Bauwelt

Kontrolliertes Spektakel


Zentrum für Virtuelles Engineering


Text: Baus, Ursula, Stuttgart


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    Foto: Christian Richters

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In Stuttgart ist das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation erweitert worden. Das neue Gebäude von  UNStudio und ASPlan könnte man als kontrolliertes Spektakel bezeichnen. Die Nutzer waren an der Entwicklung eng beteiligt und sind selbst Gegenstand der Forschung.
Seit Mitte der 1950er Jahre wächst der Universitätscampus im Stuttgarter Stadtteil Vaihingen kontinuierlich. Das Niveau der Architektur, die im Zuge der Erweiterung über die Jahre hier entstand, ist bemerkenswert hoch. Genannt seien nur Frei Ottos Institut für Leichte Flächentragwerke (1964), Günther Behnischs Hysolar-Institut (1987) sowie exzellente Bauten des Universitätsbauamtes von Friedrich Wagner. Auch hochwer­tiger, experimenteller Studentenwohnungsbau und elegante Brücken sind dabei – von einem städtischen Charakter möchte man auf dem Campus jedoch nicht reden. Ringstraßen erschließen das Areal, und Gebäude, die entlang dieser Trassen stehen, ziehen per se besondere Aufmerksamkeit auf sich – so wie seit kurzem das Zentrum für Virtuelles Engineering (ZVE) an der Ecke Allmandring und Nobelstraße.
ASPlan und UNStudio
In Vaihingen sind die technischen Universitätsinstitute und industrienahe Einrichtungen angesiedelt, zu denen das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) gehört. Eines seiner Institute, das ZVE, erforscht Arbeitsplatzqualitäten – eigentlich ein klassisches Metier von Architekten, das beim ZVE allerdings auf Teufel komm raus digitalisiert wird. Das Projekt des ZVE heißt „Morgenstadt“.
Bei der offiziellen Eröffnung des Neubaus Ende Juni schwirrten die Anglizismen nur so durch die Luft: Digital Mock-up, Line-Balancing, Visual Planning, Digital Factory, Manufacturing and Product – dabei geht es lediglich darum, von der Idee bis zur Ausführung alles mit dem Computer zu machen. Der Neubau wird als „Forschungslabor für Arbeitswelten in der Wissensgesellschaft“ genutzt, und der Verdacht, dass vergleichsweise einfache Dinge kompliziert ausgedrückt werden, lässt sich nicht ganz ausräumen. Schließlich rechtfertigt sich das ZVE damit, komplexe Probleme, die angeblich nicht mehr mit üblichen Planungsmethoden und -instrumenten gelöst werden können, dank Digitalisierung in den Griff zu bekommen (siehe Interview auf Seite 22). Auch Marketingvokabeln wie zum Beispiel „innovativ“ lassen sich in dieser Branche offenbar nicht vermeiden.
Zunächst ging der Planungsauftrag an das in Kaiserslautern ansässige Büro ASPlan. Dort arbeiten erfahrene Labor- und Hochschulbauarchitekten, die sich gegen die Konkurrenz nicht mit einem Entwurf, sondern mit ihrer Kompetenz durchzusetzen wussten. Erst auf Wunsch des Bauherrn Fraunhofer-Gesellschaft, dem etwas Extravagantes à la Mercedes-Benz-Museum vorschwebte, tat sich ASPlan mit UNStudio aus Rotterdam zusammen. Die gemeinsame Arbeit habe aber, so wird glaubhaft versichert, viel Freude gemacht. Man traf sich zu Workshops in Kaiserslautern, legte sich dieselben Programme zu und lieferte schließlich ein Computer-3D-Modell des neuen Entwurfs als Grundlage aller weiteren Planungen ab.
Arbeiten als Selbstversuch
Beim Neubau des ZVE sollten Laborbereiche, Büros unterschiedlicher Struktur und Größe sowie Kommunikationsbereiche (Meetingzonen und Orte für informelle Kommunikation) so geschickt angeordnet werden, dass eine trefflich funk­tionierende, angenehme, „kreativitätsfördernde“ Arbeitsatmos­phäre entsteht. Man fragt sich natürlich, um welche Arbeitswelten es überhaupt geht. Bemerkenswert sind die bereits angesprochenen Anglizismen, aber auch andere Sprach- oder Ausdrucksmerkwürdigkeiten, mit denen „die Fraunhofer“ sich und ihr Forschungsfeld vom vermeintlichen Arbeitsplatzstandard zu distanzieren suchen. Man lässt sich hier nichts ein­fallen, sondern „generiert Ideen“; Arbeitsessen laufen unter „Meet & Eat“, und die dafür vorgesehen Orte heißen im Neubau „American BBQ“ und „Snackbar“, im Altbau „Fränkische Schlachtschüssel“, „Hacienda Mexicana“, „Asia Wok“, „Taverna Mediterranea“, „Zum Maultäschle“ und „Friesische Fisk Stov“. Das sind deutliche Indizien dafür, dass es um die Arbeitswelten des global vernetzten Business geht, um die Global Player unterschiedlicher Wissensbereiche. Selbstverständlich spielen neue Kommunikationstechniken hier eine Rolle – man kon­feriert mit Kollegen, die gerade in Dubai, Honolulu, Paris oder Shanghai weilen. Sie in Lebensgröße medial beim Meeting da­bei zu haben, wird als Gewinn angesehen. Für derlei Arbeitswelten sollte das ZVE also nachgerade modellhaft gebaut werden – eine Herausforderung.
Die Architektur
An Ort und Stelle, an der Nobelstraße, sieht man im Ergebnis viel Gutes: Ausgezeichnet ist der Anschluss an den Bestandsbau des IAO gelöst, dessen Baukörperproportion und Fassadengliederung aufgenommen worden sind. Den leicht ansteigenden Zugang zum Neubau inszenierten die Architekten in einer einladenden, flachen Kurve, und gleich hinter der Drehtür empfängt das haushohe Foyer mit einer Treppenskulptur, die den Raum weder wirr durchkreuzt, noch monoton erschließt. Vielmehr windet sie sich schlangenartig elegant nach oben und nimmt der Vertikalbewegung allen Anschein des Mühsamen. Die Treppe verbindet alle leicht versetzten Ebenen, von denen man kreuz und quer durchs Haus schauen kann – transparente Geländer und Glaswände machen es möglich. Farbe leuchtet dezent nur an den Treppensteigen oder in der Einrichtung auf.
Die Zuordnung, Erreichbarkeit und Verschränkung aller Raumzonen erschließt sich im ZVE unmittelbar und einfach – besser könnte es kaum sein. In den vielfältigen Blickbezügen fühlt man sich gelegentlich an Herman Hertzbergers Centraal Beheer erinnert, hatte er doch in Apeldoorn 1968–1972 eine damals völlig neue, kommunikationsbetonte, offene Arbeitswelt geschaffen, die Schule machte und in anderen Bauaufgaben wieder auftauchte. Nicht zuletzt zeichnet sich UNStudios nahe gelegenes Mercedes-Benz-Museum durch schöne Blickbe­­züge von einer Ebene zur anderen aus, aber mit einer so komplexen Geometrie wie dort hatte man hier in Vaihingen nur teilweise zu kämpfen: beim Fertigen der Treppe und der Fassade, wo zweiachsig gekrümmte Rohbauflächen auszuschreiben waren. Nun sind derartig geformte Flächen in der Architekturgeschichte nichts Neues, aber in den modernen Baupro­-
duktionsprozessen noch immer selten und aufwendig. Im Inneren des ZVE hat sich der digitale Aufwand räumlich sehr gelohnt. Bei der Fassade gelang es immerhin, Flächen zu minimieren. Im äußeren Erscheinungsbild manifestiert sich diese Anstrengung ohne großes Spektakel, was für die Qualität der Architektur spricht.
Weiß dominiert im hellen Interieur, wo zwischen dem Einzel-, Doppel- und Großbüro alles zu finden ist, wonach man als Mitarbeiter begehren kann. Der Übergang von Räumen für die individuelle konzentrierte Arbeit bis zu Smalltalk-­Ecken mit gehobenem, marktüblichen Mobiliar sowie vereinzelten Sondereinbauten gelingt mühelos. Sitzgruppen und Polstermöbelecken lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass eine lockere Atmosphäre heutzutage fester Bestandteil solcher Arbeitswelten sein muss, die rund um den Globus ähnlich aussehen.
Das ZVE ist gebäudetechnisch ambitioniert ausgestattet. Es erhielt ein DGNB-Zertifikat in Gold. Betonkernaktivierung, leichte Hohlkörperdecken (mit luftgefüllten Kunststoffkugeln), Geothermie (11 Erdwärmesonden bis 170 Meter Bohrtiefe), ein ausgewogenes Lüftungskonzept und schließlich eine Fassade mit integrierter Lüftungs- und Klimatechnik, gut regulierbarem Sonnenschutz und leistungsfähiger Steuerung des Ganzen – dergleichen wird zum Standard für Neubauten werden. Den Charakter einer Architektur-Ikone wird man dem ZVE, im Unterschied zu seinen prominenten Nachbarn auf dem Campus, dem Institut für Leichte Flächentragwerken oder dem Hysolar-Institut, kaum bescheinigen können. Aber die Innenwelt des ZVE lässt wenig Wünsche offen, und darauf kam es an.



Fakten
Architekten UNStudio, Rotterdam; ASPlan, Kaiserslautern
Adresse Nobelstr. 12, 70569 Stuttgart


aus Bauwelt 30.2012
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