Bauwelt

Stacheln auf Nordwest


Pavillon für die Münchner Opernfestspiele


Text: Linscheid, Klaus F., Aichach


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    Klaus F. Linscheid

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Dieser temporäre Pavillon schickt sich an, Architektur durch die dreidimensionale Umsetzung von Musik zu gestalten. Das jedenfalls behauptet Wolf D. Prix: Die Amplituden von Jimi Hendrix‘ „Purple Haze“ und Mozarts „Don Giovanni“ würden die gestalterische Grundlage der schallschluckende und schallreflek­tierende Elemente der Metallfassade bilden. Die mobile Spielstätte für die Opernfestspiele ist das dritte Münchner Projekt der Wiener Coop Himmelb(l)au – nach der unsäglichen Akademie der Bildenden Künste und der spacigen BMW Welt (Bauwelt 44.05 und 31.07).
Wie stachelige Spikes schießen kristalline Tetraeder und Pyramiden aus der nordwestlichen Ecke des Opernpavillons. Als wollten sie sich Luft verschaffen und ihre musikalische Botschaft in alle Welt hinaus tragen. Laut Architekten sollen sie den Innenraum vom Straßenlärm abschirmen. Eine „ästhetisch aufregende Lösung“ hatte sich Staatsopern-
Intendant Nikolaus Bachler für diesen temporären Bau der Opernfestspiele gewünscht. Sein Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Drei Jahre reifte der Gedanke, auf dem Marstallplatz, gegenüber der 1820 bis 1822 von Leo von Klenze errichteten ehemaligen Hofreitschule des Bayerischen Königshauses und angrenzend an das Probengebäude der Oper, einen „Ort der Begegnung und des Austausches“ zu schaffen. Einen Ort, der „den Projekten Raum bietet“ und „mit dem wir Fragen nach dem Musiktheater des 21. Jahrhunderts stellen können“, so Bachler. Finanziert wurde das 2,1 Millionen Euro teure Projekt mit Unterstützung der Automarke MINI, die den Pavillon und den öffentlichen Raum drumherum mit zahlreichen Events als „Plattform urbanen Lebens“ zelebriert.
Was aber macht diesen Raum innovativ, veränderbar, grenzenlos und unvergleichlich? Ein Blick ins Innere gibt die ernüchternde Antwort: eine Black Box. Nicht mehr und nicht weniger. Etwa 300 Zuschauer finden darin Platz. Von der Expressivität der äußeren Hülle bleibt im Inneren – nichts. Eine schwarze Kiste mit leicht gekippten Wänden und einem Boden aus Siebdruckplatten. Davor ein pseudo-„roter Teppich“ aus Gummigranulat.
„Gute Architektur hat immer Maßstäbe gesetzt“ verteidigt Prix sein architektonisches Konzept,
„sie war nie reaktiv, sondern immer aktiv. Eine Gesellschaft, die keine Ikonen schafft, hat kein Selbstbewusstsein.“ An Selbstbewusstsein hat es Coop Himmelb(l)au noch nie gemangelt. Aber ein wenig konsequenter hätte man sich die Gestaltung dann doch gewünscht. Vergleicht man das reale Gebäude mit dem Logo, das das Designbüro Mirko Borsche für die Opernfestspiele aus dem Pavillonentwurf entwickelt hat, wird das mehr als deutlich. Die Expressivität dieses Symbols hat der Bau nur über eine einzige Ecke. Dort „provoziert“ er, hat Facetten, Kanten und Spitzen. Der Rest ist beliebig, langweilig, ja ärgerlich. Denn auf der Rückseite, vis-á-vis einer Außenbewirtschaftung, wurden Technikcontainer postiert. Eine Zumutung für die Besucher des Cafés.
Da tröstet es wenig, dass das ursprüngliche Entwurfskonzept ein rundherum stacheliges Gebilde vorsah, von dem – aus Budgetgründen – lediglich Fragmente übrig geblieben sind.
Wolf D. Prix hofft, „dass der Pavillon nach dem Ende der Spielzeit fehlen wird.“ Zumindest bis zum nächsten Jahr, wenn er während der Opernfestspiele wieder aufgebaut werden soll. In der Zwischenzeit darf er, in Containern verpackt, die Welt bereisen, um auch andere Orte mit „neuen Wegen der Wahrnehmung“ zu beglücken.



Fakten
Architekten Coop Himmelb(l)au, Wien
aus Bauwelt 26-27.2010

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