Bauwelt

Palais de Tokyo


Fun Palace im Palast


Text: Hanimann, Joseph, Paris


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    Foto: Philippe Ruault

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    Foto: Archiv Palais de Tokyo

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    Foto: Archiv Palais de Tokyo

Das Pariser Palais de Tokyo ist mit seiner zweiten Um- und Ausbauphase durch die Architekten Lacaton Vassal zu einem der weltweit größten Ausstellungsbauten für zeitgenössische Kunstformen angewachsen. Vor allem die gewaltigen Räume im Untergeschoss sind jetzt eine dreidimensionale Herausforderung an jede Form von Präsentation.
Für einen Ort, an dem die „formes émergentes“, die „emporkeimenden Formen“ des Kunstschaffens gezeigt werden sollen, war das Pariser Kunstzentrum des Palais de Tokyo bei seiner Gründung vor elf Jahren institutionell ziemlich von oben nach unten gedacht. Was sonst in Bauruinen und auf Stadtbrachen aus einem dauerhaft gewordenen Provisorium mehr oder weniger spontan hoch wächst, wurde vom französischen Kulturministerium im leerstehenden Westflügel des neoklassischen Kunsttempels – 1937 als Palais des musées d’art moderne eingeweiht – bewusst herbeigeführt. Zwei Meister der Bruchkanten und der sichtbar gebliebenen Materialspuren, Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal, richteten damals auf der Eingangs- etage des Monumentalpalasts durch Minimalintervention eine Dauerbaustelle für Tiefbohrungen der zeitgenössischen Kunstproduktion ein.

Das Grundstück auf dem Trocadéro-Hügel senkt sich zur Seine ab. Nach der in diesem Jahr beendeten zweiten Umbauphase führt der Weg im Palais de Tokyo nun tatsächlich über drei Etagen hinunter ins Innerste. Doch eher als in dieses verborgene Wurzelwerk zeitgenössischer Kunstentwicklungen, gelangt man über dreiläufige Treppenkaskaden zunächst ins helle Terrassengeschoss des Kolonnadenbaus. Die institutionelle Umkehrung der Dynamik zwischen oben und unten setzt sich im Palais de Tokyo auch räumlich durch. Lacaton und Vassal wollten sich für die zweite Umbauphase von der Idee des „Fun Palace“ leiten lassen, wie der Engländer Cédric Price sie in den sechziger Jahren entwickelt hat. Der Besucher soll frei kommen und gehen können, ohne Eingangsfoyer, ohne Türen und Warteschlangen vor den Schaltern. Die Standardform dafür wäre ein neutraler Hallenraum. Das genau aber hat das Palais de Tokyo mit seinen geschwungenen Formen und gestaffelten Seitenflügeln nicht zu bieten. Die Architekten mussten den Fun-Palace-Effekt also umdrehen und das Prinzip der freien Zirkulation in der Raumvielfalt zwischen Keller und Panoramasaal bespielen. Vom zentralen Eingang – einen anderen gibt es nicht – an der höher gelegenen Avenue du Président-Wilson spaziert man frei durchs ganze Gebäude und braucht nur für bestimmte, abwechselnde Ausstellungsbereiche eine Eintrittskarte, die man an einem ganz normalen Schalter kauft.

Restgemäuer Piranesis
Auf den 16.500 jetzt hinzugekommenen Quadratmetern entstand eine Vielzahl von Räumen, vom dunklen Keller bis zum Galeriesaal mit Seiten- und Oberlicht. Sie fordern den Dialog der Exponate heraus. Hier ist weder eine Laborbox für Kunstexperimente entstanden, noch wurde in einen Altbau-Ausstellungsraum hinein improvisiert oder ein Spektakel in eine heruntergekommene Palastkulisse gezaubert. Durch Freilegung des Bauskeletts, perspektivische Öffnung der Mezzanine im Etagengefälle, minimale Eingriffe in die Bausubstanz aus verkleidetem Backstein, Beton und holzgefassten Glasdächern so-wie durch eine sorgfältige Lichtführung ist das Palais de Tokyo zu einem Prüfstand zeitgenössischer Kunstversuche geworden. Räumliche Falschbesetzungen können da für die Werke fatal werden; es braucht einen geübten Regisseur. Seit gut einem Jahr liegt die Ausstellungsregie in den Händen des neuen Direktors Jean de Loisy, der sich mit dem Wechselspiel zwischen Werkspezifik und Raumqualität auskennt. Davon zeugt eine Installation mit Arbeiten des Japaners Takahiro Iwasaki im gegenwärtig laufenden Ausstellungsprogramm. Überall im Gebäude hat der Künstler Fernrohre platziert, durch die man auf miniaturisierte Baukräne, Eiffelturm-Rümpfe oder sonstige Konstruktionsfragmente blicken kann, die – auf weit entfernte Träger und Mauervorsprüngen montiert – mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind. Die Architektur lädt den Künstler zum Versteckspiel ein. Dafür musste allerdings zuerst die Statik des Gebäudes, das lange Zeit als Lager für diverse Pariser Museen gedient hatte, ertüchtigt werden. Unter die Decke geschraubte T-Träger, aufgeschlitzte und mit Beton verstärkte Rundpfeiler, rohe Wandstümpfe und eingezogene Belüftungsrohre tragen unverkleidet ihre Funktionen zur Schau, ohne demonstrativ eine Werkstattatmosphäre zu verbreiten. Man wandelt eher durchs Restgemäuer eines Palasts, dessen Innenwände gefallen sind und dessen Räume sich ineinander verkeilen.

Steigt man vom Haupteingang über die metallene Rundtreppe hinab ins Untergeschoss, gelangt man ins Halbdunkel eines Schachts, der mit gekreuzten Stegen und Nebentreppen an die Katakombenarchitektur Piranesis erinnert. In seinen Nischen und Bodenmulden können Künstler mit luziferischen, satirischen oder messianischen Visionen gedeihen. Entscheidet man sich am Eingang aber für die breite Steintreppenfolge in Richtung Esplanade und Seine-Terrasse, läuft man dem von drei Seiten einfallenden Tageslicht entgegen, das sich eher für große Installationen, Zeichnungen und Fotoarbeiten eignet. Tiefenfoyer, Rundflügel und gestaffelte Galerieräume mit Oberlicht bilden aber ein praktisch wandfreies, wie in einem Möbiusband verschlungenes Raumkontinuum, das für jede Ausstellung durch eingezogene Trennwände neu aufgeteilt werden muss. Das bringt viel Stellraum, jedoch wenig Hängefläche. Diese muss im Bedarfsfall durch eine Ad-hoc-Architektur erst geschaffen werden. Für eine derzeit laufende Ausstellung von Fabrice Hyber wurden beispielsweise im Nebentrakt vier klassisch rechteckige Galerieräumen mit Mez­zanin-Umlauf auf halber Höhe gebaut.

Seinen symmetrischen Zwillingsflügel im Osttrakt des Palais de Tokyo, in dem das städtische Musée d’Art Moderne wohnt, hat der bisher verwahrloste Westflügel qualitativ nun eingeholt, konzeptuell aber gleichzeitig von sich gestoßen. Ist jener mit seinen abgeblendeten Fenstern nach innen gekehrt, sucht dieser überall die Öffnung nach außen. So viel Asymme­trie, die sich auch im Mobiliar der beiden Cafés auf der gemeinsamen Esplanade zeigt, kann das Palais de Tokyo mit seinen bombastischen Flachreliefs indess verkraften. Zusammen mit der Cité de l’Architecture et du Patrimoine im nahe gele­genen Palais Chaillot und dem Museum des Quai Branly direkt gegenüber entsteht im Pariser Westen ein neues Museumsufer, das jetzt dringend nach einer Verkehrsberuhigung auf dem Boulevard unten am Quai verlangt. 



Fakten
Architekten Lacaton Vassal, Paris
Adresse 13 Avenue Prés Wilson, 75116 Paris, Frankreich


aus Bauwelt 43.2012
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