Bauwelt

Théâtre de Liège


Im Lütticher Stadtblock


Text: Redecke, Sebastian, Berlin


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    Foto: François Brix

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Das neue Theater von Pierre Hebbelinck & Pierre de Wit befindet sich mitten in der Stadt. Für den großen Saal und den Haupteingang mit Foyer wurde ein altes, für Lüttich bedeutungsvolles Gebäude, das der „Société Libre d’Emulation“, reaktiviert. An zwei Stellen im Häuserblock mussten allerdings Altbauten geopfert werden.
Die Aufgabe war extrem vertrackt. Das Theater sollte nicht nur in einen denkmalgeschützten Altbau integriert, sondern auch auf engstem Raum in einen ihn umgebenden Häuserblock mit vielen ganz unterschiedlichen Nachbarn eingepasst werden. Nach der Konzeptfindung beim Wettbewerb 2003, langen Diskussionen mit den Bauherren und Nutzern – der Stadt, einer Kulturstiftung und der Musikschule – und zähen Verhandlungen mit der Denkmalpflegebehörde ist dieses Projekt schließlich gelungen.
Grundlage der Planung war, dass der Altbau, der für die Geschichte der Stadt sehr wichtig ist, die zentralen Funktionen der Neunutzung, das Foyer und den großen Saal, aufnehmen sollte. Die anderen Bereiche des Theaters – rund sechzig Prozent des Programms – waren in Neubauten unterzubringen. In den reich gegliederten Hof des Häuserblocks wurden der Bühnenturm und kleinere Gebäudeteile eingefügt. Außerdem genehmigte man große Eingriffe: Zwei der typischen schmalen Häuser der Stadt aus dem frühen 20. Jahrhundert, unmittelbar neben dem Altbau, wurden nach der Enteignung abgerissen, um Platz zu schaffen für einen kleinen Theatersaal, die Schauspieler-Garderoben und die direkte Bühnenzufahrt für Lastwagen. Ohne diese wichtige Zufahrt wäre das Projekt gescheitert. Ein weiterer Eingriff wurde in der Nebenstraße, der Rue des Carmes, vorgenommen. Dort mussten ebenfalls zwei schmale Altbauten weichen – diesmal für die Räume der Theaterschnei­derei, das Lager und die Büros der Regie. Zudem wurde im Nordwesten des Blocks ein Notausgang in die bestehende Gebäudestruktur integriert und eine Verbindung zum Cercle des Beaux-Arts, einem Ausstellungsbereich auf zwei Ebenen, hergestellt. Die Architekten haben auch dieses kleine Kunstzentrum komplett umgestaltet. Klingt alles sehr kompliziert und wird erst beim Blick auf die Grundrisse und Isometrien besser verständlich (Seite 20 ff.). Alle Teile wurden in einer gründlich erarbeiteten Logik zusammengefügt. So hat man als Besucher den Eindruck, dass das bestehende Gebäudeensemble mit den Baumaßnahmen lediglich eine Überformung erfuhr.
Der Altbau
Die 31 Meter breite Front des Altbaus an der Place du Vingt Août gehörte zum Gebäude der Société Libre d’Emulation. Seit 1779 engagierte sich diese von Lütticher Bürgern gegründete und später von der florierenden Schwerindustrie unterstützte Gesellschaft für die Kunst, die Literatur, die Musik und die Wissenschaft. Im Haus zeigte man Ausstellungen, fanden Konzerte, Vorträge und Kolloquien statt, die von großer Bedeutung für das kulturelle Leben der Stadt waren. 1914, während der Besatzung, vernichtete ein von deutschen Soldaten verursachtes Feuer das Gebäude samt seiner Bibliothek. Der Wiederaufbau in den Jahren 1934 bis 1939 erfolgte durch den Architekten Julien Koenig. Der stand zwar der Moderne nahe, aber hier, im bürgerlichen Umfeld der Stadt, entwarf er eine Architektur in Anlehnung an die Epoche von Ludwig XVI. Die gesamte Konstruktion, auch hinter den Säulen des Portals, ließ er in Beton ausführen. In dem Gebäude befand sich ein großer Saal, der war jedoch für Theatervorstellungen kaum geeignet. Er ist aus Platzgründen quer zum Eingang angeordnet, hatte einen nur leicht ansteigenden Zuschauersaal und eine Bühne mit bescheidenen Maßen. Im Obergeschoss gab es Säle für Empfänge. Die Société Libre d’Emulation ist zwar noch aktiv, hat das Gebäude aber bereits 1985 aufgegeben. Es wurde u.a. vom belgischen Fernsehen genutzt und stand dann viele Jahre lang leer.
Hebbelinck und de Wit entschieden sich, in den Saal eine komplett neue Zuschauertribüne einzupassen. Sie hebt sich steil und sehr imposant empor und steht frei im Raum. Trotz ihres Volumens wirkt sie leicht, da sie oben auskragt. Verankert ist der Stahleinbau für die Zuschauer – nicht ohne Symbolik – im Fundament unterhalb der Bühne. Mit Abstandshaltern ist er am Betonbalken der Deckenkonstruktion nur angedockt, um Vibrationen zu vermeiden. Die Bühneneinfassung wurde in ihrer Gestalt belassen, hat aber eine deutliche Verbreiterung erfahren, der umrandende Dekorstreifen wurde ergänzt. Die Unterseite der Tribüne verkleidete man mit schmalen Holzlatten. Der dort entstandene Raum, der mit schwarzem Teppichboden ausgelegt ist, soll als zusätzliches Foyer genutzt werden. Er hat allerdings lange nicht die Qualität des unmittelbar angrenzenden alten Foyers mit dem großen Treppenaufgang.
Tischlerarbeiten
Hinter den Torbögen des Portals des Altbaus wurde eine gläserne Wand eingefügt. Im Erdgeschoss befinden sich die weiträumige Eingangshalle mit Café und Theaterkasse sowie eine kleine Buchhandlung. Von dieser Vorzone gelangt man über einige Stufen in das Foyer des Theatersaals. Nicht nur die neue Aluminium-Holzkonstruktion der gläsernen Wand, sondern auch die Fenster in den Obergeschossen wurden von den Architekten sehr sorgfältig gestaltet; die Buchhandlung ist ein Kabinett auf zwei Ebenen, ganz aus Eichenholz und mit ausgefallenen Details gefertigt. Pierre Hebbelincks Sohn ist Tischler und war an der Planung beteiligt. Alle Einbauten sind aus dem gleichen Holz, auch die Jean-Prouvé-Möbel im Café wurden in Zusammenarbeit mit Vitra entsprechend angepasst; die Tischplatten sind ebenfalls in Eichenholz ausgeführt.
Im alten Foyer überraschen die drei raumhohen Öffnungen zum Theatersaal. Man blickt also gleich auf die bereits beschriebene Zuschauertribüne und sogar auf die gegenüberliegende Längsseite des Saals, die ebenfalls offen ist, da hier ein schmaler Lichthof anschließt. Vor die großen Öffnungen werden während der Theateraufführungen schwarze Vorhänge gezogen. Den Architekten war die Transparenz in allen Bereichen des Gebäudekomplexes sehr wichtig. Trotz der Enge und der Verschachtelung sollten überall Durchblicke bleiben.
Glas aus Wunsiedel
Alle neuen Fassaden im Blockinneren wurden mit einer vorgehängten Glas-Aluminium-Haut gestaltet. Damit erreichen die Architekten bei aller Komplexität der Gebäudekomposition die gewünschte Einheitlichkeit. Auch einige Altbau-Fassaden im Block erhielten eine Verkleidung. Im Mittelpunkt der Gebäudeteile steht der Bühnenturm. Die Glaselemente (meist 1,20 x 2,80 Meter) kamen opak, halbtransparent und teilweise senkrecht geriffelt zum Einsatz. Man fand in der Wunsiedeler Glashütte Lamberts einen Hersteller, der genau die gewünschte Haut produzieren konnte. Das Glas prägt auch den schräg in den Stadtraum vorgeschobenen Großerker. Die Architekten wollten an dieser Stelle nicht harmonisieren, sondern ganz bewusst einen Gegenakzent zum Altbau setzen. Formal überzeugt das allerdings nicht. Große, neutralisierende Glasflächen hatte das Büro bereits beim Theater in Mons verwendet (Bauwelt 14.2007).
In den schmalen Bau zur Seite der Rue des Carmes wurde in die Fassade eine Loggia eingefügt, die auf zwei Geschossen von der Theaterschneiderei genutzt wird. Da das Theater kein festes Ensemble besitzt, ist man auf auswärtige Produktionen angewiesen und produziert hier auch für diese Theaterstücke die Kostüme. Im kleinen Saal kann die Bestuhlung komplett ineinander geschoben und in einer geschlossenen Box verstaut werden. Der leere Saal hat exakt die Fläche der großen Bühne, das ist für Proben von Vorteil. Zur Straße hin verfügt er über eine große Fensterfront vor der auch gespielt wird und die bei Bedarf mit schwarzen Vorhängengeschlossen werden kann.
Im ersten Obergeschoss des Altbaus ist noch eine Kuriosität zu bewundern. In den dreißiger Jahren sind beim Bau des Gebäudes in die Salons Teile alter Wandtäfelungen aus dem 18. Jahrhundert eingefügt worden. Teilweise fehlende Segmente wurden einfach nachgemalt. Heute sitzt man hier im Restaurant. Dessen Vorbereich ist gleichzeitig oberes Foyer für den Theatersaal. Es wurde mit der neuen Holztäfelung gestaltet, die man überall im Haus findet. Hebbelinck ist glücklich, dass die Denkmalpflege hier nicht so genau hinschaute. Besonders gelungen sind die hervortretenden Holzrahmungen der neuen Zugänge im Treppenhaus. Dieses Spiel von Alt und Neu, gepaart mit einer Reihe von feinen Details im gesamten Haus machen die Qualität im Inneren aus – auch wenn sich die eine oder andere Idee nicht erklärt oder sich gar als unpraktisch erweist.



Fakten
Architekten Pierre Hebbelinck & Pierre de Wit, Lüttich
Adresse Place du Vingt Aout 16 4000 Liège Belgien


aus Bauwelt 19.2014
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