Bauwelt

Senegalesische Moderne



Text: Mühlbauer, Lore, München


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In Dakar, der westlichsten Stadt Kontinentalafrikas, sind die Spuren der französischen Kolonialherrschaft auch nach über 50 Jahren noch allgegenwärtig. Unsere Autorin spürte ihnen nach – und stieß auf ein erstaunliches architektonisches Erbe.
Den meisten Europäern ist Dakar wohl nur als Ziel der legendären Rallye Paris–Dakar geläufig, die hier bis 2009 endete. Doch auch für den Architekturinteressierten lohnt sich der Besuch in der Hauptstadt des Senegal. Neben einer reichen städtebaulichen Geschichte, die eng mit der Kolonialherrschaft Frankreichs verknüpft ist, finden sich hier weitgehend unentdeckte Schmuckstücke einer von Frankreich beeinflussten und dennoch eigenständigen Moderne, die selbst im Senegal bisher kaum wahrgenommen wurde.
Sklavenhandel, Kolonie und Verkehrsinfarkt – Etappen der Stadtgeschichte
Auf den ersten Blick wirkt Dakar verwirrend. Leicht verliert man die Orientierung in immer gleichen Straßenszenen, oft ohne markanten Straßenraum. Von den 12 Millionen Einwohnern des Senegals lebt mittlerweile jeder vierte in Grand Dakar. Drei Viertel der Senegalesen sind jung, 60 Prozent unter 20 Jahren. Das enorme Bevölkerungswachstum hat weitreichende Konsequenzen für den Flächenverbrauch und die ohnehin überlastete Infrastruktur. Die Regierung des Landes will dem mit internationaler Hilfe, auch mit deutscher Betei-ligung, z.B. durch den Bau neuer Autobahnen oder die Verlegung des Flughafens nach Diass begegnen.
Dakar, markant auf einer geschützten Halbinsel am westlichsten Zipfel Afrikas gelegen, wurde 1757 als französisches Fort gegründet. 1907 wurde das Verwaltungszentrum von Französisch-Westafrika von St. Louis hierher verlegt. Hier entwickelte sich in der Kolonialzeit ein urbanes Zentrum – auch in Folge der geografisch günstigen Lage auf dem sogenannten „Plateau“. Auf diesem Höhenrücken liegt der historische Stadtkern. 1923 wurde die Bahnlinie nach Bamako, der Hauptstadt des benachbarten Mali, fertiggestellt. Sie bindet das Binnenland an internationale Handelsnetze an. Der Hafen Dakars zählt zu den größten in Westafrika. Seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1960 entwickelte sich Dakar, auch dank der zentralen Lage zwischen Europa und Amerika und wegen des gut ausgebauten Flughafens, zu einem regionalen und internationalen Konferenz- und Tagungsort. Die Universität, benannt nach dem afrozentrischen Ägyptologen Cheick Anta Diop, ist überlaufen, aber eine der anerkanntesten Bildungseinrichtungen Afrikas. Seit den 1990er Jahren findet in Dakar alle zwei Jahre die DAK’ART, die einzige Kunstbiennale Afrikas statt. Die kulturellen Bindungen zu Frankreich sind eng. Die Amtssprache im Senegal ist Französisch.
Der historische Kern der Stadt besteht im Wesentlichen aus der afrikanischen Medina und dem europäisch geprägten Centre Ville. Hinzu kommen die umfangreichen Befestigungsanlagen auf der vorgelagerten Insel Gorée. Die Medina wird durch die Avenue Blaise-Diagne, eine vierspurige, meist verstopfte Stadtautobahn, geteilt. Streng geometrisch geordnet, mit historischen Häusern und Baracken neueren Datums, entstand der älteste Stadtteil ab dem 16. Jahrhundert unter libyschen, malischen und ägyptischen Einflüssen. Berühmte Musiker wie Youssou N’Dour, inzwischen Kultusminister, stammen von hier.
Im Schatten eines großen Palaverbaumes an der Ecke Rue 22 und Rue 17 liegt der mit Marmorplatten befestigte Vorplatz der alten Moschee. In dem frisch gestrichenen, mit grünen Fliesen verzierten historischen Bau laden Holzbänke mit Blick auf den Platz ein, sich zum Gespräch niederzulassen. Ich treffe Djibé und Malick, Umweltaktivisten und engagierte Bewohner der Medina, die von ihren Erfahrungen mit der Planungsbehörde erzählen. Die hat sich mittlerweile vom Gegner zum Partner der Bewohner entwickelt. Die historische Siedlung auf dem Plateau wurde nicht, wie in den 70er Jahren geplant, abgerissen und durch „Habitation à Loyer Moderée“, also Sozialwohnungsbau, ersetzt. Vielmehr wurde anstelle öffentlicher Brunnen je Hauseinheit eine neue Wasser- und Elektrizitätsversorgung installiert. Denkmalschutz und Bauordnung sollen das Wohnen und Arbeiten der vielen Ethnien, die inzwischen hier leben, regeln und wertvolle Gebäude sichern und erhalten. Viele Einwohner Dakars halten die Medina dennoch nicht für eine gute Wohnadresse. Die Bausubstanz der typischen Hofhäuser, in denen die Großfamilien mit ihrem Vieh leben und arbeiten, ist marode. Trotzdem besitzt die sehr afrikanische Siedlung in ihren gefassten und gut nutzbaren Innen- und Straßenräumen eine hohe Lebendigkeit und Lebensqualität.
In der Bucht von Dakar, drei Kilometer südöstlich vom Plateau, liegt die 36 Hektar große, autofreie Insel Gorée (Bauwelt 45.97). Hier wurden bis ins 19. Jahrhundert Sklaven aus dem Landesinneren zusammengetrieben, um sie über den Atlantik zu verschiffen. Die Zahlen sprechen von Zehntausenden bis zu mehreren Millionen Menschen. Seit dem 15. Jahrhundert herrschten Portugiesen, Holländer, Engländer und Franzosen über die Insel, deren traurige Berühmtheit im „Maison des Esclaves“, dem Sklavenhaus dokumentiert ist. Das Ensemble ist seit 1978 Weltkulturerbe und hat sich zum Touristenziel entwickelt. Ob die westafrikanischen Sklaven tatsächlich durch die „Tür ohne Wiederkehr“ verschifft wurden oder der Ort nur symbolische Bedeutung hat, ist umstritten. Die historischen Speichergebäude werden, anders als das Fort und das Sklavenhaus, nur wenig gepflegt. Künstler und Lebenskünstler richten ihre Ateliers und Wohnungen in historischen Kanonen und Befestigungsanlagen ein. Es ist ein Ort der Jugend, die sich – wenn sie nicht die Flucht nach Europa plant – im Schmelztiegel Dakar ein besseres Leben als das ihrer Eltern erhofft, wie der Student Moussa erzählt.
Verstecktes Kleinod: Kolonialarchitektur der Moderne
Im europäisch geprägten Centre Ville fällt neben einigen Verwaltungsbauten das ehemalige Vier-Sterne-Hotel „Indépendance“ ins Auge. Dessen Verfall wird erst auf den zweiten Blick sichtbar. Seit fünf Jahren steht das Gebäude leer. Staub setzt den durch Abgase und Sand ohnehin gestressten Lungen auf dem Weg über 16 Etagen nach oben zu. Der Gestank toter Tiere liegt in der Luft. Der Swimmingpool ist leer, die Bar- und Barbeque-Plätze auf der Dachterrasse sind verwaist. Von hier oben ist der Panoramablick auf den südlichen Teil des Plateaus atemberaubend. Am Ende der Stadtautobahn, erhaben über der Küste gelegen, ist die Centre Ville von der arabischen Medina durch die große Moschee und das islamische Institut getrennt. Im Nordosten schließen sich der Bahnhof aus der Kolonialzeit und der Hafen von Dakar an. Das orthogonale Raster der baumbestandenen, asphaltierten Straßen mit erhöhten Gehwegen ist nach französischem Vorbild durch übergeordnete Boulevards gegliedert. Sie verbinden die Hauptplätze und deren repräsentative Bauten untereinander: die Place de l’In­dépendance, an der das Rathaus liegt, die Place Soweto mit dem Gebäude der Nationalversammlung und dem Museum IFAN („Mussée de l’Institut Fondamental d’Afrique noir“), die Place Washington mit der Kathedrale sowie das Ende des Bou-levard de la République mit dem Präsidentenpalast.
Die steinernen Sonnenschutzdächer geben der Fassade des „Indépendance“ eine bewegte, schuppenartige und dennoch streng geometrische Oberfläche (Architekten: Roland Depret, Thierry Melot). Vergleichbare Fassaden mit festem, meist ornamentalen Sonnenschutz finden sich vielerorts, zum Beispiel am ehemaligen Justizpalast auf dem Cap Manuel (von Robert Boy, 1960). Geometrische Grundelemente wie Kreis, Dreieck und Quadrat tauchen immer wieder auf. Durch die weitgehende Verwendung von witterungsbeständigem Putz oder von Beton wirken Farben und Formen, Material und Struktur dieser Schmuckstücke auch nach 50 Jahren noch.
Zu den baugeschichtlichen Zeugnissen aus der Zeit vor der Unabhängigkeit, die in dieser städtebaulich so chaotischen Stadt noch vielerorts erkennbar sind, gehören zahlreiche Gebäude der Moderne. Sie war stark von französischen Architekten beeinflusst. Damals wurde das Konzept der „Négritude“, der afrikanischen Identität, zum Katalysator der Entwicklung einer eigenen, afrikanischen Architektur, die vor allem in administrativen Bauten zum Ausdruck kommt. Der Versuch, sudanesische Lehmarchitektur mit funktionalen Anforderungen wie Gebäudetemperierung oder Dachentwässerung (Wasserspeiern) zu verbinden, gelingt im Museumsbau des IFAN von 1936, das als ehemaliges Universitätsinstitut heute archäologische und ethnographische Sammlungen zeigt. Beim Krankenhausbau aus den 30er Jahren, wie dem Institut d’Hygiéne Sociale, der ehemaligen Poliklinik (1931) an der Av. Blaise Diagne (Medina) prägen negro-afrikanische (gliedernde, farbige Pilaster, kleine Lüftungsöffnungen) und arabisch-berberische Architekturelemente (Kuppeln, Rundbauten und Ornamente) das Ensemble.
Die Qualität der Gebäude der Kolonialzeit ist trotz teilweise bröckelnder Fassaden, fehlendem Anstrich oder nachträglichem, gestalterisch unsensiblem Einbau von Klimageräten überzeugend. Am Regierungsgebäude an der Av. Léopold Sédar Sen­ghor sind die zweigeschossigen Pfeilerkolonnaden, die Eingangshalle, die fünf funktionalen, eleganten Büroebenen und das Dachgeschoss mit schattenspendendem Dachüberstand wohl proportioniert. Nicht im Zentrum der Stadt, sondern im Vorort Ngor, steht das Hotel „Ngor Diarama“ aus dem Jahr 1955. Seine klare moderne Fassade und die schöne Lage mit Blick auf die gleichnamige vorgelagerte Insel drücken das Bemühen um anspruchvollen Tourismus aus.
Architektonisch bedeutsame Wohnungsbauten aus den 60er Jahren bestechen auch im Detail. Ein markantes Beispiel ist das Gebäude „Liberté  I“ der Wohnungsbaugesellschaft SICAP (Société Immobimière du Cap-Vert) an der Av. Bourguiba (Architekt: Fernend Bonamy). Die Schatten spendenden rechtwinkligen Betonelemente gliedern die Fassade. Der moderne Schriftzug „Liberté“ in deren Front konnte im Baujahr wohl nicht nur als Gebäudename verstanden werden.
Universitätsgebäude entstanden nach der Verlegung der Universität Cheick Anta Diop in den Stadtteil Fann. Das Gebäude der Fakultät für Pharmazie (1960) mit der durch gebäudehohe Pilaster und Gesimsen gegliederten modernen Fassade, wirkt durch das vermeintlich schwebende Dach mit Lüftungsöffnungen und die Glasflächen sehr leicht. An der Av. Pasteur entstand 1960 das gleichnamige Institutsgebäude, an dem sich arabische Elemente wie Rundbau, Kuppel und Wasserspeier mit floralen Reliefs und Schriftzügen verbinden. Die Eleganz setzt sich im Treppenhaus fort. Die Farbe Weiß dominiert diese Institutsgebäude. Sienabraun hingegen ist der Anstrich der (zurzeit leerstehenden) Grundschule El Hadji Ma-lick aus dem Jahr 1942. Hier fällt das filigrane Entrée ins Auge, in dem eine runde, von schlanken Säulen umstandene Öffnung als „Himmelskuppel“ den Eingangsbereich betont.
Leider ist es bisher nicht gelungen, die Namen aller beteiligten Architekten zu ermitteln. Die meisten kamen wohl aus Frankreich oder wurden dort ausgebildet. Eine eigene Architekturschule gab es im Senegal erst ab 1970. Deren Lehrbetrieb wurde jedoch 1991 eingestellt. Heute bietet eine Privatschule eine zweijährige Grundausbildung für Architekten an. Das führt dazu, dass die Qualität der Neubauten immer schlechter wird oder gesichtslose Bauten nach „internationalem Standard“ entstehen. Auch den Genehmigungsbehörden fehlt es zunehmend an Fachwissen. Umso wichtiger ist es, die architektonischen Spuren der neo-sudanesischen Einflüsse der 30er Jahre und die Bauten der Sechziger, die eine eigenständige Moderne mit autochthonen Elementen zeigen, zu bewahren. Diese architektonischen Kleinode verändern den Blick auf eine Stadt, die zu Unrecht oft als „Stadt ohne Seele“ verkannt wird.




Adresse Dakar, Senegal


aus Bauwelt 34.2013
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