Bauwelt

Mehrzweckhalle


Die Schönheit der Haustechnik


Text: Mulazzani, Marco, Venedig


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    Foto: João Morgado

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Eine portugiesische Version des Centre Pompidou? Eduardo Souto de Moura beschreibt seine Mehrzweckhalle in Viana do Castelo mit einfachen Worten: Sie sei ein Tisch, auf den alles gestellt wurde, was das Gebäude braucht.
Den Auftrag für die Mehrzweckhalle in Viana do Castelo verdankt Eduardo Souto de Moura, wie er in einer öffentlichen Gesprächsrunde in Mantua Oktober 2013 ausführte, der Großzügigkeit Fernando Távoras. Távora war mit den Planungen für den Uferbereich der Stadt im Mündungsgebiet des Flusses Lima in den Atlantik beauftragt worden. Mit seinem Büro entwickelte er die „Praça da Liberdade“, einen zentralen Platz mit dem Denkmal für die Nelkenrevolution vom 25. April 1974, und die zwei flachen Gebäude für Handel und Gewerbe, die diesen rahmen. Den Bau der Bibliothek und der Mehrzweckhalle, die heute im Osten und im Westen die neue Stadtfront am Lima komplettieren, vertraute er Álvaro Siza und Souto
de Moura an. Der Plan Távoras definiert die Beziehungen der neuen Bauten und der Grünbereiche zum Rand der Altstadt im Norden und zur Mündungslandschaft des Flusses (und zum Hafen) im Süden. Der Platz und die beiden Gebäude inszenieren die Hauptstraße, die das Zentrum von Viana in Nord-Süd-Richtung durchquert. Es entsteht eine ideelle Achse zwischen dem Fluss und dem Hügel Santa Luzia. Die Bibliothek von Siza erstreckt sich nach Osten und bildet einen Übergang zum Jardim da Marina, der entlang der Küste verläuft. Die Halle von Suoto de Moura fungiert als gebauter, aber „transparenter“ Hintergrund für das System der offenen Räume im Norden und im Westen der Anlage. Hier, in Sichtweite zum Neubau, liegt am Kai des alten Hafenbeckens die „Gil Eannes“, von 1955 bis 1973 das Leitschiff der portugiesischen Fischereiflotte im Nordatlantik. Es war in Viana do Castelo vom Stapel gelaufen und ist nun endlich als Museumsschiff heimgekehrt.
Horizontal und durchlässig
Der Anforderung, die visuelle Verbindung zwischen dem Fluss und der Stadt nicht zu zerstören, wird von Siza durch das Aufständern der Bibliothek auf zwei L-förmige Scheiben entsprochen. Souto de Moura hingegen verglast das Erdgeschoss nahezu vollständig. Die neue Stadtansicht wird als Gesamtheit wahrgenommen. Mit den beiden Gebäuden haben die Autoren ihre Handschrift in funktioneller und architektonischer Hinsicht hinterlassen und sich dennoch in den Willen des einheitlichen Planes gefügt.
Souta de Moura hat den Übergang zwischen städtebaulichem und architektonischem Maßstab brillant gelöst. Das architektonische Bild der Halle wird bestimmt von der unerwarteten Krönung der Konstruktion, den fortlaufenden Kringeln der Röhren der haustechnischen Anlagen, die, an die Außenseiten des Gebäudes gebracht und sichtbar gelassen, dessen horizontale Ausrichtung verstärken.
Ein Tisch auf vier Beinen
In dem eingangs genannten Gespräch erinnerte Souto de Moura mit Zuneigung und nicht ohne Selbstironie an die Worte von Távora, der in der berühmten „Schule von Porto“, der Escuela de Superior de Belas Artes, sein Professor war: „Von einer Mehrzweckhalle weiß man nicht genau, was es ist, deshalb soll sie Eduardo bauen, der ist der jüngste und versteht wahrscheinlich, wie man soetwas machen muss.“ Er beschrieb das Zaudern vor dem Zeichnen seines Gebäudes, das neben denen seiner „Meister“ bestehen sollte, die allmähliche Annäherung an die Fragestellungen, die das Projekt aufwarf – vor allem an die Frage, welches die „seelische Haltung“ des Gebäudes sein könnte. Die Halle musste zwei Bedingungen erfüllen: eine äußere, nämlich die maximal mögliche Höhe von zwei Geschossen, und eine innere, die in der für Sportveranstaltungen nötigen Höhe von mindestens zwölf Metern lagen. Könnte sie am Boden kleben (wie eine Kröte) und dennoch großzügig Raum enthalten (wie jener unter dem Bauch einer Giraffe, die sich mit gespreizten Vorderbeinen zum Wasser beugt)? Das konstruktive Schema, das er aus diesem Vergleich entwickelte, der niedrige Tisch auf vier Beinen, wird bereichert von am Ort gefundenen Bezügen: die Eiffel-Brücke von 1878, die mit ihrem mächtigen grünen Fachwerkträger über den Lima spannt, und die „Gil Eannes“ – beides Bilder, die einen entscheidenden Beitrag zum Lösungsansatz für die funktionellen, konstruktiven und formalen Anforderungen des Pavillons lieferten.
Das verkleidete Gustave-Eiffel-Zitat
Ein kräftiger Fachwerkträger aus Stahl läuft in drei Metern Höhe rund um das Gebäude und funktioniert tatsächlich wie eine Brücke: Er befreit das Erdgeschoss, indem er die Auflagerkräfte konzentriert über die Ecken ableitet; er trägt die Metallstruktur des Daches und erlaubt zusätzliche Kragflächen auf beiden Seiten, sowohl innen für Tribünen und Balkone als auch außen, wo sich die gebäudetechnischen Anlagen befinden. Paradoxerweise aber – oder vielleicht auch nicht, wenn man die gewinnbringend doppeldeutige Haltung von Souto de Moura zur „Wahrhaftigkeit“ der Konstruktion berücksichtigt – wird die „stählerne Seele“ der Halle fast vollständig verborgen. Die Stützen sind mit Stahlbeton verkleidet, die horizontalen Auskragungen verschwinden hinter abgehängten Betondecken, und schließlich ist, mit prägenden Konsequenzen für die Außenansicht, die gesamte Höhe der Gitterträger nahezu völlig verdeckt durch die „Haut“ aus den Apparaten und den Röhren der Lüftungsanlage, die die metallische Landschaft der Brücke und der Masten auf dem Deck der „Gil Eannes“ von oben aus „bewachen“.
Das Tragsystem erlaubt es, den stützenfreien Innenraum der Halle in völliger Freiheit zu gestalten und ein Tiefgeschoss auf der gesamten Fläche zu graben, an dessen Außenseiten sich die notwendigen Nebenräume und in dessen Zentrum sich die Halle für Sport und andere Veranstaltungen befinden. Die Tribünen für das Publikum sind an zwei Seiten angeordnet und reichen bis auf die Ebene des Erdgeschosses. Auf diesem Niveau befinden sich die wenigen „undurchsichtigen“ Elemente wie Treppen, Aufzug und Sanitärbereiche. Sie nehmen zugleich die vertikalen Elemente der Gebäudetechnik auf. Sie sind in der Nähe der „massiven Teile“ angeordnet, an den als Scheiben gestalteten Eckstützen, sodass die langen Glaswände, die den Raum umschließen, eine völlige Transparenz herstellen können. Es entsteht ein Panoramabereich, von dem aus man nach allen vier Seiten die umliegenden vielfältigen Landschaften aufnehmen kann. Da ist die Stadt mit Häusern und Straßen, das ist der Hafen mit dem Kai, an dem Schiffe an- und ablegen; Menschen gehen vorbei oder verweilen – eine Szenerie, die die Worte Távoras illustriert, Souto de Moura sei fähig, eine Architektur zu schaffen, die viele verschiedene „Funktionen“ aufnehmen könne.
Übersetzung aus dem Italienischen: Iris Lüttgert



Fakten
Architekten Souto de Moura, Eduardo, Porto
Adresse Navio Gil Eannes Doca Comercial 4900-405 Viana do Castelo Portugal


aus Bauwelt 10.2014
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