Bauwelt

Kolkata River Front

Ein Masterplan zur Wiederbelebung der Flussufers

Text: Das, Partha, Kolkata

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Kolkata River Front

Ein Masterplan zur Wiederbelebung der Flussufers

Text: Das, Partha, Kolkata

Der Hugli fließt zwischen der Metropole Kolkata und der Industriestadt Howrah. Mit dem Rückgang des Güterverkehrs verwahrlosten die Hafenanlagen und blieben lange Zeit einer ungeordneten Verwertung durch private Investoren überlassen. Um die Flussufer wieder für die Stadt nutzbar zu machen, bedarf es einer Neubewertung. Die neue Planung, die erstmals auch Howrah einbezieht, droht jedoch im Sand zu verlaufen, weil die verantwortlichen Politiker nicht langfristig, sondern in Wahl­perioden denken. Der zuständige Planer berichtet
Vielerorts in Indien gibt es Projekte zur Aufwertung von Uferzonen. Das erste dieser Art wurde in Ahmedabad initiiert, wo der Fluss Sabarmati, der früher nur zwei bis drei Monate im Jahr Wasser führte, Gegenstand ehrgeiziger Pläne wurde. Das privatfinanzierte Sabarmati Riverfront Project, 1997 dank wirkungsvoller Lobbyarbeit von Architekten und Planern ins Leben gerufen, wird auf einer Länge von über zehn Kilometern realisiert. Dieses Projekt hat landesweit die Aufmerksamkeit der Planer und Stadtentwickler, aber auch der Öffentlichkeit auf die Beziehung der Städte zu ihren Wasserflächen gelenkt. In Delhi soll der Zustand des Yamuna, der durch die indische Hauptstadt fließt, mit dem „Yamuna Action Plan“ verbessert werden. In Mumbai wurde nicht nur der Strand entlang des Arabischen Meeres aufgewertet, der bis zu den neunziger Jahren noch von Slums und illegalen Nutzungen besetzt war, sondern vor wenigen Jahren auch die Sanierung des drei Kilometer langen Marine Drive abgeschlossen. Auch in kleineren Städten finden zur Zeit im Rahmen des landesweiten Programms zur Stadterneuerung JNNURM (siehe Seite 44) Projekte zur Entwicklung der Flussufer statt.
Auch in Kolkata, wo der Fluss Hugli jahrzehntelang vernachlässigt wurde, hat man jetzt den Handlungsbedarf erkannt. Die Situation in Kolkata unterscheidet sich dabei von der in Delhi oder Ahmedabad, weil der Hugli – bei Kolkata beinahe zwei Kilometer breit – ganzjährig Wasser führt und noch immer als Verkehrsweg benutzt wird. Auf Drängen prominenter Bürger, Architekten und Stadtplaner aus Kolkata und anderen Städten, beschloss die Regierung des Bundesstaates West-Bengalen im Jahr 2005, einen Zustandsbericht über das Hugli-Flussufer anfertigen zu lassen. Dieser wurde durch Spenden aus Großbritannien mitfinanziert, wo ein großes Interesse besteht, an dem Entwicklungsprojekt mitzuwirken.
Die Flächennutzung überdenken
Die Studie umfasst einen sechzig Kilometer langen Abschnitt, das Betrachtungsgebiet erstreckt sich über je einen Kilometer beidseits der Wasserlinie (ausgehend vom Hochwasserpegel). Die ufernahen 500 Meter bilden den Kernbereich der Intervention. Die daran anschließenden 500 Meter zwischen dem Kernbereich und der Stadt sind als Pufferzone konzipiert, in der nur kleinere Veränderungen durchgeführt werden sollen.
Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf der Analyse der Flächennutzung. Sie zeigt, dass das Flächennutzungsmuster der Flussufergebiete willkürlich und wenig kompatibel mit dem benachbarten Geschäftszentrum der Stadt ist. In den meisten Fällen haben die Nutzungen keine Beziehung zum Fluss, ein Erbe von Kolkatas Stadtentwicklung während der Kolonialzeit (siehe Seite 22). Seit dem Niedergang des Güterumschlags am Flussufer wurden die leerstehenden Lagerhäuser und Industrieanlagen zu einer finanziellen Belastung für den Hafenbetreiber Port Trust. Da er die Bauten nicht instand halten kann, verkaufte er so viele wie möglich an zumeist renditeorientierte Projektentwickler. Sie errichteten auf den Flächen unansehnliche Blöcke, die das städtische Gefüge an beiden Flussufern zerstörten. Die heutige Flächennutzung ist durch das ungeordnete Nebeneinander vielfältiger Funktionen gekennzeichnet: Gewerbebetriebe, Dienstleistung, Wohn- und Verwaltungsbauten sowie vereinzelt Industriebetriebe. Die Verkehrsinfrastruktur aus Straßen, Straßenbahntrassen und Busspuren bleibt weit hinter dem Bedarf zurück.
Eine der ersten Empfehlungen der Studie lautete daher, unvereinbare und irrelevante Nutzungen aus dem Kernbereich zu entfernen. Einrichtungen wie Tankstellen, Busbahnhöfe und ähnliches sollen an andere Standorte verlegt werden, während die meist leerstehenden Lagerhäuser und Depots vom Staat aufgekauft und umgenutzt oder durch angemessene, mit dem neuen Plan vereinbare Funktionen ersetzt werden sollen. Empfohlen wird eine gemischt gewerbliche und freizeitorientierte Nutzung. Da die Analyse ein beträchtliches Defizit an Freiflächen ermittelte, sollen Gebäude, die sich nicht für eine Umnutzung eignen, abgerissen werden, um Platz für Strände, Parks und Erholungsflächen zu schaffen. Zusätzliche Flächen sollen durch Hochwasserschutzbauten gewonnen werden. Derzeit wird bei Hochwasser ein großes Gebiet verschlammt und durch angespülten Müll verunstaltet. Beide Flussufer sollen mit harten Rändern entlang dem Niedrigwasserpegel eingedämmt werden, was auch die nutzbaren Flächen vergrößern würde.
Die andere Seite: Howrah
Der Hugli gehört allerdings nicht allein zu Kolkata, sondern auch zu Howrah, der am anderen Ufer gelegenen Stadt. Wie zwei verwaiste, von einander getrennte Geschwister, wurden sie von den Almosen der Behörden hüben und drüben mehr schlecht als recht ausgehalten. Die Ein-Millionen-Stadt Howrah galt jahrhundertelang als Kolkatas industrielle Kehrseite und hat sich in letzter Zeit zu einem Zentrum der Feinmechanik entwickelt. Die Stadt kämpft mit starker Umweltverschmutzung, regelmäßigem Verkehrskollaps und Überbevölkerung. In jenem Teil des Kernbereichs des Sanierungsgebiets, der zu Howrah gehört, befinden sich viele alte Industrieanlagen und leerstehende Lagerhäuser. Zwar fehlt diesem Gebiet die gestalterische Homogenität, die auf der Seite Kolkatas teilweise noch erhalten geblieben ist, doch die Bestandsgebäude sind hier in relativ gutem Zustand und bieten sich zur Umnutzung an.
Eine weitere Besonderheit ist, dass der Bahnhof, an dem die meisten Züge eintreffen, in Howrah liegt. Die Reisenden müssen den Fluss überqueren, um nach Kolkata oder aus der Stadt heraus zu gelangen. Täglich sind so in beide Richtungen mehrere tausend Menschen mit verschiedenen Verkehrsmitteln auf dem Fluss unterwegs. Auf Kolkatas Seite verläuft der Großteil dieses Verkehrs über eine einzige Achse, die „Strand Road“, was einen permanenten Stau entlang des Ufers erzeugt – eine schwierig zu überwindende Barriere. Um das Flussufer von Durchgangsverkehr zu entlasten, wurde der Bau niedriger Brücken über den Fluss empfohlen, die mit einer Ringstraße verbunden werden sollen. Die Howrah-Seite würde so, zum beiderseitigen Vorteil, zu einem Ausläufer von Kolkatas überfülltem Geschäftsviertel. Auf der Kolkata-Seite wiederum könnten Fußgängerbrücken den Zugang zum Uferstreifen erleichtern.
Die Riverfront als politischer Spielball
Im November 2006 wurden die Ergebnisse der Analyse der Regierung vorgestellt. Sie blieben jedoch ohne Konsequenzen. Die Politiker waren lediglich daran interessiert zu erfahren, wieviel von dem jeweiligen Projekt während ihrer Amtszeit umgesetzt werden könne. Das Architekturbüro erhielt keinerlei Rückmeldungen der verschiedenen Interessengruppen, obwohl diese sich verpflichtet hatten, eigene Empfehlungen auszusprechen. 2007 legte das Urban Development Department das Projekt dem zuständigen Minister als Teil eines neuen Strukturplanes für Kolkata vor. Doch wieder wurde nicht gehandelt.
Wozu eine kostspielige Untersuchung in Auftrag geben, um dann die Empfehlungen zu ignorieren und, noch schlimmer, das Vorhaben aufzugeben? Man könnte über die Kurzsichtigkeit der Politiker klagen, die das Potenzial des Projekts nicht erkannt haben, oder über die Apathie der öffentlichen Verwaltung. Doch bei näherer Betrachtung ergibt sich ein anderes Bild. Zwischen Mai 2006 und März 2007 hatten West-Bengalens Behörden teils mit Zwangsmaßnahmen versucht, Land der dörflichen Gemeinden Singur und Nandigram zu erwerben, das für neue Industrieanlagen erschlossen werden sollte. Nach einer Welle der Empörung, die den ganzen Bundesstaat erfasste, scheute die Regierung davor zurück, zeitnah ein derart großes Projekt wie die Ufersanierung in Angriff zu nehmen, da hierfür natürlich auch Land von den unterschiedlichsten Eigentümern erworben werden müsste. Weder der starke Druck der Medien noch die Unterstützung von regierungsunabhängigen Organisationen und der Handelskammer von Bengalen vermochten daran etwas zu ändern.
Große Stadtentwicklungsmaßnahmen hängen weltweit vom Vermögen der Planungsbehörden ab, die von einer Regierung gesetzten Vorgaben für ein Großprojekt zu erfüllen und davon, ob sie die Amtsgewalt über die betroffenen Gebiete ausüben. Überall, wo diese unter der Hoheit von verschiedenen Kommunalverwaltungen stehen, benötigen solche Vorhaben mehr Zeit. Doch in Westbengalen herrschte viele Jahre lang eine politische Kultur, bei der die Planung ans Groteske grenzte. Um ein Projekt erfolgreich durchzukämpfen, hätte man die Maßnahmen in mehrere kleinere Unterprojekte aufteilen müssen, damit sie innerhalb einer Regierungsperiode umgesetzt werden können; oder die Gebiete für die Planung danach auswählen müssen, ob dem örtlichen Stadtrat oder Abgeordneten noch genügend Amtsjahre blieben, um sich das Gelingen der Maßnahme auf die eigene Fahne zu schreiben.
Die Planer zogen daraus die Konsequenz, größere Projekte bis zur Neuwahl der Stadtregierung Kolkatas einzufrieren. Bei der Kommunalwahl 2010 siegte schließlich die Partei Trinamool Congress, die die Nachfolge der Linkskoalition antrat. In ihrem Eifer, den Bewohnern von Kolkata zu beweisen, dass sie es ernst meint, hat die Regierung jetzt der Abteilung für Stadtplanung und Architektur einer örtlichen Universität den Auftrag erteilt, einen neuen Plan für die Uferbereiche vorzubereiten.

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