine motivierende Aufbruchstimmung geherrscht, erinnert sich Sebastian Thaut, und auch was die Ausstattung und Betreuung anging, habe es an kaum etwas gefehlt. Dennoch ging er, bevor er sein Studium 2003 abschloss, für anderthalb Jahre aus der Provinz zu Gigon/Guyer nach Zürich, wo er am Projekt Museumspark Kalkriese mitarbeitete (Bauwelt 15.2002). Zusammen mit seiner Partnerin Silvia Schellenberg-Thaut gründete er 2005 in Leipzig das eigene Büro. Da hatte das Paar, Jahrgang 1977 und 1978, bereits ein Wohnhaus in eigener Verantwortung realisiert und erste Erfolge bei Wettbewerben. 
Der Neubau des Wirtschaftsgebäudes für den Forstbezirk 14 in der Kleinstadt Eibenstock ging aus einem Studienauftrag aus dem Jahr 2007 hervor. Zuvor waren die Architekten in einem Auswahlverfahren für eine neue Fahrzeughalle auf dem Hochschul-Campus Zwickau (Bauwelt 9.2009) noch knapp den routinierteren Schulz & Schulz unterlegen. Die Verantwortlichen im auslobenden Sächsischen Immobilien- und Baumanagement behielten jedoch atelier st, wie sich das Büro nennt, in guter Erinnerung und erteilten ihm den Auftrag für Eibenstock. Wegen Schwierigkeiten mit dem Baugrund konnten die Arbeiten erst im vergangenen Herbst abgeschlossen werden.
Das neue Gebäude steht im Hof der Forstverwaltung an der Schneeberger Straße. Sein relativ simples Raumprogramm – Lager, Garagen und ein Kühlraum – erlaubte ein fensterloses Haus, mit dem sich formal experimentieren ließ. Die Reihe der Kubaturmodelle zeigt die Entwicklung von einer orthogonalen Grundfläche, die unter einem gefalteten Dach geborgen ist, hin zu einem prismenartig verzogenen Volumen, bei dem Dach und Wand gleiches Gewicht beigemessen wird. Dieser „Verformung“ liegen aber durchaus funktionale Anforderungen zugrunde: Der Garagentrakt streckt sich vernünftigerweise nach der Grundstückszufahrt, wobei die Architekten diese Streckung auch dazu benutzten, das Haus hinter dem Hauptgebäude hervorlugen zu lassen, um es von der Straße her sichtbar zu machen. Die Waldarbeiter holen und bringen, beladen und entladen, warten und waschen hier ihre Fahrzeuge; der zweite Eingang an der Südseite des Gebäudes ist dem erlegten Wild vorbehalten, das hier angeliefert, kühl eingelagert und verarbeitet – „zerwirkt“ wird, wie der Fachterminus heißt. Nach der Wildentladung, für die eine kleine Kranbahn installiert wurde, umfahren die Jäger das Wirtschaftsgebäude im Uhrzeigersinn, um die Wege der Waldarbeiter nicht zu stören. Dieser Logik passt sich das Gebäude an; dass der dahinter liegende, einst als entbehrlich eingestufte Grundstücksteil nun vielleicht doch nicht veräußert wird, wie es zu Beginn der Planung hieß, stört die Konzeption nicht. Dieses Haus ist ohne ein Vorn und ein Hinten zu verstehen.
Die Ortssatzung schrieb ein Steildach vor sowie die Verwendung ortstypischer Materialien wie Schiefer oder Holz, letzteres bot sich für ein Forstamt an. Früher hätte man Fichte oder Lärche gewählt, die Architekten entschieden sich jedoch für Schindeln aus dem noch stabileren Holz der kanadischen Rot-Zeder, was auch für den Bauherrn, der vor allem die Betriebskosten im Blick hat, plausibel war. Die sogenannten Indianerschindeln sind dreilagig verlegt. Die sichtbare Vorderseite ist handgespalten, diese Unregelmäßigkeit führt dazu, dass die Schindeln nicht vollkommen glatt aufeinanderliegen und das Holz besser abtrocknen kann. Eine Haltbarkeit von bis zu 100 Jahren ist möglich.
Die beiden Einschnitte in diesen übergroßen Holzscheit wurden als Kontrapunkt zu seiner rauen Schale konstruiert: bündige Aluminium-Sandwichplatten kleiden die überdachten Bereiche aus. Innen ist der Holzrahmenbau ohne großen Anspruch mit OSB-Platten beplankt – die magere Kehrseite einer wertvollen Außenhaut, die ihre modernen alpinen Vorbilder, was die Detaillierung betrifft, wenn überhaupt, nur knapp verfehlt. Die Architekten von atelier st indes praktizieren, was viele ihrer Kollegen allenfalls theoretisch in Fachpublikationen nachvollziehen dürfen. Dabei erweitern sie stetig ihr Repertoire und werden – das wäre zu wünschen – auch künftig ihre Bauherrschaft um die Erkenntnis bereichern, dass bei der Architektur das Nächstliegende nicht immer das Beste ist.



Fakten
Architekten atelier st, Leipzig
Adresse Schneebergstr. 08309 Eibenstock


aus Bauwelt 13.2011
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