Bauwelt

Hörsaalzentrum Heizkraftwerk



Text: Winterhager, Uta, Bonn


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    Foto: Peter Hinschläger

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Das dichte Universitätsviertel im nördlichen Stadtzentrum von Aachen hat nicht mehr viele Lücken aufzuweisen. Doch es ist möglich, der Raumnot an Ort und Stelle zu begegnen: zum Beispiel in einem leerstehenden Zeugnis des fossilen Zeitalters. IParch haben sein Skelett gebrauchen können und die dringend benötigten Hörsäle hinein gestapelt.
In Aachen ist der anhaltende Bauboom der RWTH nicht zu übersehen. Seitdem die Hochschule vor vier Jahren die Exzellenz-Förderung erhalten hat, scheint es, als wolle sie diesen Status auch im Stadtbild darstellen. Institute, Hörsaalgebäude, Bibliotheken – kaum ein Hochschulgebäude in der dicht damit bebauten nördlichen Innenstadt, das nicht wenigstens eine neue Fassade bekommen hat. Selbst die jahrzehntelang halboffiziell als Parkplätze genutzten Restflächen hat man gepflastert und beschildert oder sogar bebaut. Und es wird weiter investiert: Rund 300 Millionen Euro stehen der RWTH, dem größten Arbeitgeber der Stadt, in den nächsten Jahren für Neubau und Sanierung von Lehr- und Forschungsgebäuden zur Verfügung. Der Sanierungsbedarf der über 450 Hochschulgebäude liegt jedoch bei 1,2 Milliarden Euro: Eine Summe, die auch angesichts der 206 Millionen, die dank des Hochschulmodernisierungsprogramms des Landes Nordrhein-Westfalen bis 2012 investiert werden können, nur wenig von ihrem Schrecken verliert.
Insbesondere die Substanz der großen Hörsaalgebäude entspricht kaum noch dem Standard einer Exzellenz-Hochschule. Da zu den nächsten zwei Wintersemestern mit rund 3000 zusätzlichen Studierenden aus den Doppelabiturjahrgängen zu rechnen ist, muss der Bestand aber nicht nur saniert, sondern auch ergänzt werden. Mit ihren technischen Instituten wagt sich die traditionell innerstädtisch verwobene Hochschule aus der Stadt heraus: auf die neu geplanten Campus Melaten und Westbahnhof. Eine Alternative dazu bestand nicht, denn die vorgesehenen 19 „Forschungscluster“ – Zusammenschlüsse von Großinstituten und Industriepartnern – sind sehr flächenintensiv und auf einem Campus effizienter zu betreiben.
Im Zentrum der Stadt hingegen verbleiben die Architekten, die seit 1908 im Reiff-Museum in der Schinkelstraße untergebracht sind. In direkter Nachbarschaft zum „Reiff“, am Templergraben, liegt das Hauptgebäude. Auf dem Eckgrundstück gleich nebenan wurde im Juli 2008 das „Super C“ eröffnet, ein Verwaltungs- und Veranstaltungsbau mit formal gewagter Auskragung: nach Jahren des zweckbetonten Bauens der erste Bau der TH, der mit ganz großer Geste die Bedeutung der Institution in der Stadt zum Ausdruck bringen sollte. Direkt hinter dem „Super C“ besetzte das Heizkraftwerk in der Wüllnerstraße jahrzehntelang einen zentralen Platz in der innerstädtischen Universitätslandschaft, obschon es seine eigentliche Funktion nur für wenige Stunden am Tag erfüllte. In den letzten Jahren haben sich an ihm Architekturstudenten im Freihandzeichenen geübt. Seine Adaption für neue Zwecke war keine leichte Aufgabe – der etwas krude Bau aus den fünfziger Jahren schießt, von seinen Nachbarn dicht bedrängt, fast dreißig Meter in die Höhe.
Die Studienreform erfordert mit den neuen Bachelor- und Masterstudiengängen eine Vielzahl kleinerer Hörsäle und Seminarräume. Für den Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW hat das Aachener Büro IParch verschiedene Umnutzungsstudien für den gesamten Komplex aus Filteranlage, Kesselhaus und Rauchgasentschwefelungsanlage erstellt. Da ein der bestehenden Kubatur entsprechender Neubau an dieser Stelle aus baurechtlichen Gründen nicht realisierbar gewesen wäre, bot sich die Umnutzung der Filteranlage an. Der Turm der Rauchgasentschwefelungsanlage musste wegen seiner geringen Grundfläche abgerissen werden. Im heute noch ursprünglich erhaltenen Kesselhaus findet bis 2015 ein Langzeitversuch der RWTH statt, der den Bestand des Gebäudes bis dahin sichert.
Ein Stahlskelett als Ausgangspunkt
Von der ehemaligen Filteranlage wurde nur das solide Stahltragwerk erhalten. In dieses Skelett integrierten die Architekten zwei Hörsäle mit je 200 Sitzplätzen, zwei Seminarräume und einen Multifunktionsraum. Die Schwierigkeit bestand darin, das Raumprogramm in ein Tragwerk einzupassen, das einst für eine technische Anlage mit ganz anderen Anforderungen konstruiert worden war, was vor allem im Hinblick auf Raumhöhen und Fluchtwege nicht einfach zu lösen war. Um Änderungen am Tragwerk möglichst gering zu halten, wurde das gesamte Projekt im Computer dreidimensional geplant und als begehbares 3D-Modell im Rechenzentrum der Hochschule überprüft. Auch wenn von seiner technischen Vergangenheit nur noch das benachbarte Kesselhaus und das orangerote nächtliche Glühen berichten, trägt der im Oktober 2010 fertiggestellte Bau weiterhin das historische Kürzel HKW.
Das sechsgeschossige Gebäude ist anhand eines Längsschnitts schnell zu verstehen. Die gestapelten Hörsäle und Seminarräume werden an den Kopfenden von zwei Treppenhäusern flankiert. Das Haupttreppenhaus mit Aufzug ließ sich mit seiner Glasfassade zur Wüllnerstraße in das bestehende Tragwerk integrieren, das offene Fluchttreppenhaus hingegen wurde auf der gegenüberliegenden Seite angebaut.
Elaborierter Rohbau
Im Inneren sind die Stützen, Träger und Aussteifungen des Bestandes sichtbar gelassen worden und heben sich mit ihrer neuen weißen Lackierung deutlich von der orange gestrichenen Rückwand ab. Da das HKW immer noch an das Kesselhaus stößt, musste diese Seite komplett geschlossen bleiben. Belichtet werden die Hörsäle und Seminarräume nur von der nach Südosten weisenden Längsseite. Angesichts der Schlucht zwischen HKW und Super C forderten die soeben in die rückseitigen Büros des Super C eingezogenen Hochschulmitarbeiter allerdings sofortigen Sichtschutz für den Neubau. Diesen und den notwendigen Blendschutz für die Innenräume erzeugten die Architekten mit einer im Abstand von sechzig Zentimetern vorgehängten Fassade aus horizontal angeordneten weißen Aluminiumbändern. Vor den Fensteröffnungen der tragenden Außenhaut aus Porenbeton sind die im Regelfall drei Zentimeter breiten Schlitze so aufgeweitet, dass die Räume natürlich belichtet werden können.
Tagsüber vermittelt das mit Nachbarn aus allen Jahrzehnten der Hochschulgeschichte eng umbaute Gebäude einen sauberen, scharfkantigen und „coolen“ Eindruck. Dieser verkehrt sich bei Dunkelheit mit orangeroter Beleuchtung ins Gegenteil, wenn mit der Assoziation von glühenden Kohlen an die Geschichte des Heizkraftwerks erinnert wird. Den Charme des Gebäudes macht aber auch die reduzierte Auswahl der Mate­rialien aus, die, richtig eingesetzt, diesem elaborierten Rohbau eine gewisse Wohnlichkeit verleihen. Doch leider zeigt sich, dass auch in Aachen gespart werden muss – trotz Exzellenz-Status und Studiengebühren. Wenn die Architekten mit der Vorgabe arbeiten müssen, dass nach der Auslobung der billigste Anbieter den Zuschlag bekommt, kann nicht in allen Punkten eine hochwertige Ausführung erwartet werden. Das ist schade, insbesondere bei einer Architektur wie dieser, die auf die Wirkung von Materialien wie Sichtbeton oder geschliffenen Estrich setzt.
Die Studenten scheint das nicht zu stören. Diese Meister im Aufspüren informeller Sitz- und Lagerplätze haben einen neuen Ort gefunden: über den Dächern der Stadt, in orangerotes Licht getaucht und mit unverstelltem Domblick.



Fakten
Architekten IParch, Aachen
Adresse Wüllnerstraße 3, 52062 Aachen


aus Bauwelt 37.2011
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