Bauwelt

Forschungs- und Besucherzentrum für Meeresschildkröten


Interview mit Fabian Lohrer


Text: Redecke, Sebastian, Berlin


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    Foto: Roland Halbe

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An der Küste des Sultanats Oman hat das Stuttgarter Atelier Lohrer ein Gebäude als Barriere zwischen zwei Hügeln errichtet. Es soll die Grünen Meeresschildkröten an ihren Eiablageplätzen am Strand vor den Touristen schützen.
Herr Lohrer, wie kamen Sie zu diesem Auftrag?

Unser Architekturbüro wurde von meinem Vater Knut Lohrer Ende der siebziger Jahre in Stuttgart gegründet. Wir haben sehr früh auch im Ausland Projekte realisiert – in Österreich, in der Schweiz, in Jordanien, Syrien und Brasilien. Einige dieser Aufträge wurden vom Auswärtigen Amt begleitet. Auf Empfehlung konnten wir dann einen Entwurf für den Neubau des Universitätsmuseums in Muscat, der Hauptstadt des Sultanats Oman, präsentieren. Dieses Projekt wurde leider nicht realisiert. In der Folge erhielt unser Büro aber von der osmanischen Seite verschiedene Berateraufträge für Kultur- und Museumsbauten. Die Erfolge der benachbarten Vereinigten Arabischen Emirate haben auch im Oman Ideen entstehen lassen, den staatlich geförderten Tourismus international interessant zu machen. Durch unsere Beratertätigkeit kamen wir auch zu Direktaufträgen und Teilnahmen an eingeladenen Wettbewerben und konnten mehrere Projekte dann auch realisieren. Dazu gehört der vorliegende Neubau für das „Ras al-Jinz Scientific and Visitors Centre“, den wir in der Entwurfsphase als Berater des Ministeriums geplant haben und in Kooperation mit einem örtlichen Büro ausführten.

Wann begannen Ihre Projekte im Oman?

Im Jahr 2000 erhielten wir den ersten Auftrag vom Ministerium für Tourismus. Wir wurden um einen Entwurf zur Re­vitalisierung und touristischen Neunutzung des teilweise verlassenen Bergdorfes Misfat al-Abree gebeten.

Haben Sie im Oman inzwischen ein Partnerbüro?

Wir haben eher ein Netzwerk von örtlichen Architekten und Ingenieuren, mit denen wir projektbezogen zusammenarbeiten und die mit uns hauptsächlich die Ausschreibung und Bauleitung übernehmen. Seit einiger Zeit haben wir ein eigenes und auch von uns geplantes Ateliergebäude in der Hauptstadt Muscat. Knut Lohrer verbringt momentan viel Zeit im Oman – auch aus Leidenschaft. Ich hingegen bin hauptsächlich in Deutschland tätig. Derzeit befasse mich u.a. mit dem Neubau des Museums für zeitgenössische Kunst – Dieter Kunerth in Ottobeuren/Allgäu und mit dem Umbau des Weinbaumuseums in Stuttgart.

Wo wurde die Ausführungsplanung gemacht?

Der Entwurf und die Regeldetails wurden von uns in Stuttgart bearbeitet. Basierend auf unseren Vorgaben hat der örtliche Projektpartner die Ausführungsplanung fertiggestellt. Im Entwurfsstadium befinden sich zurzeit unter anderem der Neubau des Naturhistorischen Museums in Muscat und mehrere Resorts in unterschiedlichen Regionen des Landes.

Sie haben großes Glück, als deutsches Büro solche Aufträge zu erhalten.

Aufgrund der internationalen Beratertätigkeit und unserer Erfahrungen im Museumsbau und bei Ausstellungsgestaltungen wurden wir weiterempfohlen. Die Tatsache, dass wir seit circa fünfzehn Jahren regelmäßig im Oman präsent sind, hat sicher auch eine Rolle gespielt. Oman ist im Gegensatz zu Dubai, das mit vielen Hochhäusern an einem Ort bebaut ist, ein wenig bebautes und großflächiges Land. Es ist fast so groß wie Deutschland, und es ist reich an kulturellen Ressourcen. Die sollen der Öffentlichkeit in Museen und Besucherzentren zugänglich gemacht werden. Ein Gästehaus im Gebirge ist im Bau. Eine Thermen-Anlage dort ist gerade fertig geworden.

Was war die Bauaufgabe in Ras al-Jinz?

Das Ministerium für Tourismus plante ein Besucherzen­trum in einem ausgewiesenen Naturschutzgebiet am Indischen Ozean. Hier paaren sich die Grünen Meeresschild­kröten (Chelonia mydas) im Wasser. Die Weibchen legen am Strand ihre Eier ab. Die Grüne Meeresschildkröte, auch als Suppenschildkröte bezeichnet, ist akut vom Aussterben bedroht.

Im Zuge unserer Beratertätigkeit haben wir zusammen mit dem Ministerium ein Raumprogramm für die gewünschten unterschiedlichen Funktionen erarbeitet und darauf
basierend den Entwurf angefertigt. Die Anlage bietet neben Ausstellungs- und Informationsräumen, Restaurant, Verwaltungs- und Betriebsräumen auch Übernachtungsmöglichkeiten für Besucher, die das nächtliche Schauspiel der Eiablage und das Schlüpfen der Jungen miterleben wollen. Manchmal sind es sogar mehrere hundert der bis zu 1,40 Meter langen Schildkröten, die ganzjährlich – vor allem in den Sommermonaten – ihre Eier dort ablegen. Es ist nachgewiesen, dass dies seit etwa 6000 Jahren an dieser Bucht geschieht. Bis vor kurzem fuhren hier noch Touristen mit dem Jeep herum, stellten ihre Zelte auf und feierten Partys. Doch Schildkröten lassen sich nicht leicht beirren. Sie kehren stur an den Ort ihrer Geburt zurück. Das hat ihr Überleben jahrtausendelang ge­sichert, heute wird es zur Gefahr. Das Bauwerk ist vor allem ein Bollwerk gegen diese Touristen, die unbeaufsichtigt in die Bucht wollen. Das neue Gebäude steht zwischen zwei Hügeln. Die Zufahrt endet jetzt am 90 Meter langen, riegelartigen Neubau. So kann man nicht mehr ohne Weiteres in die Bucht gelangen. Die Besucher müssen sich im Gebäude anmelden, können dort die Ausstellung „Lebenszyklus der Meeresschildkröte“ anschauen, übernachten und – von einer Begleitperson geführt – in der Nacht den Strand der Schildkröten betreten.

Was sehen die Besucher dort?

Bis zu 30.000 der Grünen Meeresschildkröten kommen jährlich dorthin. Die Tiere hinterlassen auf dem Strandgebiet markante Spuren im Sand. Für die Besucher ist es ein besonderes Spektakel, wenn die großen Reptilien mit ihren Flossen Kuhlen und tiefe Löcher für über 100 Eier graben. Dann fliegt mit lautem Rausch der Sand durch die Luft. Nach der kraftraubenden Eiablage und dem Zuschütten der Kuhlen beginnt der mühsame Weg zurück ins Meer. Nach circa zwei Monaten schlüpfen die Jungen und laufen zum Wasser. Es gibt aber auch Irrläufer. Die Wärter der Besucherzentrums sammeln diese Kleinen auf und päppeln sie in einem Bassin außerhalb des Gebäudes auf, um sie später ins Meer zu bringen. Ursprünglich war ein Bassin hierfür im Rundbaukörper mit Oberlicht in der Mitte unseres Gebäudes geplant. Die Nutzer haben nach Fertigstellung aber entschieden, diesen Raum zum Meeting Point für die nächtlichen Führungen
zu machen.

Was war Ihre Entwurfsidee?


Einerseits sollte der Baukörper ausreichend entfernt zur Küste bzw. zu den Eiablageplätzen der Meeresschildkröten liegen, damit die Tiere nicht gestört werden. Andererseits sollte der Riegel zwischen zwei Hügeln und am Ende der Zufahrtsstraße den Besucherzugang regeln. Die Eingangsfassade zeigt eher ein geschlossenes Gebäude und präsentiert sich mit einer gewissen Dominanz, sodass die Besucher erst einmal innehalten, bevor sie sich an der Rezeption anmelden. Schräggestellte, gebäudehohe Wandscheiben und natürliche Belichtung durch senkrechte Fensterschlitze verhindern, dass die Nachmittagssonne die Räume zu stark erwärmt. Die Architektur- und Formensprache auf der dem Meer zugewandten Seite möchte sowohl mit den bewegten Formen der Küstenlandschaft spielen und soll Nachts jeg­lichen Lichtaustritt aus dem Gebäude verhindern, der die Schildkröten desorientieren könnte.

Wurden Ihnen Vorgaben gemacht?

Da es sich um eine außergewöhnliche Bauaufgabe an einem sensiblen Ort handelt, hatten wir bei der Architektur- und Formensprache freie Hand und mit den zuständigen Behörden keinerlei Probleme.

Welche Aufgabe haben die braunen Gebäudeteile?


In diesen Gebäudeteilen an den beiden äußeren Enden befinden sich die untergeordneten Bereiche wie z. B. die Küche und Technikräume. Die braune Farbgebung dieser Gebäu­deteile sollte sie der Umgebung anpassen, aber nicht ver­bergen.

Stammen die Steinplatten der Fassade aus dem Oman?


Der Sandstein ist aus Indien. Man hat im Oman leicht Zugriff auf günstige Baumaterialien.

Wie sind die Platten verankert?

Die Platten werden mit in Deutschland vergleichbaren Systemen fixiert. Die dämmtechnischen und bauphysikalischen Anforderungen sind nicht so hoch wie bei uns. Frost gibt es keinen. Sorgen bereiten allerdings Termiten. Wir wollten die Schotten und Fassadenelemente auf der Seite zur Küste zunächst aus Furnierschichtholz fertigen lassen. Das war aber nicht gewünscht, da man befürchtete, dass Termiten das Holz wegfressen.

An der Front zum Meer sind bei den Schotten auch weiße Fassadenflächen zu sehen.

Von Anfang an sollte die Fassade zum Meer plastisch gestaltet werden. Die äußere Haut besteht aus einzelnen Fassadenelementen mit Sandsteinverkleidung. Die dahinter liegende Schicht und einzelne hervortretende Schotten sind weiß verputzt. Die an den beiden Enden des Gebäudes liegenden Fluchttreppen sind farblich ebenfalls in weiß gehalten. Es ist ein insgesamt schlichter Baukörper entstanden, der bewusst zwei unterschiedliche Fassaden aufweist – eine sehr lineare und eine etwas spielerische.

Sind Sie mit der Bauausführung zufrieden?

Der Rohbau, besonders der Stahlbeton, wurde gut ausgeführt. Ebenso die Putz- und Malerarbeiten. Auch alle Arten von Natursteinarbeiten wurden in einem festen Zeitrahmen vorbildlich übergeben.

Wie viel Prozent der Gäste kommen aus dem Ausland?

Vor allem bei Engländern, und jetzt auch vermehrt bei Deutschen, ist das Sultanat Oman als Reiseziel beliebt. Auch einige der Dubai-Touristen reisen weiter in den Oman, weil sie vermutlich nach einem Aufenthalt zwischen Hochhäusern auch noch die reale Natur der Region erleben wollen. Zurzeit kommen etwa 80 Prozent der Besucher des „Ras al-Jinz Scientific and Visitors Centre“ aus dem Ausland.

Sind auch Wissenschaftler im Gebäude tätig?


Ja, zeitweise. Ihnen stehen im Gebäude Arbeitsräume zur Verfügung. In der Region finden archäologische Ausgrabungen statt. Eiablageplätze und prähistorische Siedlungen lassen sich über Jahrtausende nachweisen.



Fakten
Architekten Atelier Lohrer, Stuttgart
Adresse Ras AlHadd.PO Box 303,postal code 411, Al Hadd 411, Oman


aus Bauwelt 37.2012
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