Bauwelt

Klinik


Im Wechselspiel des Lichts


Text: Lamarre, François, Paris


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    Michel Denancé

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Im Rahmen des großen Krankenhaus-Programms in Frankreich sind bereits zahlreiche Neubauten entstanden. Die Architekten Brunet Saunier haben für ihre Kliniken das Monospace-Konzept entwickelt. Wie bei ihrem zurzeit wichtigsten Bau für Douai entwerfen sie große kompakte Einheiten mit, so weit möglich, flexiblen Nutzungsmöglichkeiten.
Die Klinikversorgung in Frankreich wird derzeit von Grund auf umstrukturiert. Die Überalterung der bestehenden Bauten, neue Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit und an Hygienestandards führen zu einer Neukonzeption der gesamten Infrastruktur. Dabei geht es zunächst darum, eine kritische Größe zu erreichen und die entscheidenden Standorte für die jeweiligen Ballungsräume zu ermitteln. Im Zuge dieser Maßnahmen entstand der neue Krankenhaus-Typus MCO (médecine, chirurgie obstétrique), der Innere Medizin, Chirurgie und Geburtshilfe zusammenfasst – bisher war die Abteilung Geburtshilfe in getrennten Einrichtungen ausgelagert gewesen. Die Anforderungen eines medizinisch und wirtschaftlich sinn­voll geführten Betriebs setzt für die neuen Häuser eine Kapazität von mindestens 300 Betten voraus, in den Ballungsräumen zumeist doppelt so viel.
Gut zehn Jahre nach der Reha-Klinik für Kinder in Palavas-les-Flots bei Montpellier (Bauwelt 40–41.1999) hat das Architekturbüro Brunet Saunier in einer Reihe von Wettbewerben bereits viel Erfahrung auf dem Gebiet Krankenhausbau gesammelt. Neben einem regionalen Reha-Zentrum in Nancy (Bauwelt 3.2008) realisierte es große Krankenhauskomplexe, u.a. in Cannes. Der Entwurf für Douai formuliert einen neuen konzeptuellen Ansatz, den das Büro seither für Neubauten
in Toulon, Chalon-sur-Saône, Marne-la-Vallée, Belfort-Mont­béliart und am Uniklinikum Genf weiterentwickelt hat.
Der Krankenhauskomplex der Stadt Douai entspricht dem von den Betreibern favorisierten Typus MCO mit einer Kapazität von rund 600 Betten. Es steht am Stadtrand, zwischen zwei von einem Verkehrskreisel abgehen­den Ausfallstraßen. Das alte Klinikgebäude nebenan wurde nach Inbetriebnahme des Neubaus 2009 abgetragen. Zu sehen ist nur noch ein mit Gras bewachsenes Geviert.
Das neue Gebäude – niedriger als der Altbau, dafür aber auf größerer Grundfläche – steht in fast schon nobler Attitüde da. Es handelt sich um eine zentral-symmetrische Komposition. Die Glasfassaden scheinen mit dem Licht zu verschwimmen. Der oft dramatische Himmel Nordfrankreichs mit rei­chem Wolkenspiel vervollständigt das Szenario.
Die weitläufige Landschaft relativiert die imposante Dimension des Blocks: 180 Meter lang, 100 Meter tief und fünf Geschosse hoch. Auf der Mitte der Längsseite ist der Patienten- und Besuchereingang angeordnet, zur einen Seite mündet die Anlieferung in einen tiefer gelegten Hof, auf der anderen ist die Notaufnahme mit einer auf Erdgeschossniveau angedockten Schleuse. Daran schließt der Notfall-Fuhrpark an; verdeckt von der gläsernen Haut, die auch die Garageneinfahrt abdeckt, gleiten die Ambulanzen in das Krankenhaus hinein. Auf der rückwärtigen Seite liegen die Abteilung für Psychiatrie, eine Privatklinik und eine Notstromversorgung sowie ein separater Service-Bau mit Klinikapotheke, Desinfektion und einer Kantine für das Krankenhauspersonal.
Das Krankenhaus von Douai ist das erste „Monospace“ von Brunet Saunier. Die Bezeichnung steht für ein Konzept, das sich flexible Nutzung als oberste Leitidee gesetzt hat. Für Jérôme Brunet ist der Bau ein gigantischer Rubik’s Cube, die Räume also in drei Dimensionen variabel – zumindest in der Theorie, denn technische Versorgungsstränge für die medizini­sche Infrastruktur sind aus nachvollziehbaren ökonomischen Gründen nicht flächendeckend ausgelegt. Die Erfahrung bestätigt, dass medizinische Einrichtungen tiefgreifenden und kontinuierlichen Umstrukturierungen gewachsen sein müssen, andernfalls laufen sie Gefahr, vorzeitig ausrangiert zu wer­den. Derartige Änderungen ergeben sich oft bereits zu Beginn eines Projekts, also in der Entwurfsphase, aber auch während der Bauzeit, einer Periode, die sich zehn Jahre und länger hinziehen kann, ist damit zu rechnen. So theoretisch gedacht es scheinen mag – räumliche Polyvalenz ermöglicht zumindest eine Anpassung des Vorhabens im Entwurf und sogar punktuelle Modifikationen noch während der Bauphase. So wurden in Douai viele Bereiche des Nutzungsprogramms während aller Etappen des Entwurfsprozesses im vorgegebenen Bauvolumen hin und her geschoben (Seite 41), bis bei Baubeginn die Dinge schließlich endgültig festgelegt waren.
Der Monospace präsentiert sich mit zahlreichen Innenhöfen. Dadurch werden mehr als 80 Prozent der Räume mit natürlichem Tageslicht versorgt. Entlang der Gebäudefront verbindet ein groß dimensioniertes Foyer das gesamte Volumen. In die Seitenflügel sind kleinere, auf unterschiedlichen Niveaus ansetzende Patios eingesenkt. Die Flexibilität beruht auf einem tragenden Grundraster von 7,20 Meter Seitenlänge. Die Konstruktion auf den runden Betonpfeilern ermöglicht eine (Neu-)Aufteilung der Ebenen mit einer gleichbleibenden Raumhöhe von 2,70 Metern (bzw. 2,40 Metern in den Fluren), im Zwischenraum der abgehängten Decken sind die Installationsstränge für die medizinischen Versorgungsleitungen und die Technik untergebracht. Dennoch legt die Aufteilung der Abteilungen Form und Funktion der Krankenhausmaschinerie mit ihren spezialisierten Ebenen fest: Notaufnahme und Untersuchungsräume im Erdgeschoss, Verwaltung und Labors im ersten und zweiten Obergeschoss, in den beiden obersten Geschossen die Krankenstationen, darüber schließlich die technische Plattform. Die elf OP-Einheiten mit den angrenzenden technischen Versorgungsräumen in einer Gebäude­ecke sind ein unverrückbarer Fixpunkt in der Aufteilung, der sich – wenn überhaupt – nur mit höchstem Aufwand verlegen ließe. Einer natürlichen Logik folgend grenzen hier die Kreißsäle der Geburtsabteilung unmittelbar an, die Mutter-Kind-Station nimmt den verbleibenden Teil des Geschosses ein.
Bei den Fassaden wurde ausnahmslos das gleiche Baufertigteil verwendet. Die Glashaut an der Außenfassade überzieht komplett die Betonwand und ihre gleichförmigen Öffnungen. Wenn sich die Lichtbrechung der Oberfläche verändert, kann es sein, dass nur eine Öffnung nach innen die Lage eines Fensters verrät. Die doppelte Außenhaut schützt vor Wärmeverlust und Lärmbelastung. Integrierte Jalousien sorgen für die Annehmlichkeit der Patienten. Die in Silberauflage auf das Glas aufgebrachten Ziermuster sollen an den traditionellen, aus Ziegeln gemauerten Bauschmuck der Gegend erinnern. An den Fassaden der Innenhöfe wurde das Glas gegen durchgefärbten Beton eingetauscht. In den großen Patios ist es ein ziegelroter Farbton, in den kleinen Nebenhöfen ein sanftes Perlgrau.
Die gleiche Sorgfalt findet sich bei den technischen Einbauten und beim Finish der Oberflächen. Die Grisaille der Grautöne wird mit einer sanften Farbigkeit gebrochen, mit der öffentliche Zonen, Zimmertüren und Treppenabsätze abgesetzt sind. Die weitläufige Empfangshalle des Foyers wird durch die Farbakzente der gelb lackierten Kioske und die Orangetöne des Kunststoffmobi­liars vor Wänden und abgehängten Decken in Zebrano-Holz­imitat aufgehellt.
 



Fakten
Architekten Brunet Saunier, Paris
aus Bauwelt 26-27.2010

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