Bauwelt

Whitney Museum in New York


Renzo Piano statt Marcel Breuer, Meatpacking District statt Upper East Side. Das New Yorker Whitney Museum of American Art ist umgezogen – in einen Neubau, der vor allem wesentlich mehr Platz für die Kunst und spektakuläre Ausblicke bietet


Text: Schulz, Bernhard, Berlin


  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Additiv ist das erste Adjektiv, das einem in den Sinn kommt, will man das Äußere des neuen Whitney-Gebäudes beschreiben
    Foto: Nic Lehoux

    • Social Media Items Social Media Items
    Additiv ist das erste Adjektiv, das einem in den Sinn kommt, will man das Äußere des neuen Whitney-Gebäudes beschreiben

    Foto: Nic Lehoux

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Wirkte das Breuer-Gebäude hermetisch, so gibt sich Pianos Neubau offen – mit der vollständig verglasten Lobby und den Panoramafenstern im großen Ausstellungssaal und im Theater eine Ebene darunter
    Foto: Nic Lehoux

    • Social Media Items Social Media Items
    Wirkte das Breuer-Gebäude hermetisch, so gibt sich Pianos Neubau offen – mit der vollständig verglasten Lobby und den Panoramafenstern im großen Ausstellungssaal und im Theater eine Ebene darunter

    Foto: Nic Lehoux

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Der große Saal
    Foto: Nic Lehoux

    • Social Media Items Social Media Items
    Der große Saal

    Foto: Nic Lehoux

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Blick aus dem leeren großen Ausstellungssaal auf Ebene 5 auf den Hudson
    Foto: Nic Lehoux

    • Social Media Items Social Media Items
    Blick aus dem leeren großen Ausstellungssaal auf Ebene 5 auf den Hudson

    Foto: Nic Lehoux

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Zwischen dem obersten Stockwerk und der Freiluftgalerie auf Ebene 6 können die Museumsbesucher die Feuertreppe benutzen

    Foto: Nic Lehoux

    • Social Media Items Social Media Items
    Zwischen dem obersten Stockwerk und der Freiluftgalerie auf Ebene 6 können die Museumsbesucher die Feuertreppe benutzen

    Foto: Nic Lehoux

Der Boom in Sachen Museumsneu-, -an und -umbau hat sich nun schon über 25 Jahre als eine der verlässlichsten Erscheinungen des weltweiten Kulturbetriebs erwiesen. Ja, mit den neu hinzugekommenen Global Playern in China und im Mittleren Osten hat sich der Wettstreit um das größte, schönste oder ausgefallenste Museum nochmals deutlich verschärft. Die Aufmerksamkeit des internationalen Kulturtourismus fordert immer neue Appetitanreger.
Eher für den heimischen Markt hingegen ist der Neubau des Whitney Museum of American Art in New York gedacht. Viele, auch internationale Besucher der Stadt kannten zwar das von Marcel Breuer 1966 erbaute, markante Gebäude des Museums in der Upper West Side, einem angestammten Viertel des gut betuchten Mittelstandes. Doch wurde die Klage immer lauter, dass man nur einen Bruchteil der Sammlung zu sehen bekäme und gerade die Spitzenwerke von Künstlern wie Edward Hopper oder Georgia O’Keeffe nur temporär ausgestellt seien, von den Großformaten der Nachkriegsmalerei der New York School ganz zu schweigen. Rund zwei Jahrzehnte dauerte die Diskussion, wie das Platzproblem zu lösen sei. Eine in immer neuen Varianten erwogene Erweiterung am angestammten Ort erwies sich schließlich als undurchführbar. New York mag zwar eine Stadt flinker Abrisse und maßstabsprengender Neubauten sein, aber es gibt eben auch Viertel, in denen einflussreiche Bürger und Denkmalräte derlei verhindern.
So fiel denn vor sieben Jahren die Entscheidung, den Umzug in eine ganz andere Gegend zu wagen. Manhattan sollte es schon sein, und da bot sich der gerade im Aufwind kultureller Begehrlichkeiten befindliche Meatpacking District an der Westseite der Insel an. Ein Grundstück konnte nahe der belebten 14.Straße gefunden werden, dort, wo Straßen noch Namen aus der Vergangenheit tragen. So lautet die neue Adresse jetzt Gansevoort Street. Das Quartier der Fleischgroßhändler ist bis heute noch nicht gänzlich seiner gewerblichen Vergangenheit beraubt, wie das im zuvor angesagten, weiter nördlich gelegenen Chelsea längst der Fall ist. Die Mischung von Lagerhäusern – das größte belegt „Google“ – und kleinteiligen Betrieben lockt die übliche Melange aus Boutiquen und Galerien an, aber ohnehin zieht eine beachtliche Zahl gutverdienender creative people in die umgewandelten oder neu errichteten condominiums, wie in New York die trendigen Wohnungen für Paare und Patchwork-Familien genannt werden.
Kometenhaft stieg die Gegend in der Gunst der New Yorker mit der Anlage der High Line. Nach dem Entwurf eines Teams um Diller, Scofidio + Renfro wurde seit 2006 auf dem Stahlgerüst einer früheren Gütereisenbahn, die den Meatpacking District belieferte, ein begrünter und mit Dielen belegter Spazierweg angelegt. Seit dem vergangenen Jahr kann er von der Gansevoort Street bis hinauf zu 34. Straße begangen werden. Mit der Lage des Museums am Ende des Viadukts etabliert sich das Whitney als selbstverständliches Ziel aller Flaneure.
Anders als in Deutschland wird in den USA für ein solches Projekt kein (anonymer) Wettbewerb durchgeführt, vielmehr lässt sich der Bauherr die Leistungen ausgewählter und nachweislich für die Bauaufgabe geeigneter Büros vorführen. Hier war es noch einfacher, weil die Trustees des Whitney sich von vornherein auf Renzo Piano als den „derzeit besten Museumsarchitekten“ einigten, wie ihr Vorsitzender berichtete. Mehr als zwei Dutzend Museen hat Piano ja entworfen; in den USA genießt seine Erweiterung des Kimbell Art Museum von Louis Kahn hohes Ansehen. In langen Diskussionen wurde das Lastenheft für den Auftrag geschrieben. Abgesehen vom allgemeinen Platzbedarf sollten stützenfreie Räume, darunter eine hohe Etage für die Großformate der Gegenwartskunst, gefunden werden, und das Gebäude sollte sich, ganz im Gegensatz zu Marcel Breuers burgartig verschlossenem Betonkubus, zur Nachbarschaft öffnen.
Es war klar, dass sich die äußere Anmutung an der ruppigen, industriegeprägten Gegend orientieren würde. Piano arbeitet voller Freude mit Reminiszenzen an seinen Erstling, die „Kulturmaschine“ des Pariser Centre Pompidou, weniger in Details als atmosphärisch. So ragen aus dem Dach des bis zu neun Vollgeschosse zählenden Gebäudes drei mächtige Lüftungsrohre heraus, während sich zur westlichen Schmalseite meh-rere gestaffelte Terrassen mit einfachen Metallrelings hervorschieben. Man gewinnt keinen rechten Gesamteindruck von dem eher additiv aufgebauten Gebäude, aber das dürfte beabsichtigt sein, wirkt es so doch wie ein Spezialfrachter, der gerade am nahegelegenen Fluss Hudson angelegt hat. Dort, auf der Ostseite des am heftig befahrenen West Side Highway gelegenen Bauwerks, macht ein riesiges, hausbreites Fenster auf den größten Saal aufmerksam, der das ganze Gebäude von West nach Ost einnimmt – mit 1675 Quadratmetern „die größte stützenfreie Galerie in New York“, wie die Verantwortlichen um Direktor Adam Weinberg stolz betonen.
Ansonsten sind Fenster spärlich eingesetzt, es wäre ja Hängefläche verloren gegangen. Dass die Etagen nach oben hin kleiner werden, gibt das Gebäude durch die schräge, mit pulverbeschichtetem Stahl verkleidete Fassade und die zurücktretenden Terrassen auch außen zu erkennen. Büros und Funktionsräume wie ein Res-
taurierungszentrum und die grafische Sammlung sind auf der Rückseite des Hauses angeordnet – Nordlicht ist für diese Räume ohnehin ein Gebot.
Das Erdgeschoss ist dreiseitig verglast und beherbergt neben Shop und Kassen ein Restaurant, eher eine US-typische Essbar mit langem Tresen, das unabhängig vom Museumsbetrieb geöffnet haben soll – in dieser Gegend, in der die Leute in Scharen zum Essen ausgehen, eine kluge Entscheidung. Durch die Vollverglasung wird die Grenze zwischen Straße und Innenraum auf das maximal Mögliche reduziert. Das nicht ganz ebene Gelände allerdings zwang zum Niveauausgleich mit einigen Stufen, sodass das klassische Museumsmotiv des Tempels auf einem Podium doch wieder, wenn auch äußerst rudimentär, zurückkehrt.
Zur östlichen Schmalseite, an der direkt vor dem Haus abrupt die High Line endet, sind auf allen Etagen Fenster oder genauer Glastüren angebracht – von hier werden die Terrassen erschlossen. Ein spartanisch eingerichtetes Café teilt sich das oberste Geschoss mit dem kleinsten Ausstellungsraum. Neben drei Aufzügen, beidseitig zu öffnen, von denen der eine wie schon im Breuer-Bau als Lastenaufzug ausgelegt ist, „damit man die Arbeit des Museums sieht“, gibt es die Möglichkeit, zwischen dem obersten Stockwerk und dem viertletzten die Feuertreppe zu benutzen; dann aber muss man auf eine elegantere, innen liegende Treppe wechseln. Die Aufzüge erwiesen sich bereits bei der Vorbesichtigung als heillos überfordert. Für Amerikaner ist die Benutzung des Lifts obligatorisch und so sind die Beförderungszeiten wegen des Halts in jedem Stockwerk beträchtlich. Aber vielleicht soll auch das die Erinnerung an das alte Whitney wachhalten, wo es ebenso zuging.
Zur Eröffnung ist die Sammlung erstmals in repräsentativen Ausschnitten zu sehen. Allein in den letzten zwanzig Jahren wuchs sie von 2000 auf 22.000 Objekte an, weil sich das Haus bereitwillig, vielleicht allzu bereitwillig, der Flut der jeweilig aktuellen Kunst geöffnet hat. Unter dem Titel „America is hard to see“, einem Zitat des Dichters Robert Frost, sind rund 600 Werke auf vier Ausstellungsebenen verteilt, chronologisch von oben nach unten, beginnend mit den ältesten Beständen der zwanziger Jahre – das Museum wurde 1930 von der vermögenden Kunstenthusiastin Gertrude Vanderbilt Whitney gegründet – bis zum größten Saal mit der Gegenwartskunst. Dabei sind die Arbeiten, die in den zwanziger und dreißiger Jahren noch zimmerklein waren, immer weiter gewachsen. Im neuen Haus findet nun auch eine mehr als fünf Meter messende Breitwand wie „Die Jahreszeiten“ von Lee Krasner aus dem Jahr 1957 Platz.
Im dritten Obergeschoss gibt es einen Multifunktionssaal für Film, Video, aber auch Performance – Kunstformen, die wie kaum andere für das 20. Jahrhundert stehen. Und dann ist man wieder in der Lobby angelangt und fragt sich, wo die 20.500 Quadratmeter BGF geblieben sind, von denen man gerade einmal 4600 Quadratmeter Ausstellungsfläche gesehen hat. Und wo die Baukosten von sage und schreibe 422 Millionen Dollar stecken. Immerhin gab es daran keine öffentliche Kritik, denn auch dieser enorme Betrag ließ sich ohne weiteres aus dem Ertrag der „Capital Campaign“ tragen, die in den vergangenen Jahren unvorstellbare 760 Millionen Dollar aus den Brieftaschen und Portemonnaies der zahlungswilligen New Yorker gezogen hat. Allerdings mussten technische Feinheiten eingebaut werden, wie z.B. ein Hochwasserschutzsystem, das sich nach Hurrikan „Sandy“ an dieser exponierten Lage, kaum hundert Meter vom Hudson entfernt, empfahl, und das dem Besucher verborgen bleibt. Ohnehin war es nötig, das Gebäude rund fünfzehn Meter tief zu verankert, damit es auf diesem, erst im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte angeschütteten Gelände nicht von Grund- und Hochwasser aufgetrieben wird; so wäre Renzo Pianos Schiffsmetapher denn doch nicht gemeint.



Fakten
Architekten Piano, Renzo, Genua/Paris/New York
Adresse 99 Gansevoort Street New York, NY 10014


aus Bauwelt 22.2015
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x

9.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.