Bauwelt

„Die Siebziger stärken...“


Interview mit Bernd Gottenhuemer


Text: Redecke, Sebastian, Berlin; Gottenhuemer, Bernd, München


  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Stefan Müller-Naumann

    • Social Media Items Social Media Items

    Stefan Müller-Naumann

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    • Social Media Items Social Media Items

Der Architekt Bernd Gottenhuemer von Nickl & Partner betreut die Umplanung und Erweiterung des Klinikums der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main: ein Großprojekt in mehreren Bauabschnitten.
Das Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität in den Stadtteilen Frankfurt-Niederrad und Sachsenhausen-Nord erstreckt sich über eine Fläche, die mit 460.00 Quadratmetern so groß ist wie die Frankfurter Altstadt. Im Dezember 2007 hat der Aufsichtsrat des Klinikums die Umsetzung des Masterplans für die Erneuerung des Areals beschlossen. Gegenwärtig läuft die Sanierung des Zentralbaus.
Allein die Bilder von der Entkernung des weiträumigen Sockelgebäudes des Bettenhauses deuten auf den Umfang der Maßnahmen hin, aber auch, welche Probleme dabei zu bewältigen sind. Das Klinikum ist zudem ein gutes Beispiel dafür, wie, von außen kaum sichtbar, sukzessive Veränderungen in einem gewaltigen Volu­men vorgenommen werden – und das über Jahrzehnte hinweg. Nichts scheint hier spektakulär. Die einzelnen Bausteine der Sanierung, der Neubau­ten und des Umbaus zeichnen sich jedoch in ihrer Architektur ab. Schon das neue große Vordach des
Klinikums ist sehr präsent. Die Architekten sprechen von einem „maßstabsvermittelnden Ereignis zwischen Neu und Alt“. Doch nimmt man von der Straßenbahn kommend den Weg der „Mainpromenade“, ist man ganz erfüllt von dem Eindruck eines überdimensionierten Hallenbaus, der zwar die anderen Großbauten einbindet, aber für sich gesehen in dieser Höhe gar nicht erforderlich ist. Auch vom Krankenhaus aus überrascht das Dach zunächst. Es weckt die Erwartung, dass es zu
ei­nem besonderen Ziel hin führt. Dann aber endet das Dach unvermittelt am Kai entlang des Mains. Gegenüber findet sich kein markanter Orientierungspunkt, der eine solche Geste erklären würde. Weitere Bauten sind auf der Rückseite des Bettenhauses geplant. Hierfür soll eine Reihe der Altbauten in gelbem Klinker weichen. Vielleicht findet ja dann die gewaltige Dimension des Dachs eine Erklärung.  SR
 
Was ist der größte Kostenfaktor bei der Sanierung des Bettenhauses aus den siebziger Jahren?

Bernd Gottenhuemer | Die Erneuerung der Fassade des im Betrieb befindlichen Bettenhauses ist schon allein durch die taktweise, langwierige Durchführung und Logistik mit einem hohen Kostenfaktor verbunden. Leider war auch zu Beginn viel Geld notwendig für die Beseitigung von Schadstoffen sowie die Ertüchtigung der bestehen bleibenden Bauteile. Die Renovierung des Ausbaus im Inneren des Gebäudes war dagegen ein eher geringer Posten.
 
Welche gestalterischen Verbesserungen standen im Vordergrund? Wurde den Architekten viel Spielraum gelassen?

Das wesentliche gestalterische Ziel ist es, übersichtliche, helle und freundliche Bereiche zu schaffen, wie bei den Neubauten des Klinikums. Die Bettenhausscheibe hat auch auf Entfernung eine große Dominanz; deshalb standen nicht nur die energetischen Erfordernisse im Vordergrund, sondern auch die Gestaltung. Der Bau ist auch für den Wiedererkennungswert im Zusammenspiel mit dem Campus von größter Bedeutung. Ziel war es, die Charakteristik der siebziger Jahre mit zu stärken, überflüssige und störende Elemente zu entfernen und dennoch die Einheit mit dem neu gestalteten Universitätsklinikum her­zustellen. Trotz der vielen sehr komplexen Nutzungen und der notwendigen Wirtschaftlichkeit sind große Spielräume vorhanden. Neue betriebsorganisatori­sche Entwicklungen, neue Baustoffe und Konstruktionen, aber auch die Wertschätzung der Bauherren für andere Themen, heute vor allem im Bereich der Nachhaltigkeit, eröffnen uns immer wieder neue Möglichkeiten.
 
In welcher Form wurde der Flexibilität hinsichtlich der Raumorganisation bei der Neugestaltung Rechnung getragen?

Die hier vorhandene Bausubstanz aus den Siebzigern ist in ihrer Grundstruktur gut umzugestalten und umzunutzen. Die Trennung der Tragkonstruktion von der Raumumschließung, der Trockenausbau, die zentrale Installationsführung mit zugänglicher Horizontalverteilung sowie die Verwendung komplexer Raster haben sich bewährt. Die Betriebs- und Personalorganisation wird im Krankenhausbau entsprechend dem akuten Bedarf immer flexibler. Neben einer klugen Standardisierung der Raumgrößen und der technischen Ausstattung ermöglichen netzartige Erschließungsstrukturen, die Nutzungseinheiten der Auslastung immer wieder neu anzupassen.
 
Wie wurde die Sanierung und Modernisierung der Gebäudescheibe und des Sockelgebäudes bei laufendem Betrieb organisiert?

Unvermeidbare Belastungen für die Patienten und das Personal werden viel erträglicher, wenn erklärt wird, was gerade passiert, wozu dieses und jenes notwendig ist und wie es weitergehen wird. Neben einzelnen Problemen, hinter denen auch der Bau zurückstehen muss, erleben wir auch ein großes Interesse und eine rege Anteilnahme am Baugeschehen.
Eine detaillierte Phasenplanung mit der Festlegung mög­ lichst übereinanderliegender Baubereiche, ein fester undverbindlicher Abschluss der Baubereiche und die frühzeitige Feststellung der Ver- und Entsorgungswege und -trassen bedeuteten viel Arbeit, auch für die Nutzer. Da es sich um ein Hochhaus handelt, mussten für die Fluchtwege stabile Tunnel errichtet werden, neben und über denen der Bau weiterlief. Dies erschwerte die Bauabläufe erheblich.
 
In welcher Form wurden die Betriebsprozesse optimiert?

Durch die angespannte Finanzlage ist der Anlass für Erneuerungen in der Regel, neue, bessere und vor allem sparsamere Betriebsprozesse zu ermöglichen. Dazu werden die vorher über das Gelände verteilten Abteilungen zusammengefasst. Die Bereiche werden neu zugeordnet und Synergien durch räumliche Zusammenhänge und Überschneidungsbereiche genutzt. Trotz der leichten Umnutzbarkeit werden die Raumstrukturen dabei, in Zusammenarbeit mit den Nutzern und Fachplanern, auf die einzelnen Funktionen maßgeschneidert. Besonders, wie Patienten auf ihrem Untersuchungs- und Behandlungsweg transparent und effizient durch das Klinikum geleitet werden, hat großes Verbesserungspotential. Wichtig ist auch, was sie während auftretender Wartezeiten „erleben“. Unsere Architektur schafft auch in den rück- und danach neu eingebauten Bereichen Erlebnis- und Entspannungsräume.

Wie hat sich die Ökobilanz verbessert?

Durch den Niedrigenergie-Standard der Fassade werden Wärmeverluste stark reduziert. Die Wärmeeinstrahlung und damit die sommerliche Kühlung werden durch verbesserten und starkwindfesten Sonnenschutz verringert. Die techni­schen Anlagen wurden durch neuere, kleinere, flexiblere und effizientere Anlagen ersetzt. Viel Energie gespart werden konnte auch durch differenzierte Diagnostik- und Steuermög­lichkeiten gemäß den aktuellen Anforderungen. Die neuen Kastenfenster ermöglichen eine fluglärmreduzierte manuelle Lüftung bei Nacht. Dies schafft angenehmere Raumtemperaturen bei Tag und reduziert den Kühlungsbedarf. Was die Ökobilanz angeht, können wir hier keine Vergleichszah­len vorlegen, da es noch keine belastbare Evaluation im Bereich der Krankenhausbauten gibt; lediglich der Vergleich „vor“ bzw. „nach“ Sanierung dieses Klinikums kann dargestellt werden. Auch eine Zertifizierung eines Krankenhauses mit Passivhausstandard ist nicht möglich. In jedem Fall werden die hier getroffenen Maßnahmen den Effekt von „Niedrig­energiehausstandard“ erreichen.



Fakten
Architekten Nickl & Partner, München
aus Bauwelt 26-27.2010

0 Kommentare


loading
x

10.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.