Bauwelt

Sanierung des Hochhauses C 10 in Darmstadt


Damit die Hochschule Darmstadt ihr markantes Gebäude weiter nutzen konnte, musste es umfassend saniert werden. Nach der Grundinstandsetzung und Erweiterung durch Staab Architekten zieht das Haus große Aufmerksamkeit auf sich, auch dank seines neuen Gewands.


Text: Ballhausen, Nils, Berlin


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    Werner Huthmacher

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Seit dem Wintersemester 2011/12 feiert die Hochschule Darmstadt (HDA) ihren 40. Geburtstag. Das Jubiläum ist, genau genommen, so artifiziell wie das Kürzel der Hochschule: h_da steht oben am Hochhaus C10, dem städtebaulichen Leuchtturm inmitten des disparat wirkenden Campus im Westen der Stadt. Seit im Zuge des „Bologna-Prozesses“ die europäische Universitätslandschaft flurbereinigt wird, verschwinden die gewohnten Diplom-Abschlüsse, dafür hat sich die deutsche Fachhochschule in eine „University of Applied Sciences“ verwandelt. Seit dem Jahr 2006 führt auch die HDA diesen Namenszusatz. Die FH Darmstadt hatte bei ihrer Gründung 1971 bereits eine lange und verzweigte Vorgeschichte. In ihr wurden damals diverse Ingenieur- und Fachschulen fusioniert und ihre Ausbildungsgänge und Abschlüsse damit aufgewertet. Der Campus, früher ein Exerzierplatz, dann ein Gewerbegebiet, erhielt 1965 mit dem prägnanten Hochhaus an der Schöfferstraße ein weithin sichtbares Zeichen der höheren Bildung. Die damalige Staatliche Ingenieurschule für Maschinenwesen bezog das 15-geschossige Forschungs- und Lehrgebäude, das als höchstes Haus der Stadt galt und, wenn der Blick aus dem obersten Geschoss nicht täuscht, dies noch heute ist.Schlauch weg, neuer AufzugDas Verhandlungsverfahren um die umfassende Sanierung des Hochhauses, aus dem Staab Architekten 2007 als Sieger hervorgingen, stand ohne Zweifel auch im Zeichen dieser fortschreitenden Profilierung innerhalb einer veränderten Hochschullandschaft. Das Markenzeichen der Hochschule bedurfte dringend einer Auffrischung, in erster Linie weil der Brandschutz seit Jahren nicht mehr auf der Höhe der Zeit war. Die Begutachtung ergab, dass die schlanke Rohbaukonstruktion nicht durchgängig über die Feuerwiderstandsklasse F90 verfügte, im Bereich der Rippendecken teilweise noch nicht einmal über F30. Im Falle einer Evakuierung der obersten Geschosse hätte zudem erst ein feuerfester, 65 Meter langer Ret­tungsschlauch an der Fassade herabgelassen werden müssen, in dem die Fliehenden allein durch Körperreibung ihre Rutschfahrt hätten abbremsen können – als Experiment sicher interessant, im Notfall wohl ungenügend. Ein separater Feuerwehraufzug war also gefordert. Dafür wurde das Gebäude um zwei Fensterachsen, etwa vier Meter, nach Osten verlängert, was die Proportionen des Hauses nur unwesentlich verändert hat. Da die alte Fassade mit vorgehängtem Naturstein und Wendeflügeln den heutigen energetischen Ansprüchen nicht mehr genügen konnte, lag es nahe, ein neues Gewand als einheitliches System über Bestand und Anbau zu ziehen. Fassade aus PräzisionsteilenDie Sonne dürfte auch in den sechziger Jahren nicht nur aus einer Richtung gestrahlt haben. Heute ist es kaum vorstellbar, warum das Hochhaus damals an der Nord- und Südseite die gleiche Fassade erhielt. Dies hat sich mit der Sanierung geändert: Das Gebäude hat nun eine deutlich erkennbare Prägung durch die Himmelsrichtungen. In erster Linie ging es bei der Neukonzeption darum, die Sonneneinstrahlung auf der Südseite in den Griff zu bekommen. Mit dem Bild von Wimpern, die verschatten und trotzdem den Ausblick ermöglichen, hatten Staab Architekten den Bauherrn von ihrem Konzept überzeugen können. Mehrere Monate lang sind dann – im Dialog mit den Fachplanern von Transsolar – Studien für einen feststehenden Sonnenschutz der Südfassade durchgeführt und Modelle gebaut und berechnet worden, um das optimale Verhältnis von Sonnenschutz und Tageslichteinfall zu ermitteln. Im Windkanal wurde das Zweihundertstel-Modell statisch weiter optimiert, danach ein Prototyp gebaut und die Geräuschentwicklung getestet. Schließlich stand die trape­zoide Form der insgesamt 368 „Käppis“ fest, die vor die raumabschließende Hülle montiert sind. Ihre unregelmäßige Faltung ist jedoch nicht, wie man zunächst glauben könnte, dem Sonnenlauf oder der Luftströmung, sondern den gestalterischen Ansprüchen der Architekten geschuldet. Ein ebenso wirksamer regelmäßiger Aufbau hätte in der Repetition zu monoton gewirkt und keine Variationen erlaubt. Die beiden unterschiedlichen Versionen wurden mal gespiegelt und mal in Reihung angeordnet, so dass kleine „Störungen“ die Fläche beleben.    Der Wunsch nach einem prägnanten Bild wird von dieser Lösung erfüllt, auch wenn kritische Stimmen die Wiederkehr einer Zeit grobschlächtiger Fertigteilarchitektur beklagen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Architekten haben viel Arbeit in das Detail gesteckt, um die Faltung wie selbstverständlich aus der Ebene herauszuentwickeln. Jedes der trotz seiner Größe von 1,87 x 3,87 Metern filigran wirkenden Elemente ist rückseitig in ein Agraffensystem eingehängt. Die ho­rizontalen Fugen verlaufen jeweils in Höhe der Brüstungsoberkante, was die Unterscheidung zwischen Brüstung und Fenster erschwert; tatsächlich entsteht so von weitem der Eindruck eines sich öffnenden, nicht der eines verschlossenen Gebäudes. Die eloxierten Aluminiumtafeln (Farbton C 31, Neu­silber) sind an ihren positiven Faltungen gekantet, an den negativen gefügt. Um sie zu stabilisieren, wurde eine Unterkonstruktion entwickelt, deren komplizierteste Knotenpunkte per CNC-Fräse zugeschnitten wurden. Die unter den „Hauben“ entstehende Warmluft wird über ein Lochblech an der Unterseite in eine Zwischenebene gelenkt und über die Hinterlüftung nach oben abgeführt. Das Bemerkenswerteste dabei: Die ganze innewohnende Komplexität bleibt unsichtbar, alles sieht ganz einfach aus. Man darf hoffen, dass dies auch von den technik-affinen Nutzern gesehen und geschätzt wird. Abgesehen davon, ist das flächendeckende Knistern, das die Aluminiumelemente nach außen abgeben, wenn sich durch Bewölkung auch die Intensität der Sonneneinstrahlung ändert, schon ein Erlebnis für sich. Mit dem Umbau erhielt das Gebäude auch einen Haupteingang, er führt vorbei am Studentischen Service Center, einem zentralen Anlaufpunkt für studentische Belange, der das Haus in den allgemeinen Hochschulbetrieb einbindet. Im Ursprungsbau gab es im Erdgeschoss eine doppelgeschossige Versuchshalle, in die später aus Raumnot ein Zwischengeschoss ein­gezogen wurde. Punktuell, etwa im Bereich des Entrees und im sogenannten „Glaskasten“ des AStA an der Nordseite, ist die einstige Raumhöhe nun wieder erfahrbar. Nach der Rückführung bis auf den Rohbau wurden sämtliche Oberflächen neu belegt, die Aufzugskerne sind über alle Geschosse in Rot und einem schlammfarbenen Ton markiert; möglicherweise hätten hier leichte Farbvariationen nicht geschadet. Die Orientierung fällt aber dank der beiden unterschiedlich breiten Korridore nach wie vor leicht. Als Erinnerung an den „Altbau“ sind die Sitznischen vor den Seminarräumen mit Marmorplatten aus der alten Fassade belegt worden – eine freundliche Geste der Architekten, die das alte Hochhaus so vorführen, als hätten sie es vollkommen neu erbaut.



Fakten
Architekten Staab Architekten, Berlin
Adresse Haardtring 100, 64295 Darmstadt


aus Bauwelt 18.2012
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