Bauwelt

Krankenhaus


Die Methode Lelé


Text: Farias, Bruno Fialho, Stuttgart; Netsch, Stefan, Stuttgart


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Der Architekt João Filgueiras Lima erarbeitete in den letzten Jahrzehnten eine Methode, nach der mit rationeller Planung einfache, funktional optimierte und kostengünstige Krankenhäuser in Brasilien gebaut wurden. Sein Büro besteht noch immer. Gibt es Hoffnungen, dass seine Ideen weiterentwickelt werden?
Viele Brasilianer sind unzufrieden mit der Entwicklung des Landes. Verursacht durch Korruption, politische Profilierungssucht und ausufernde Investitionen für die sportlichen Groß­ereignisse fehlt es im Land an grundlegender Versorgung. Sowohl die technische als auch die soziale Infrastruktur sind seit Jahrzehnten vernachlässigt worden. Außerdem mangelt es an finanziellen Mitteln, landesweit den Grundbedürfnissen der
Bevölkerung im Bereich des Gesundheitswesens gerecht zu werden.
Der Architekt João Filgueiras Lima bietet einen bescheidenen Lösungsansatz an. Seit Jahrzehnten zielt seine Arbeit darauf ab, die Lebensverhältnisse im Bereich der medizinischen, sozialen und technischen Infrastruktur zu verbessern. Seine Themen sind Zweckmäßigkeit und Funktionalität, um Klinikbauten zu schaffen, die auf der Basis industrieller Produktion und Planung mit Modulen landesweit errichtet werden können. Beim Bau von mehreren Krankenhäusern hat er eine Methode entwickelt, die seiner Vorstellung nach auch auf öffentliche Bauten mit anderen Nutzungen übertragen werden könnte. Wegweisend für seine Methode ist das Sarah-Kubitschek-Krankenhaus in Salvador da Bahia mit dem dazugehörigen Technologiezentrum (CTRS).
Der Architekt
João Filgueiras Lima wurde 1932 in Rio de Janeiro geboren, verbrachte aber den größten Teil seines beruflichen Lebens in Salvador da Bahia. Schon in Rio erhielt er seinen Spitznamen Lelé, der auf einen Fußballspieler des Vereins von Rio Vasco da Gama zurückgeht. Nach dem Besuch einer Militärschule kam er mehr durch Zufall zur Architektur. Aufgrund seiner guten Zeichen- und Darstellungsfähigkeiten entschloss er sich zur Teilnahme an der Aufnahmeprüfung an der ehemaligen Escola Nacional de Belas Artes, der heutigen Universidade Federal do Rio de Janeiro. Sei Studium dort schloss er 1957 ab. Der Bau der neuen Hauptstadt Brasília war sein Einstieg in die Praxis und zugleich auch der Beginn seiner Zusammenarbeit mit Oscar Niemeyer.
 Der enorme Zeitdruck bei der Realisierung der Hauptstadt machte schnelle Entscheidungen notwendig. Deswegen wurde nach Wegen und Lösungen gesucht, das Bauen effi­zienter und kostengünstiger zu gestalten. Von Anfang an nahmen die Materiallieferungen viel Zeit des Bauprozesses in Anspruch. In Zusammenarbeit mit der Universität von Brasília wurden gemeinsam mit Oscar Niemeyer erste Überlegungen angestellt, wie eine Fabrik zur Fertigung von Bauteilen entwickelt werden könnte. Darüber wusste man in Brasilien damals nur sehr wenig. Darcy Ribeiro, der damalige Rektor der Universität, organisierte eine Reise nach Osteuropa. Hier konnte Lelé Methoden der Prefabrikation studieren. Das ursprüngliche Projekt des Baus einer solchen Fabrik in Brasília wurde dann aber nicht umgesetzt, allerdings entwickelte Lelé nach weiteren Europa-Reisen einen technischen Perfektionismus in der industriellen Herstellung von Bauteilen, die er dem lokalen Klima angepasste. Er konzentrierte sich nicht nur auf den Bau an sich, sondern erarbeitete eine Methode, die die Gesamtheit der Prozesse bis hin zur Fertigstellung des Gebäudes optimierte. Die berufliche Beziehung und die daraus resultierende Freundschaft zu Niemeyer waren für seine weitere Zukunft entscheidend.
Sarah Kubitschek
Es gibt in Brasilien drei Typen von Krankenhäusern, öffentliche, private und die Sarah-Kubitschek-Krankenhäuser. Lelés intensive Auseinandersetzung mit dem Thema erwuchs aus einer persönlichen Erfahrung. 1963 verunglückten er und seine Frau mit dem Auto. Während des zweimonatigen Krankenhausaufenthalts seiner Frau lernte er den Arzt Aloysio Campos da Paz kennen, der Direktor der Orthopädischen Abteilung des Hospitals Distrital von Brasília war. Gemeinsam mit ihm erarbeitete Lelé einen Ansatz, um die komplexen Abläufe in einem Krankenhaus besser zu organisieren und baulich zu gestalten. Aus diesen Überlegungen entwickelte sich in mehreren Etappen das Sarah-Kubitschek-Netzwerk. Des­-sen Krankenhäuser werden vom Staat sparsam finanziert und durch eine NGO (Associação das Pioneiras Sociais) unterstützt und verwaltet. Die APS wurde von Sarah Kubitschek gegründet. Ihr Ehemann Juscelino Kubitschek war von 1956 bis 1961 Präsident Brasiliens.
Das Modell für dieses Netzwerk entwarfen 1976 Lelé, Aloysio und der im Gesundheitsbereich spezialisierte Ökonom und Ingenieur Eduardo Kertesz. In den letzten dreißig Jahren wurden neun Krankenhäuser gebaut. Den Auftakt machte das „Sarah Brasília“, das sich in seiner Architektur und Organisation noch von den später gebauten Häusern des Netzwerkes unterscheidet. Der auffälligste Unterschied liegt darin, dass es noch in mehreren Geschossen organisiert ist und wegen seiner Architektur stärker als Krankenhaus wahrgenommen wird als die späteren Bauten. Im Vordergrund standen für Lelé immer die Themen der industriellen Vorfertigung sowie die natürliche Be- und Entlüftung.
Die Mehrzahl der Krankenhäuser liegt im Nordosten des Landes. Hier herrscht (sub-)tropisches Klima und die gesundheitliche Infrastruktur ist wenig entwickelt. Die Krankenhäuser sind auf die Erkrankung des Stütz- und Bewegungsapparates spezialisiert, deren Ursachen häufig Verkehrsunfälle oder Schussverletzungen sind. Es handelt sich also nicht um Akutkrankenhäuser, sie dienen vor allem der Rehabilitation. Die Häuser können den heute bestehenden Bedarf nicht decken. Die meisten Patienten kommen aus ärmeren Verhältnissen, die Behandlung ist kostenlos und die Wartelisten sind lang. Um möglichst viele Patienten zu betreuen und ihnen auch den Weg zurück in ihr Alltagsleben zu erleichtern, werden neben den stationär zu Behandelnden vor allem Tagespatienten aufgenommen.
Das Konzept und die Architektur aller Krankenhäuser basiert auf dem Zusammenspiel von medizinischer Betreuung und verschiedenen Rehabilitationsanwendungen. Die innere Struktur wird, so weit dies möglich ist, durch natürlich belichtete Räume bestimmt. Diese sind so angeordnet, dass stets ein großzügiger Bezug zum Außenraum besteht.
Für Lelé war zu Beginn auch die Erweiterbarkeit der Häuser eines der Grundprinzipien: „Die Flexibilität ist fundamental, da es immer zu Anpassungen und Veränderungen in der Nutzungsstruktur kommt.“ Beispielhaft sind die verschiedenen Behandlungsräume, die nach seinen Vorstellungen in ei­ner Interaktion zwischen Patienten, Ärzten und anderen Mitarbeitern des Krankenhauses kontinuierlich weiterentwickelt und verbessert werden.
Die Sarah-Krankenhäuser wirken von außen schlicht und durch ihre horizontale Organisation nach europäischen Maßstäben eher wie ein Fabrikgebäude. Man nimmt das Gebäude aufgrund der natürlichen Belichtung, dem Bezug zur umliegenden Natur und der Verwendung unterschiedlicher Farben von innen völlig anders war. In der Mitte befindet sich ein langer Erschließungsbereich, der das Krankenhaus in öffentliche und private Patientenbereiche untergliedert. Es erinnert allerdings in Teilbereichen auch an ein klassisches Krankenhaus mit langen Fluren, Systemdecken und künstlicher Belichtung.
Das Technologiezentrum CTRS
Das Centro de Tecnologia da Rede Sarah Kubitschek (CTRS) ist eine Produktionsstätte sowohl für Bauelemente als auch für die Ausstattung, die in allen Sarah-Krankenhäusern genutzt werden. Seinen Ursprung hat die Fabrik im Jahr 1985, als unter der Regie von Lelé die Fábrica de Equipamentos Comunitários (FAEC) als unabhängige Vorfertigungs-Großwerkstatt für Bauteile gegründet wurde.
Motivation für die Gründung des FAEC war Lelés alter Wunsch, die industrialisierte Vorfertigung von Bauteilen weiter voranzutreiben. Die Fabrik sollte fähig sein, Bauelemente für beispielsweise Schulen oder andere öffentliche Bauten zu günstigen Konditionen und in kürzester Zeit herzustellen. Trotz seiner Leistungsfähigkeit wurde das Werk aufgrund politischer Unstimmigkeiten bereits nach drei Jahren wieder geschlossen. Es stellte für Lelé aber die Basis zur Weiterentwicklung des Technologiezentrums CTRS dar, das sich auf den Bau und die Unterhaltung von Krankenhäusern spezialisierte. Den ersten praktischen Einsatz fand das CTRS beim Bau des Sarah-Krankenhauses in Salvador, das 1992 nach sechsjähriger Planungszeit realisiert wurde.
Das Krankenhaus wurde auf einer Fläche von 25 Hektar in unmittelbarer Nachbarschaft zum Technologiezentrum CTRS errichtet und ist von den Bewohnern der umliegenden Stadtquartiere ohne großen Aufwand zu erreichen. Bei der Planung des gesamten Gebäudekomplexes spielte die topografische Situation eine wichtige Rolle. Das Grundstück ist in zwei Ebenen unterteilt. Auf der unteren Ebene liegt das CTRS, auf dem höher gelegenen Plateau, teilweise von den Resten eines Regenwaldes umgeben und durch diesen geschützt, das Sarah-Krankenhaus. Beide Bereiche werden durch einen Schrägaufzug miteinander verbunden. Für den Transport der Patienten sind auf dem ausgedehnten Areal speziell konzipierte Busse eingesetzt.
Lelés Ansatz, auf Klimaanlagen weitgehend zu verzichten, hat mehrere Gründe. Zum einen können in dieser Klimaregion mit solchen Anlagen leicht auch Bakterien im Gebäude verteilt werden, und zum anderen stellt die mechanische Kühlung langfristig einen erheblichen Kosten- und Wartungsfaktor dar. Lelé entwickelte daher ein Belüftungssystem, das auf natürlicher Ventilation basiert und dabei die topografische Situation nutzt. Es ist so ausgerichtet, dass das Gebäude möglichst viele „Angriffsflächen“ bietet. In den offenen Galerien wird der auftreffende Luftzug mit einem feinen Wasserdampf abgekühlt und durch Rohre, die direkt in den Wänden oder Stützen im Abstand von 2,50 Metern verlegt sind, durch das Gebäude geleitet. Die warme Luft wird aus dem Gebäude über Sheddächer, die auch der Belichtung dienen, abgeführt. Durch den konstanten Luftaustausch ist eine Klimaanlagen nur in wenigen Behandlungsräumen notwendig. Ergänzt wird die Lüftungsanlage durch eine meist offene und transparente Fassade, die für eine kontinuierliche Durchlüftung sorgt. Das Gesamtsystem ist allerdings anfällig. Für die Abkühlung wird Wasser benötigt. Hierfür sammelt man Regenwasser. In längere Trockenperioden können sich diese Reserven erschöpfen, was die Wirksamkeit der Belüftungstechnik beeinträchtigt.
Einen der Schwachpunkte in der brasilianischen Baubranche stellt für Lelé die technische Abhängigkeit vom Ausland dar. Traditionell kauft man die Technik außerhalb des Landes und implementiert diese. Es fehlt an eigenen Inno­vationen. Hinzu kommt, dass der Ausbau von Forschung und Entwicklung im Land dringend auch notwendig wäre, um Ausbildungsplätze und Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. In Lelès Verständnis ist das CTRS ein Ort, der diese Aufgaben übernehmen könnte und Bauteile, Behandlungsgeräte und Ausstattungsgegenstände entwickelt und herstellt, die über den Bedarf der Sarah-Krankenhäuser hinausgehen.
Im CTRS werden zurzeit aber nur Patientenbetten, Schiebewägen und beheizte Wägen für die Essensausgabe in Serie hergestellt oder gewartet. Insgesamt 300 Arbeitsplätze gibt es hier. Immerhin ist das CTRS zugleich auch ein Ausbildungsbetrieb, der jüngeren Menschen eine Perspektive gibt. Der Ausbildungsgedanke ist Lelé besonders wichtig, ihm geht es auch darum, die Gesamtsituation der Bevölkerung zu verbessern.
Ein besonderes Beispiel für die Entwicklungsarbeit des CTRS ist das Krankenbett Cama-Maca. Jeder Patient erhält bei der Einlieferung ein auf ihn abgestimmtes Bett. Es erleichtert durch seine hohe Flexibilität sowohl die Arbeit der Pflegenden, als auch die Mobilität des Patienten, falls er das Bett nicht verlassen kann. Mit dem Cama-Maca kann jeder Ort auf dem Klinikgelände erreicht werden, auch die Außenanlagen. Es wird kontinuierlich mit dem Pflegepersonal und den Ärzten weiterentwickelt und verfügt mittlerweile über eine elektrische Bedienung.
Keine Zukunft
Gegenwärtig wird kein weiteres Sarah-Krankenhaus geplant, obwohl der Bedarf sicher vorhanden ist. Als letztes in der Reihe wurde 2002 das Sarah Rede in Rio de Janeiro eröffnet. Ohne ein gut strukturiertes Gesamtkonzept der Regierung im Bereich des Krankenhausbaus für das ganze Land ist eine Weiterentwicklung nicht zu erwarten.
Die von Lelé enwickelte Konzeption für das Krankenhaus-Netzwerk zeigt deutlich, welchen Anforderungen sich Architekten dabei stellen müssen: Ergebnis muss ein hochfunktionaler Gebäudetyp sein, der, beginnend von der Herstellung bestimmter Baumaterialien, bis zur langfristigen, von Flexibilität bestimmten Nutzung durchdacht ist. Die Entwicklung eines rationellen, übertragbaren Bausystems, mit dem man auf finanzielle Zwänge, infrastrukturelle Hindernisse und die klimatische Situation reagieren kann, ließen ihn als Architekten stets die Zusammenarbeit mit Ingenieuren suchen. Deutliche Probleme in der Planung be-reiteten ihm die hohen Transportkosten, die aus der zentralen Herstellung in dem Werk am Standort Salvador resultieren. Lelés Büro, heute unter der Leitung seiner Tochter, arbeitet weiter an ganz unterschiedlichen Konzepten der industriellen Vorfertigung.
Es stellt sich die Frage, warum die Methode Lelés so wenig Beachtung findet und nicht adaptiert wird. Ein Grund liegt sicher darin, dass die Politik und die öffentliche Verwaltung andere Schwerpunkte setzen. Doch die Politik muss sich wieder mehr mit den konkreten Bedürfnissen der Bevölkerung befassen. Es ist zu erwarten, dass diese ihre Forderungen sehr deutlich stellen wird, wenn die ganze Welt im Sommer dieses Jahres für einen Monat auf Brasilien blicken wird.



Fakten
Architekten Lima, João Filgueiras, Rio de Janeiro
Adresse Hospital Sarah Kubitschek Stiep, Salvador - BA ‎


aus Bauwelt 5.2014
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