Bauwelt

Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße



Text: Ballhausen, Nils, Berlin


  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Werner Huthmacher

    • Social Media Items Social Media Items

    Werner Huthmacher

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Werner Huthmacher

    • Social Media Items Social Media Items

    Werner Huthmacher

Von der ehemaligen sowjetischen Geheimdienststadt in Potsdam ist heute kaum noch etwas zu erahnen. Zwischen den aufpolierten Villen sticht ein authentischer Geschichtsspeicher heraus, für den Gerhards & Glückler eine vorzügliche Dauerausstellung gestaltet haben.
Seit der Potsdamer Konferenz 1945 hatte sich in rund hundert requirierten Häusern der Nauener Vorstadt ein geheimer Bezirk etabliert: das „Militärstädtchen Nr. 7“. In dem streng abgeschirmten Areal unweit der Berliner Mauer residierte bis 1990 die Spionageabwehr der sowjetischen Streitkräfte. Im Zen­trum der Anlage befand sich das Untersuchungsgefängnis, ein für diesen Zweck nach und nach umgebautes ehemaliges Wohn- und Verwaltungsgebäude, über das außerhalb des „Städtchens“ kaum etwas bekannt war. Bis Mitte der fünfziger Jahre wurden hier Spionageverdächtige gefangen gehalten und verurteilt, bis in die achtziger Jahre war die Behörde für straffällig gewordene Militärangehörige zuständig. Erst nach Abzug der russischen Truppen 1994 durfte die Zivilgesellschaft das sogenannte „KGB-Gefängnis“ erkunden. Der Alt­eigentümer, die evangelische Kirche, unterstützte Opferverbände und engagierte Bürger dabei, die Besonderheit des Ortes mit Führungen und Ausstellungen in Erinnerung zu rufen. Das marode, mit authentischen Spuren übervolle Gebäude wurde für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht, 2004 unter Denkmalschutz gestellt und 2008 – unter dem Dach der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten – um ein kleines Eingangsgebäude ergänzt (Brune Architekten, München).
Im vergangenen Frühjahr eröffnete im Altbau die Dauerausstellung. „Kein Design“ lautete ein Motto der Ausstellungsarchitekten Carsten Gerhards und Andreas Glückler. Das bedeutet: keine Inszenierung, keine Rekonstruktion. Das Haus spricht vor allem durch seine Substanz, die bis ins kleinste Detail lesbar gemacht wurde. Das gelingt auch deswegen so gut, weil es nicht als Zwangsort gebaut worden ist, sondern als Wohn- und Dienstsitz eines kirchlichen Vereins; diese Ambiguität erzeugt eine besondere Spannung. Die Metamorphose, besser: die Pervertierung des Hauses ist bereits außen ablesbar. Abgeplatzter Putz und andere Bauschäden wurden so dezent ausgebessert, dass die Aufmerksamkeit der Besucher auf die zu Luken vermauerten und vergitterten Fenster gelenkt wird. Überhaupt spielt der Umgang mit den Oberflächen eine entscheidende Rolle. „Kein Design“ bedeutet nicht „ungestaltet“, eher: „unverstellt“. Das betrifft vor allem die diskrete Gestaltung der eingestellten Informationsträger, kombinierbare Module, mal als Tisch, mal als Vitrine, jeweils auf schlanken, leicht ausgestellten Beinen stehend, damit der Fußboden weitgehend frei bleibt; er ist im gesamten Haus ein durchgehender Indikator für den Nutzungswandel der einzelnen Räume: Wurde eine Toilette zur Einzelzelle, blieben die Fliesen dieselben. Auf den Wohnzimmer-Dielen drängten sich später Gefangene.
Die Räume haben eine schonende Reinigung erfahren, im konkreten wie im übertragenen Sinn. Auf manch einen, der hier unter widrigsten Umständen von der stalinistischen Willkürjustiz festgehalten, misshandelt, verurteilt wurde, mag das heutige Ambiente verharmlosend wirken; von dieser Seite gab es nach der Eröffnung heftige Kritik. Ines Reich, die Leiterin der Gedenkstätte, sagt aber zurecht, dass Angst und Schmerz, Hunger oder Gestank individuelle Erfahrungen bleiben, die einem Unbeteiligten kaum nachvollziehbar dargestellt werden können. Die neue Dauerausstellung hat demnach die Gewichtung verändert, von der individuellen zur wissenschaftlich aufgearbeiten Erinnerung, eine Entwicklung, die auch andere Gedenkstätten auf ihrem Weg von der Initiative zur Institution durchlaufen haben. Zeitzeugen-Interviews sind nun in Medienstationen konserviert und können mit Belegen, etwa Einritzungen in den Zellenwänden, geschossübergreifend in Verbindung gebracht werden. Das Haus Leistikowstraße 1 ist ein ebenso sachlicher wie sinnlicher Lernort geworden, es vermag uns für die komplizierten politischen Zusammenhänge des Kalten Kriegs ebenso zu interessieren wie für die persönlichen Schicksale. Verglichen mit der Holocaust-Forschung ist die Phase der Aufarbeitung der Repression in der SBZ/DDR noch relativ kurz. Die neue Adresse des Forschens und Sammelns regt – trotz aller Beklemmung  – zur Wiederkehr an, weil es hier in Zukunft noch vieles zu entdecken gibt. 



Fakten
Architekten Gerhards & Glücker, Berlin
Adresse Leistikowstraße 1, 14469 Potsdam


aus Bauwelt 19.2013
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x

9.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.